Tausend kleine Schritte für den Klimaschutz
Die Klimakonferenz von Kattowitz schaffte eine globale Verständigung. Durchbrüche und Verbindlichkeiten blieben aber aus.
BERLIN/KATTOWITZ Die Warnungen von Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber konnten dramatischer kaum sein. Nach zwei Wochen zähen Verhandelns sagte er beim Klimagipfel im polnischen Kattowitz: „Wir rasen wirklich auf eine Wand zu – und der Crash könnte das Ende unserer Zivilisation herbeiführen“, sagte der einflussreiche Berater. Bei den 196 Delegationen gab es bereits einen erkennbaren Zusammenstoß: nämlich zwischen dem, was angesichts des Klimawandels dringend zu tun wäre, und dem aktuellen Willen der Weltgemeinschaft.
Ein kleiner Satz im Abschlussdokument entlarvt das. Wenn schon keine ambitionierteren Festlegungen möglich sein würden, sollten ursprünglich wenigstens die entsprechenden Forderungen des Weltklimarates in seinem jüngsten Bericht offiziell „begrüßt“werden. Doch die USA, Russland, Saudi-Arabien und Kuwait stellten sich quer. Sie wollten lediglich „zur Kenntnis nehmen“, dass es nach Meinung des Rates eines verstärkten Einsatzes bedürfe, um das Ziel zu erreichen, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken. Als Kompromiss kam nun heraus, dass die Weltgemeinschaft es „begrüßt, dass der Bericht rechtzeitig fertig geworden ist“.
Schon die Konferenz selbst war nicht rechtzeitig fertig geworden. Ursprünglich für Freitag geplant, schien auch am Samstag eine weitere lange Nacht bevorzustehen, wuchsen die Zweifel, ob es überhaupt eine Verständigung auf ein Dokument geben könne, mit dem die in Paris vor drei Jahren formulierten Ziele mit konkretem Vorgehen unterlegt werden. Als es um 22 Uhr dann doch eine Verständigung gab, lagen sich etliche Delegationsteilnehmer begeistert in den Armen. Nachdem US-Präsident Donald Trump den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auf den Weg gebracht hat und nun die Brasilianer mit Jair Bolsonaro einen Präsidenten ins Amt gewählt haben, der die für das Weltklima so wichtigen Regenwälder nicht mehr für schützenswert hält, feierten viele Umweltpolitiker es als Erfolg, dass die Vereinten Nationen doch noch zu weltweiten Verständigungen in der Lage sind.
Damit relativiert sich der Wert der Beschlüsse mit der Blickrichtung: Wer befürchtet hatte, dass der Klimaschutz unter nationalen Egoismen und Klimawandel-Leugnern begraben wird, kann sich an den vielen Absichten im 133 Seiten starken Dokument gar nicht sattsehen. Wer indes erwartet hatte, dass es nun bald verbindliche Festlegungen gibt, die schnell zu positiven Auswirkungen auf die Klima-Entwicklung führen, der kann sich nur enttäuscht und frustriert abwenden.
Denn es gibt nirgendwo Sanktionen für Staaten, die sich nicht an die Verpflichtungen halten. Und selbst der Versuch, einen Umgang mit CO2-Belastungen zu definieren und damit umweltschädliche Emissionen als Preisfaktor zu behandeln, fand nur einen einzigen gemeinsamen Ausweg: Die Konferenz vertagte das heiß umstrittene Thema. Ottmar Edenhofer, Chef des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, kann darin jedoch auch einen Fortschritt erkennen. „Es geht ans Eingemachte“, lautet seine Wertung.
Eine 15-Jährige schwänzt die Schule für die Umwelt. Auf dem Klimagipfel erhebt sie schwere Vorwürfe.
KATTOWITZ (ubg) Drei Minuten und wenige Sekunden – länger braucht Greta Thunberg für ihre Botschaft nicht. Die 15-Jährige steht beim Klimagipfel in Kattowitz hinter dem Rednerpult. „Euch gehen die Entschuldigungen aus. Und uns geht die Zeit aus“, sagt die Schwedin selbstbewusst. Ihre Zuhörer sind die Spitzenpolitiker von jenen 200 Staaten, die dort beschließen wollen, wie das Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden soll. „Ihr seid nicht einmal erwachsen genug, die Wahrheit zu sagen“, wirft das Mädchen ihnen vor. Es werde Zeit, endlich die Notbremse zu ziehen.
Greta Thunberg ist längst keine Unbekannte mehr: Es war im August, als die 15-jährige beschloss, nicht mehr zur Schule zu gehen und stattdessen für das Klima zu schwänzen. Bis zur schwedischen Parlamentswahl saß sie jeden Tag auf den Stufen des Regierungsgebäudes. Mittlerweile geht sie wieder zur Schule – nur der Freitag wird bestreikt. Ihre Aktion verbreitet sie über Twitter und Instagram, dort stellt sie sich als „Klimaschutzaktivistin mit Asperger“vor – eine Form des Autismus.
Auch die Medien berichteten über ihren Protest. „Warum sollten Junge für eine Zukunft lernen, wenn niemand genug tut, damit diese überhaupt sicher ist?“, fragte Greta Thunberg. Sie war neun Jahre alt, als sie zum ersten Mal vom Klimawandel hörte. In Interviews erzählt sie, dass sie nicht begreifen konnte, warum nicht viel mehr Menschen versuchen, etwas zu verändern. Sie selbst hörte auf, Fleisch zu essen und beschloss, nicht mehr mit dem Flugzeug zu fliegen. Auch ihre Eltern – den Vater Svante Thunberg und ihre Mutter Malena Ernman, eine bekannte Opernsängerin – konnte sie überzeugen. Die Familie fährt nun E-Auto und nutzt Solarenergie.
Auch Gleichaltrige steckt die 15-Jährige an. Weltweit machen es ihr Schüler nach und demonstrieren unter dem Stichwort „Fridays for Future“. Das „Time“-Magazine zählt Greta zu einem der einflussreichsten Teenager des Jahres 2018. Und so hat die 15-Jährige vor allem eine Botschaft: „Wenn ein paar Kinder auf der ganzen Welt Schlagzeilen machen können, weil sie einfach nicht zur Schule gehen, dann stellt euch vor, was wir gemeinsam erreichen könnten, wenn wir es wirklich wollen würden.“ Endlich streite die Weltgemeinschaft über die richtigen Werkzeuge und nicht nur über die Ziele. Tatsächlich ist der Werkzeugkoffer von Kattowitz reich gefüllt. Der Konferenzchef Michal Kurtyka lobte denn auch die mit dem Abkommen erreichten „tausend kleinen Schritte nach vorn“.
So sollen alle fünf Jahre Zwischenbilanzen erfolgen, bei denen auch Schäden und Verluste festgehalten werden. Auch die dringend nötigen Finanzhilfen von Geberländern an arme Staaten, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, werden künftig registriert. In Paris hatten sich die Industrieländer verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar den armen Ländern für größere Anstrengungen zum Klimaschutz zur Verfügung zu stellen. Das wurde nun ergänzt um neue Finanzierungsziele, die ab 2025 gelten sollen. Freilich wird noch nicht vorgegeben, wer, wann, was an wen geben soll. Und auch Kredite können als Klimahilfen angerechnet werden.
Es soll eine weltweit vergleichbare Transparenz über die Entwicklung des Treibhausgasausstoß geben und darüber, was jedes einzelne Land für den Klimaschutz getan hat. Derzeit gibt es keine wirklich vergleichbare Datenerhebung. Das soll ab 2024 geschehen. Freilich werden die Entwicklungsländer eine Übergangszeit haben.
Die Vereinten Nationen bilden dazu einen Ausschuss, der den einzelnen Staaten „helfen“soll, damit sie ihre Klimaschutzberichte auch tatsächlich nach den gemeinsamen Erhebungsregeln abliefern. Doch Kontakt aufnehmen mit einschlägigen Anwärtern darf er nur, wenn diese Länder ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Chefin der deutschen Delegation, Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), zeigte ich in Kattowitz hoch zufrieden: „Wir haben erreicht, dass sich zum ersten Mal nicht nur die halbe, sondern die ganze Welt beim Klimaschutz in die Karten schauen lässt.“
Gleichwohl sehen Klimaschützer nur dann mit mehr Optimismus in die Zukunft, wenn die EU nun beim CO2-Handel vorangeht. Wenn dieses Instrument in dieser herausragenden Industrieregion ans Laufen kommt, kann bei den nachfolgenden Klimakonferenzen auf einer ganz anderen Grundlage am nächsten Werkzeug für die Welt gearbeitet werden. In Chile soll weiter verhandelt werden. Vermutlich schon 2019. Vielleicht auch erst 2020.