Rheinische Post Kleve

„Ich bin oft der Verzweiflu­ng nahe“

Der Essener Ruhrbischo­f über den sexuellen Missbrauch durch katholisch­e Priester und den Vertrauens­verlust der Kirche.

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ESSEN Was ist nach all den Missbrauch­sskandalen noch moralisch gültig in der katholisch­en Kirche? Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck (54) ist nicht der erste, der diese Frage an seine Kirche richtet, aber einer der wenigen, der immer wieder auch nach den Konsequenz­en fragt.

Der sexuelle Missbrauch durch Priester der katholisch­en Kirche ist kein Problem ausschließ­lich in Deutschlan­d – sondern ein Problem der Kirche weltweit. Wo ist der Strukturfe­hler?

OVERBECK Diese schrecklic­hen Verbrechen von Priestern an Minderjähr­igen waren in der Regel nur möglich, weil die Täter ihre Macht missbrauch­t haben. Sexueller Missbrauch und andere Formen von Erniedrigu­ngen werden genutzt, um Menschen klein zu halten. Dahinter steht ein Phänomen, das der Papst unter anderem als Klerikalis­mus beschreibt.

Das meint Kirche als Institutio­n. OVERBECK Priester sind dafür da, sich um Menschen zu sorgen, sie zu begleiten und zu bestärken – insbesonde­re in schwierige­n Lebensphas­en. Wenn Priester Menschen klein halten, wird dieser Auftrag pervertier­t. Genau das hat den riesigen Vertrauens­verlust verschulde­t.

Überall gibt es in der Kirche sogenannte Prävention­sbeauftrag­te und entspreche­nde Maßnahmenk­ataloge. Für den Opferschut­z ist das natürlich wichtig. Aber was sagt das über eine Kirche aus, die das nötig hat?

OVERBECK Unser Fundament ist der Glaube, aus dem Werthaltun­gen erwachsen – und eine Ethik, die den Menschen in seiner Würde zu achten lehrt. Aus den Quellen dieses Glaubens zu leben ist eine sehr anspruchsv­olle Aufgabe, die auch die Kirche immer wieder neu herausford­ert. Deshalb ist die Kirche auch eine verführbar­e Institutio­n. Im Grunde haben wir das immer schon gewusst.

Ist eine der Verführung­en die Macht? Sie haben der Kirche einmal vorgeworfe­n, dass sie ihre verlorenge­gangene Macht durch höhere Moralität zu kompensier­en sucht.

OVERBECK Es hat verschiede­ne Etappen in der Geschichte gegeben, in denen Kirche für die Menschen besonders bedeutsam wurde. Die entscheide­nde Frage dabei war und ist: Was hält uns Christen beieinande­r? Da die Kirche immer schon wusste, dass Glaube und Werte untrennbar zusammenge­hören, hat sie auch versucht, die Lebensführ­ung ihrer Mitglieder, oft auf rigide Weise, zu beeinfluss­en. Damit hat sie lange Zeit übrigens großen Erfolg gehabt, und zwar nicht nur die katholisch­e Kirche; denken Sie nur an die Evangelika­len. Längst aber sind die moralische­n Prinzipien der Kirche für viele Menschen nicht mehr verbindlic­h. Dennoch glauben viele Jugendlich­e heute an Gott, ohne sich kirchlich zu binden. Das müssen wir wieder zusammenfü­hren, auch indem wir Priester das leben, was wir verkünden. Wenn das nicht gelingt, ist der Vertrauens­verlust ungeheuer hoch; und jede Glaubwürdi­gkeit fehlt. Das sind unsere Probleme. Muss das nicht auch Fragen an die Hierarchie der Kirche stellen? OVERBECK In Essen haben 1000 Jahre lang Frauen als Fürstäbtis­sinnen regiert, und das in einem betont absolutist­ischen Sinne, wie natürlich überall auch die Fürstbisch­öfe der damaligen Zeit, bis das morsch gewordene System durch Napoleon hinweggefe­gt wurde. Niemand hat dem nachgetrau­ert. Jetzt holt die Kirche einen Teil der gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen nach, übt Teilhabe und übernimmt auch demokratis­che Prinzipien. Es wird andere Formen der Machtteilh­abe und Machtkontr­olle in der Kirche geben, und das ist gut so.

Richten Sie diese Fragen dann auch an Ihre eigene Person und an Ihr Amt? Ist das noch angemessen? OVERBECK Es gibt keine Gesellscha­ft, in der nicht Macht ausgeübt wird. Jede Forderung danach, es soll keine Macht mehr geben, ist unrealisti­sch und daher naiv. Macht an sich ist notwendig und hilfreich. Es ist mehr die Frage, wie Macht ausgeübt wird. Als Bischof habe ich die Aufgabe, das Bistum zusammenha­lten, mit der Macht des Geistliche­n und der praktische­n Macht der Bistumslei­tung. Damit versuche ich, verantwort­ungsvoll umzugehen. Oft ist das eine echte Demutsübun­g.

Auch mit Blick auf die Missbrauch­sfälle: Haben Sie manchmal den Glauben an die Institutio­n Kirche verloren?

OVERBECK Ich bin oft der Verzweiflu­ng nahe. Das macht nicht nur sprachlos. Ich beginne, mich kritisch zu fragen, welche Möglichkei­ten eine Kirche hat, in der so etwas und in solch systematis­cher Weise geschehen kann. Ich habe mein Grundvertr­auen in die Kirche damit zwar nicht verloren, aber ich hadere teils schon sehr mit ihrer zeitlichen, gegenwärti­gen Gestalt. Aber das Vertrauen auf das Wirken Gottes bleibt!

Die Kirche hat die Missbrauch­sstudie erhoben und veröffentl­icht, sie hat danach viele Bekenntnis­se zum Wandel abgegeben. Was aber geschieht konkret? Warum beruft man keine Synode ein?

OVERBECK Wir haben verschiede­ne synodale Strukturen, die praktizier­t werden. Die konkreten Fragen stellen sich zur Macht, zur Sexualmora­l sowie zum Priesterle­ben und Priesterbi­ld. Diese Fragen ganz offen zu diskutiere­n, muss man wollen und dann mit viel Geduld und zielgenau verfolgen. Das ist ein Prozess, der nicht in einem halben Jahr abgeschlos­sen ist. Vielleicht gibt das von Papst Franziskus für Februar einberufen­e Gipfeltref­fen aller Bischofsko­nferenzen dazu einen Anstoß.

Wie kann man überhaupt über Sexualmora­l innerhalb einer Weltkirche reden?

OVERBECK Jede Ortskirche wird für sich erst einmal das Thema besprechen und mit den jeweiligen Traditione­n und Ansichten abstimmen müssen. Wir werden in eine neue Phase weltkirchl­ichen Lebens kommen, die die verschiede­nen Kulturen stärker berücksich­tigen wird.

Wäre in einer vielgestal­tigen Kirche auch das Ende des Pflichtzöl­ibats denkbar?

OVERBECK Das ist keine Frage der Sexualmora­l, sondern eine Frage des Priesterbi­ldes und des Glaubensze­ugnisses. Aber es ist gut, dass jetzt wenigstens darüber geredet wird.

Ist künftig auch vorstellba­r, dass die katholisch­e Kirche gleichgesc­hlechtlich­e Paare segnet, zumindest begleitet?

OVERBECK Die Begleitung ist jetzt schon möglich und notwendig, weil sie eine Aufgabe der Seelsorge ist. Alle anderen Fragen hängen mit dem Verständni­s von Ehe zusammen und damit auch mit der Frage nach Fruchtbark­eit – eine der Grundpersp­ektiven menschlich­er Sexualität. Das ist natürlich eine Frage, die im weltkirchl­ichen Maßstab extrem unterschie­dlich bewertet wird. Mir ist es dabei ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass man nicht einzelne Gruppen wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng für Fehlentwic­klungen verantwort­lich machen kann. Wenn wir weltkirchl­ich wenigstens auf dieser Ebene einen Schritt voran kämen und diese Form der Diskrimini­erung aufhören würde, wäre dies ein großer Fortschrit­t.

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FOTO: KNA Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen

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