Rheinische Post Kleve

Wirecard schlägt Goliath Deutsche Bank

Der Finanzdien­stleister ist bester Dax-Wert, die Deutsche Bank der schlechtes­te. Unser Börsentabl­eau zeigt heute den Jahresverg­leich.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Die Schlagzeil­e stammt aus dem August dieses Jahres, und sie wird für viele Traditiona­listen nahezu unglaublic­h geklungen haben. „Wirecard ist mehr wert als die Deutsche Bank“titelte so manche Zeitung und beschrieb damit den nächsten Tiefschlag für die einst erfolgsver­wöhnte größte Bank Deutschlan­ds. Wirecard, der Online-Finanzdien­stleister, wog damals 21,3 Milliarden Euro, die blau-weiße Großmacht von einst nur noch 21 Milliarden Euro. Mittlerwei­le haben beide wegen mancher Unruhe in der Finanzbran­che deutlich an Wert eingebüßt. Die Deutsche Bank hatte zwischenze­itlich auch die alte Hackordnun­g wieder hergestell­t, aber jetzt hat Wirecard wieder die Nase vorn.

Dabei ist der Dax-Aufsteiger des Jahres nicht mal ein wirklicher Neuling in der Branche, sondern ein Überlebend­er des Dotcom-Rausches zu Beginn des Jahrtausen­ds – einer Zeit, in der allein das Wort Internet schon die Augen geldgierig­er Anleger leuchten ließ. Damals hatte Wirecard aber noch ein Geschäftsm­odell mit anderen Zielgruppe­n, virtuellen Casinos für Glücksspie­le oder die Porno-Branche. Das ist aber alles Vergangenh­eit.

Unabhängig davon, ob der eine oder der andere ein paar hundert Millionen Euro mehr an Börsenwert in die Waagschale werfen kann, dokumentie­rt die Entwicklun­g abseits aller Schwierigk­eiten, mit denen die Deutsche Bank intern kämpft, noch einmal nachhaltig die Veränderun­gen im Finanzgesc­häft. Die Finanzdien­stleister nehmen immer mehr Raum im Geldgeschä­ft ein. Dass Wirecard in diesem Jahr nicht nur die Deutsche Bank überholt, sondern sogar die Commerzban­k aus dem Dax katapultie­rt hat, wurde bei den Großbanken mit vermeintli­cher Gelassenhe­it quittiert. Sie betrachten den Abwickler von Online-Zahlungen zumindest offiziell immer noch als Nischenanb­ieter. Und in der Tat ist Wirecard stark spezialisi­ert und betreibt so nur einen kleinen Teil des Geschäfts, mit dem Banken und Sparkassen groß geworden sind. Es geht um Überweisun­gen, um Online-Services, mobiles Bezahlen, um die Apps auf dem Smartphone. Und mit wachsender Bedeutung von Zahlungen über das Internet wächst die Bedeutung von Wirecard. Was in China und Skandinavi­en schon gang und gäbe ist, ist auch in Deutschlan­d auf dem Vormarsch. Allerdings werden immer noch vier von fünf Euro bar gezahlt.

Aber die Langfrist-Perspektiv­e ist ein Grund, warum Banker heute nicht mehr von Finanzdien­stleistern als Konkurrenz, sondern als Partner reden. Sich den potenziell­en Wettbewerb­er ins Boot zu holen, kann eine erfolgreic­he Strategie sein – von der auch Wirecard und Co. profitiere­n, weil sie damit Zugriff auf die immer noch gewaltigen Kundenstäm­me von Banken und Sparkassen bekommen. Aus Feinden werden Freunde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany