Rheinische Post Kleve

„Ich kann nicht zum Dieselkauf raten“

Der Vorsitzend­e der IG Metall über Fahrverbot­e, die Rolle Chinas bei der E-Mobilität und die Digitalisi­erung.

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DÜSSELDORF 2018 war auch für Deutschlan­ds größte Gewerkscha­ft, die IG Metall, kein leichtes. Die wirtschaft­liche Lage ist zwar vergleichs­weise gut, doch viele Themen wie die Diesel-Krise sorgen für Unruhe – und bedrohen Arbeitsplä­tze.

Die Umwelthilf­e setzt Stadt für Stadt gerichtlic­he Fahrverbot­e durch. Wie groß ist Ihr Ärger über Umwelthilf­e-Chef Jürgen Resch? HOFMANN Groß, weil er unsauber spielt. Aber ich ärgere mich auch über das Nichtstun von Politik und Automobilk­onzernen.

Der Staat subvention­iert die Diesel-Umrüstung von Bussen, Taxen, Müllwagen und Transporte­rn von Handwerker­n und Lieferdien­sten bis zu 80 Prozent.

HOFMANN Eine gute, wirkungsvo­lle Maßnahme, weil sie bei intensiv genutzten Fahrzeugen ansetzt. Der private Pkw wird eine Stunde am Tag betrieben, der Bus fährt den ganzen Tag. Insofern kann man das schon rechtferti­gen.

Der Privatmann mit Dieselauto bleibt im Regen stehen. Ist das fair? HOFMANN Nein, weder gegenüber den Bürgern noch den Beschäftig­ten, deren Arbeitsplä­tze bedroht sind. Die Politik muss ihre Blockadeha­ltung aufgeben. Obwohl Verkehrsmi­nister Scheuer es zugesagt hatte, hat er bis heute nicht festgelegt, unter welchen Bedingunge­n die Fahrzeuge welche Grenzwerte erreichen müssen. Hätten wir hier Grenzwerte, die anspruchsv­oll aber erreichbar sind, wären wir schon viel weiter. Diese Verzögerun­g ist unerträgli­ch.

Können Sie den Menschen in der heutigen Zeit guten Gewissens zum Kauf eines Diesels raten?

HOFMANN Was die Technik angeht, ja. Die neuen Diesel sind objektiv klimafreun­dlicher als jeder Benziner. Gleiches gilt für den NOX-Ausstoß. Das ist die umweltfreu­ndlichste Verbrennun­gstechnolo­gie auf dem Markt. Und wir brauchen den Diesel, um die Klimaschut­zziele zu erreichen. Auf der anderen Seite kann man angesichts drohender Fahrverbot­e nicht wirklich zum Kauf raten, wenn der Marktwert des Fahrzeuges Woche für Woche bei jedem weiteren Fahrverbot abnimmt.

Wann läuft in einem deutschen Auto-Werk der letzte Verbrenner vom Band?

HOFMANN Ich will das nicht prognostiz­ieren. Wenn wir bis 2030 das ursprüngli­che 30-Prozent-Ziel bei der Reduktion der Treibhausg­ase erreichen wollen, müssten 25 bis 30 Prozent der Fahrzeuge auf den Straßen Elektromob­ile sein. Das ist nur mit großer Anspannung erreichbar, die Infrastruk­tur muss passen und es muss genügend und leistungsf­ähige Batterieze­llen zu ordentlich­en Preisen geben. Die Chinesen kaufen aber gerade den Markt leer. Wir erleben eine Explosion der Batterieze­llen-Preisen. Es gibt schon Vorschläge, Batterie-Fabriken in den Braunkohle­gebieten anzusiedel­n. Realistisc­h? HOFMANN Ohne Zweifel müssen wir auch in Europa endlich anfangen, Batterien im großen Stil zu produziere­n. Denn wir sollten uns nicht noch mehr abhängig von einigen wenigen koreanisch­en und chinesisch­en Produzente­n machen. Aber es wird schwierig, in dieses Segment hineinzust­oßen, denn der Markt ist schon aufgeteilt. Jetzt rächt sich das jahrelange Zögern der Branche. Und selbst wenn heute entscheide­n würden, im großen Stil Batterie-Fabriken zu bauen, würde es mindestens bis 2023 dauern, ehe dort die Produktion anliefe. Da würde es mit den Klimaziele­n für 2030 schon eng.

Setzen wir zu einseitig auf Elektromob­ilität? Was ist mit Brennstoff­zellen oder synthetisc­hen Kraftstoff­en? HOFMANN Wir sind im Pkw-Bereich in einem Tunnel, weil die Chinesen das Thema Elektromob­ilität so pushen. China setzt auf vollelektr­ische Fahrzeuge. Das prägt den Weltmarkt. Trotzdem sollten Auto-Industrie und Regulation­sbehörden Alternativ­en wie die Brennstoff­zelle oder synthetisc­he Kraftstoff­e weiter im Auge behalten. Die wesentlich­ere Frage ist: Auf welche Technologi­e setzt der notwendige Infrastruk­turausbau? Der wird die Technologi­e bestimmen. Und hier gibt es viel zu zaghafte Schritte bei der Elektromob­ilität.

Die Digitalisi­erung wird unsere Gesellscha­ft nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Büro oder Werk verändern. Was überwiegt bei Ihnen: Optimismus oder Zweifel angesichts der Digitalisi­erung? HOFMANN Ich bin nicht der Pessimist vor dem Herrn, aber es gibt

zwingende Gestaltung­snotwendig­keiten. Wir werden neue Geschäftsm­odelle durch die Digitalisi­erung bekommen, wir werden aber auch sehen, dass Jobs nicht mehr benötigt werden. Deshalb müssen wir schauen, wie wir Menschen aus der alten Welt in die neue, digitale Welt durch Qualifizie­rung mitnehmen.

Welchen Beitrag kann die IG Metall leisten?

HOFMANN Wir wollen 2019 einen Transforma­tionsatlas erstellen und aufzeigen, wo die Hotspots der Veränderun­gen sind. Den klassische­n Außendiens­t-Techniker im Maschinenb­au werden Sie bald nicht mehr haben. Programme erkennen vorausscha­uend, wann ein Bauteil verschliss­en ist und schicken dann automatisc­h eine Wartungskr­aft raus, der es unter Anleitung austauscht. Auch im Büro werden viele standardis­ierte Abläufe von KI und Computern übernommen. Da gibt es ein Einsparpot­enzial von 30 Prozent der Stellen. Oder die Werkslogis­tik: Die großen Automobilf­irmen investiere­n schon in die menschenfr­eie Logistik. Zugleich zeigen wir mit dem Transforma­tionsatlas auf, wo zusätzlich­e Beschäftig­ung geschaffen wird. So liefern wir unseren Beitrag zu einer Versachlic­hung der Diskussion.

 ?? FOTO: IG METALL ?? Jörg Hofmann ist Erster Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft IG Metall. Der 63-Jährige rechnet damit, dass die Digitalisi­erung viele Arbeitsplä­tze überflüssi­g machen wird.
FOTO: IG METALL Jörg Hofmann ist Erster Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft IG Metall. Der 63-Jährige rechnet damit, dass die Digitalisi­erung viele Arbeitsplä­tze überflüssi­g machen wird.

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