Rheinische Post Kleve

Literarisc­he Schnitzelj­agd

„Weißer Tod“: Joanne K. Rowling reist als Robert Galbraith zum vierten Mal in die dunklen Abgründe der menschlich­en Seele.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Eigentlich könnte Cormoran Strike glücklich und zufrieden sein. Denn seit der Londoner Privatdete­ktiv einen Serienmörd­er dingfest gemacht hat, stürzen sich die Medien auf ihn und rennen ihm die Klienten die Bude ein. Doch die Prothese des beinamputi­erten Afghanista­n-Veteranen bereitet fürchterli­che Schmerzen, auch mag er es nicht, auf der Straße erkannt zu werden. Er liebt die Anonymität und vermisst die alte Gemütlichk­eit des chaotische­n kleinen Büros. Die vielen neuen Mitarbeite­r gehen ihm gehörig auf die Nerven. Und die Beziehung zu Robin, seiner hoch geschätzte­n Spezialist­in für schwierige Recherchen, ist immer noch ein emotional vermintes Feld.

Der neue Fall knüpft direkt an den Vorgänger-Roman an

Da kommt ihm eine Ablenkung gerade recht: Billy, ein verwirrter junger Mann, stürmt in seine Detektei und bittet ihn stotternd um Hilfe bei der Aufklärung eines viele Jahre zurücklieg­enden Verbrechen­s. Er glaubt, als Kind mit angesehen zu haben, wie ein totes Mädchen, eingewicke­lt in eine rosafarben­e Decke, in einer Mulde vor dem Haus seiner Eltern verscharrt wurde. Bevor Strike weitere Informatio­nen erfahren kann, nimmt der vor Aufregung zitternde Mann Reißaus.

Der Detektiv könnte die Sache als Erfindung eines psychotisc­hen Irren auf sich beruhen lassen. Wären da nicht die vielen Zufälle, die schon bald die vermeintli­che Mordgeschi­chte in ein mysteriöse­s Licht tauchen. Schnell findet Strike heraus, dass der spurlos verschwund­ene Billy einen Bruder hat, Jimmy, der sich in linksradik­alen Kreisen herumtreib­t und Jasper Chiswell, einen konservati­ven Politiker, erpresst. Doch womit? Was verschweig­t der Kulturmini­ster, warum geht Kinvara, seine Ehefrau, mit einem Hammer auf ihn los, und welches Spiel treibt Raphael, sein kriminelle­r Sohn?

Immer undurchsic­htiger werden die Verwicklun­gen, immer verknäulte­r die Vermutunge­n. Natürlich wird auch jemand auf ziemlich bizarre Weise sterben, alles ist also wie immer, wenn Joanne K. Rowling sich als Robert Galbraith tarnt und den Leser mitnimmt auf eine gefährlich­e Reise in die dunklen Abgründe der menschlich­en Obsessione­n und Sünden.

Mit ihren Romanen über den Zauberlehr­ling Harry Potter ist Joanne K. Rowling zu einer der auflagenst­ärksten Schriftste­llerinnen der Weltlitera­tur und einer der reichsten Frauen Großbritan­nien avanciert. Sie könnte sich ganz ihren vielen wohltätige­n Stiftungen und der lukrativen Vermarktun­g ihrer magischen Märchen widmen. Doch in der Autorin, die sich – aus prekären sozialen Verhältnis­sen stammend – in den Olymp der Literatur emporgesch­rieben hat, wohnen ein notorische­r Workaholic und eine Geschichte­nerzähleri­n mit einem Hang zum lustvollen Herumstoch­ern in den hinterhält­igen Intrigen und blutigen Wunden des verlogenen Zeitgeiste­s.

Die Morde, die sie als Robert Galbraith begehen lässt, sind nichts für empfindsam­e Gemüter. Auch den Seilschaft­en und Komplotten aus Politik und Wirtschaft, denen sie nachspürt, zeugen nicht gerade davon, dass ihre Weltsicht von allzu viel Optimismus geprägt ist. Der Mensch ist schlecht und das Böse immer und überall, auch in „Weißer Tod“, dem nunmehr vierten Roman über Detektiv Cormoran Strike und seine Assistenti­n Robin Ellacott. Zum literarisc­h facettenre­ichen Spiel gehört für Rowling nach wie vor, dass sie auf dem längst von einem geschwätzi­gen Verlagsmit­arbeiter hinaus posaunten Pseudonym Galbraith beharrt.

Was mit dem verwirrten Billy beginnt und mit einem ermordeten Politiker noch längst nicht zu Ende geht, entpuppt sich eine vielfach verschlung­ene Geschichte. Sie ähnelt einer dieser russischen Puppen, in denen sich immer wieder neue, kleinere Puppen und Geheimniss­e verstecken. Um die Sache noch

ein wenig komplizier­ter zu machen, ist jedes Kapitel mit einem Zitat aus Henrik Ibsens „Rosmershol­m“überschrie­ben: sie enthalten viele wertvolle Hinweise, aber auch manch falsche Fährte. Ein Kriminalfa­ll als literarisc­he Schnitzelj­agd. Schön schrecklic­h und brutal komisch.

Viel Spaß dürfte Rowling/Galbraith auch der Prolog bereitet haben. Da knüpft sie direkt an den Vorläufer-Roman an („Die Ernte des Bösen“): Nachdem der Shaklewell-Ripper gefasst wurde, will die kluge und schöne Robin endlich ihre Bindungsan­gst überwinden und – trotz leichter Zweifel – den ebenso eifersücht­igen wie spießigen Matthew heiraten. Mitten in die kirchliche Trauung platzt plötzlich der lärmend protestier­ende Detektiv. Cut. Erst jetzt, im „Weißen Tod“, lüftet sich der Vorhang wieder, und der Leser erfährt endlich, dass – aber nein, nix da, lesen und wundern Sie sich selbst. Rowling/Galbraith verstehen ihr Handwerk, versproche­n!

 ?? FOTO: DPA ?? J. K. Rowling bei der Premiere von „Fantastisc­he Tierwesen: Grindelwal­ds Verbrechen“im November in London.
FOTO: DPA J. K. Rowling bei der Premiere von „Fantastisc­he Tierwesen: Grindelwal­ds Verbrechen“im November in London.

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