Die westlichen Diplomaten vertrauen zu sehr den USA
Ex-Außenminister Gabriel und Spitzendiplomat Ischinger stimmen in ihrer weltpolitischen Analyse stark überein.
Die veränderten internationalen Verhältnisse in der Welt, verbunden mit dem Gefühl abnehmender Sicherheit, sind in Deutschland Thema breiter Diskussionen und politischer Auseinandersetzungen. Dazu beziehen zwei Bücher Position, das eines früheren Bundesaußenministers, Sigmar Gabriel, und das des deutschen Spitzendiplomaten der 1990er und 2000er Jahre, Wolfgang Ischinger. „Zeitenwende in der Weltpolitik“und „Welt in Gefahr“sind die Titel. Ihre Vorschläge gelten der deutschen Außenpolitik, einer besonderen deutschen Betroffenheit geschuldet. Ischinger: „Kaum ein anderes Land auf der Welt hat so sehr von der liberalen internationalen Lage profitiert, wie Deutschland“, und noch gesteigert durch Gabriel: „Deutschland ist zu einem Sehnsuchtsort geworden“, wobei ein „deutscher Sonderweg“zu vermeiden sei. Dabei hypostasiert Gabriel die derzeitige weltpolitische Situation: „Die kommenden Jahre werden für uns Deutsche und Europäer Weichstellungen erfordern, wie sie vermutlich nur alle paar hundert Jahre zu entscheiden sind.“Das wirkt wie eine Überdramatisierung der eigenen Lebenszeit im Vergleich mit den „Weichenstellungen“am Ende des Zweiten Weltkriegs: Vernichtung nationalistischen Größenwahns in Deutschland und Japan, Einsatz erster Atombomben durch die USA, Gründung der Uno mit Erklärung der Menschenrechte, schrittweise Dekolonialisierung Chinas, Indiens, Indochinas und Indonesiens sowie Afrikas.
Der daraus resultierende Dominanzanspruch der USA zerstob, als auch die Sowjetunion atomar bewaffnet war. Es folgte der Kalte Krieg zwischen USA und Sowjetunion. 1989 erlaubte es die Implosion der Sowjetunion, den Ost-West-Konflikt für überwunden zu halten. Ischinger sieht nun, dass deutsche Außenpolitik dem nicht entsprechen kann. Auch 2018 „ gibt es keinen Mittelweg zwischen West und Ost“. Das verlängert die deutsche Außenpolitik, die während und mit der Überwindung des Ost-West-Konflikts richtig war. Ischinger stellt dabei die Leistungen der Diplomatie heraus, an denen er für Deutschland wesentlich beteiligt war. Entsprechend diesem Selbstverständnis sind für ihn wie für Gabriel das Verhältnis zu Russland und den USA Kern der Analyse der weltpolitischen Gefahr – denn Trump stellt das westliche Bündnis in Frage, Putin hält sich nicht an die Unantastbarkeit der staatlichen Grenzen.
Aber dieses Selbstverständnis muss Ausgang kritischer Fragen sein. Schon 1949 hat Karl Jaspers den Ost-West Gegensatz als einen Mythos aufgefasst, der bei realistischer Analyse der Wirklichkeit zerfällt. Die vollendete Dekolonialisierung erfordert einen neuen weltpolitischen Blick, er hat den „amerikanisch-europäischen Westen“zu einer Minderheit gemacht. Orientierung sollten die Gleichberechtigung aller Menschen sein. Dem entspricht, wenn sich Ischinger und Gabriel einig sind, dass nur ein integriert handelndes Europa Gewicht hat, nicht die europäischen Nationalstaaten.
Für Europa, verstanden als EU, bleibt für Gabriel wie Ischinger das Bündnis mit den USA unverzichtbar. Diese Verklammerung ist lediglich militärpolitisch begründbar. Denn die USA verfügen über ein riesiges Militärbudget. Daraus verstehen beide die Forderung Trumps, die Militärausgaben der EU zu steigern. Sie stellen aber nicht die Frage, ob die Höhe dieses Budgets der USA wirklich dem Weltfrieden dient, oder eher der amerikanischen Rüstungsindustrie.
Die Gleichberechtigung aller Menschen wird auch verfehlt, wenn Indien mit 1,4 Milliarden Menschen kaum erwähnt wird, in Afrika mit absehbar drei Milliarden Menschen zwar viele Problem gesehen, aber keine Lösungen dargelegt werden. Georäumliche Blindheit wird deutlich, wenn Gabriel feststellt, dass auf der globalpolitischen Landkarte Chinas Amerika nicht vorkommt. Amerika ist eben von der eurasischen Landmasse durch den Atlantik getrennt. Diese Trennung kann eine stärkere Eigenständigkeit Europas in seiner Nachbarschaftspolitik, zu den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und denen im Mittleren Osten, begründen. Amerikanisch-europäische Interessen chinesischen gegenüberzustellen wirkt dagegen fragwürdig.
Gabriel, Sigmar: Zeitenwende in der Weltpolitik. 2018, Herder, 288 S., 22 Euro