Der Verfechter
Max Hartung (29) ist unbequem und erfolgreich wie wohl kein Athletensprecher vor ihm. Der Dormagener Fechter weiß, wie finanziell klamm es sich in Deutschland als Leistungssportler lebt. Das macht sein Vorgehen authentisch.
KÖLN Max Hartung soll an diesem Tag die Frage nach dem Warum beantworten. Er will später noch zum Friseur, am Abend fährt er zum Training nach Dormagen. Aber jetzt und hier sitzt er eben im Kölner Stadtteil Nippes. Im kleinen italienischen Laden bei ihm um die Ecke, wo sie ihn kennen, wo sie ihm spontan einen Tisch hinstellen, wenn die vier regulären besetzt sind von anderen Kunden, die die Pasta des Tages zu Mittag essen wollen. Hartung sitzt also an diesem Klapptisch zwischen Regalwand und Auslage und erklärt, wieso er sich das antut. Athletensprecher. Sich einsetzen für die, die wie er Leistungssportler in diesem Land sind, aber nicht wirklich gut davon leben können.
„Vor knapp anderthalb Jahren war ich an dem Punkt angelangt, wo ich gedacht habe: Okay, ich mache das jetzt noch bis zum Ende meiner Amtszeit im nächsten Herbst. Dann habe ich in den vier Jahren in der Athletenkommission zumindest viel gelernt, und ich wäre ja auch nicht der erste, der erfahren muss, wie schwierig es ist, etwas zu verändern im Sport.“Doch dann passierte etwas, womit Hartung selbst nicht gerechnet hatte: Der deutsche Sport bewegte sich. Es veränderte sich etwas. Er, Hartung, hatte mit seiner Arbeit etwas verändert. Er, der Säbelfechter, war mit seinen Vorstößen nicht ins Leere gelaufen, sondern hatte Treffer gesetzt. Vielleicht würde er ja doch mehr erreichen können, als eine Webseite für die Athletenkommission zu bauen, die auf seinen Namen registriert ist.
Die Bundeswehr hat das System ihrer Sportförderung inzwischen tatsächlich überarbeitet, nachdem Hartung Anfang Februar 2017 in einem Interview mit der „FAZ“das System als ineffektiv kritisiert hatte. Man könne Gelder besser direkt zur Unterstützung von Athleten verwenden statt über den Umweg Bundeswehr, hatte er gesagt. Statt über den Umweg Sportsoldat. Das Echo in der Öffentlichkeit auf das Interview war groß, der Sportausschuss des Bundestages wollte von Hartung wissen, was aus seiner Sicht denn noch so alles verbesserungswürdig sei bei der Förderung von Spitzensportlern. Also fuhr er nach Berlin und erzählte es ihnen. „Guten Tag, mein Name ist Maximilian Hartung. Ich bin Säbelfechter, war schon Weltmeister und komme mit Sportförderung allein nicht wirklich über die Runden.“Einen Monat später war er dann auch Europameister.
Hartung ist kein Revolutionär. Der 29-Jährige ist kein blinder Idealist, der sich über den Kampf gegen das Funktionärstum im deutschen Sport profilieren will. Wer sich mit ihm öfter unterhält und sein Vorgehen aus der Nähe verfolgt, der merkt: Hartung ist eine Art enthusiastischer Pragmatiker. Er hört sich auch die andere Seite an, will verstehen. Er verstehe, sagt er, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein kompliziertes Konstrukt sei. Mit vielen Interessen. Und mit noch mehr Interessensvertretern. Doch verstehen ist für Hartung nicht gleich akzeptieren. Er mag es zu diskutieren, stellt unangenehme Fragen, weist auf Abläufe in der Sportförderung hin, die nicht gut sind, nur weil sie mal gut gemeint waren. Er wollte die Athletenvertretung im DOSB auf Augenhöhe der Entscheidungsträger hieven. Nicht länger Bittsteller sein. Also musste er sich Augenhöhe aneignen, einlesen, Strukturen und Geldflüsse verstehen. Er schrieb Positionen, Konzepte, Briefe und Anfragen. Befasste sich mit dem Kartellamt. Learning by doing in Zeiten der Leistungssportreform. Er forderte, dass 25 Prozent der Einnahmen von Olympischen Spielen direkt an die Sportler gehen sollen. Hartung hat in Friedrichshafen Soziologie, Politik und Wirtschaft studiert. Nun konnte er sein theoretisches Wissen in der Praxis anwenden. Das reizte ihn.
Hartung hat den Athleten in den vergangenen Jahren keine Stimme gegeben, Sprecher gab es schon vorher. Aber er hat der Stimme Gehör verschafft wie wohl kein anderer Athletenvertreter vor ihm. Nicht weil er ein Sportpromi wäre, Fechten ist Randsportart. Hartung muss keine Autogramme beim Italiener schreiben, weil ihn einer am Nachbartisch erkennt. Aber Hartung hat verstanden, dass das Thema Athletenförderung in der Öffentlichkeit positiv besetzt ist. Er weiß es, weil er das Thema in die Öffentlichkeit getragen hat. Zuweilen auf eigene Faust. Die Interessen, die er vertritt, finden Zustimmung. Umfragewerte weisen Top-Sportler immer wieder aufs Neue als Vorbilder aus. Dass diese entsprechende Gelder bekommen müssen, damit sich Herr Müller und Frau Meier auch in Zukunft vor dem Fernseher über deutsche Olympiasiege freuen können, das stellt erst einmal niemand infrage. „Und am Ende ist es wahrscheinlich besser so, dass ich aus einer Randsportart komme. Ein Fußballprofi, der sich vor den Sportausschuss stellt und die finanzielle Misere von Schwimmern und Sportschützen anprangert, der wäre doch nicht authentisch“, sagt Hartung.
Er dagegen kann authentisch sein, aus eigener Erfahrung sprechen. Er kann erzählen, dass er nur in der Altbau-Wohnung in Nippes wohnen kann, weil die Eltern für ihn gebürgt haben. Mit einer Sportförderzusage für einen olympischen Zyklus allein ist man eben nicht der Traum eines Vermieters. Deswegen freut sich Hartung auch so sehr, dass die Stiftung Deutsche Sporthilfe im Dezember 959 Athleten eine einmalige Zahlung in Höhe von 3.649,63 Euro überweist – insgesamt 3,5 Millionen Euro. „Die zusätzliche Förderung ist ein ganz wichtiges Signal in unsere Richtung – es bewegt sich etwas. Es zeigt auch, dass es lohnt, sich zu engagieren“, sagte Hartung. Er sagte auch etwas von zweijähriger Überzeugungsarbeit, die er für diese Zahlung habe leisten müssen.
Hartung kam zur Athletenvertretung, wie die meisten in ein Ehrenamt kommen. Er wurde gefragt, ließ sich überreden und war dann eben dabei. Erst als Athletensprecher im Fechter-Bund, dann seit 2014 in der
„Ein Fußballprofi, der die finanzielle Misere von Schwimmern anprangert, wäre doch nicht authentisch“
Athletenkommission des DOSB, seit Februar 2017 und nach der Wiederwahl im Oktober 2018 weitere vier Jahre als deren Vorsitzender. In dieser Rolle war er auch Teil des DOSB-Präsidiums. Hartung saß zudem im Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe. Der Marsch durch die Institutionen war also eigentlich beendet. Doch Hartung und seine Mitstreiter, allen voran Kanutin Silke Kassner, hatten andere Pläne. Sie wollten die Interessenvertretung der Sportler aus dem DOSB komplett herauslösen, wollten echte Unabhängigkeit. Personell und finanziell. Also riefen sie im Herbst 2017 den Verein „Athleten Deutschland“ins Leben. Mit Hartung als Vorsitzendem. Der DOSB fand die Vereinsgründung wenig prickelnd, das taten seine Verantwortlichen auch so kund. Doch der Verein nahm gegen alle Widerstände seine Arbeit auf. Vom Bund gab es 225.000 Euro im zweiten Halbjahr 2018, für 2019 sind 450.000 Euro zugesagt. „Damit können wir hauptamtliche Strukturen aufbauen“, sagt Hartung. Der Verein schrieb unlängst die Stelle eines Geschäftsführers aus.
Damit ist Hartung seinem zweiten Ziel neben der Verbesserung der Athletenförderung nähergekommen: einer autarken Athletenvertretung. Autark vom DOSB – autark aber auch von Namen. Von Namen wie seinem. Denn ewig will er nicht die Stimme der Athleten sein. „Ich werde im nächsten Jahr 30 und habe noch keinerlei Berufserfahrung. Das gehört auch zur Wahrheit eines Leistungssportlers“, sagt er. Was er mal werden will? Noch weiß er es nicht. Erstmal geht der Blick in Richtung Tokio 2020. Seine dritten und vermutlich letzten Olympischen Spiele. Denn im Hauptberuf ist er ja nach wie vor Leistungssportler. Nur, dass er im Nebenjob dafür kämpft, dass man von diesem Hauptberuf in Deutschland leben kann. Max Hartung Athletensprecher