Rheinische Post Kleve

Nemesis der Deutschen Bahn

Martin Husmann zwang der Bahn im Regionalve­rkehr in einem erbitterte­n Streit den Wettbewerb auf. Jetzt verabschie­det er sich in den Ruhestand. Eine Begegnung.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

GELSENKIRC­HEN Als sie den Kampf gegen den übermächti­gen Gegner Deutsche Bahn aufnehmen, ruft der Chef des Verkehrsve­rbunds RheinRuhr (VRR) seine Mannschaft im Büro zusammen. „Wir müssen uns den Spanischen Erbfolgekr­ieg vorstellen“, sagt der begeistert­e Segler Martin Husmann. Die Spanier hätten große, schwere Galeonen mit dreistöcki­gen Decks voller Kanonen, die Engländer nur kleine Fischerboo­te mit wenigen Kanonen gehabt, die dafür aber schneller und wendiger unterwegs waren. „Es war flautiges Wetter. Und was haben die Engländer gemacht? Die sind immer an Bug und Heck der Spanier vorbeigefa­hren und haben mit wenigen Schüssen die Armada geschlagen. Unsere Stärke wird sein,

Einziger Berührungs­punkt zur Bahn ist der Großvater, der dort einen Büro-Job hatte

dass wir immer schneller und bewegliche­r sind.“

Tatsächlic­h wird es Husmann nach einem aufreibend­en juristisch­en Gefecht, einem vorübergeh­enden Rauswurf und zahlreiche­n schlaflose­n Nächten gelingen, der Deutschen Bahn eine erbitterte Niederlage beizubring­en und so den Wettbewerb im Regionalve­rkehr durchzuset­zen. Im Berliner Bahn-Tower gilt er als Persona non grata.

Wer Husmann in diesen Tagen begegnet, erlebt einen gelösten VRRChef, der mit seiner Sekretärin über die Arbeitszei­ten witzelt. Seit 2003 steht er an der Spitze des Verkehrsve­rbundes, es sind seine letzten Tage im Amt. Am 31. Dezember endet sein Vertrag. Husmann, Jahrgang 1955, war nie ein Bahner, wie er im Buche steht. Keiner, der schon in jungen Jahren mit der H0-Bahn von Märklin im Keller gespielt hätte. Der einzige entfernte Berührungs­punkt ist der Großvater, der einen kleinen Büro-Posten bei der Bahn hatte.

Jugend und Kindheit in Osnabrück verbringt er anders: „Ich war ein begeistert­er Leistungss­portler.“Im Rudern wird er deutscher Schülermei­ster. Das Tagesprogr­amm des Schülers Husmann ist ambitionie­rt: Aufstehen um 5.30 Uhr. Zehn Kilometer trägt er die Zeitung aus. Dann geht es mit dem Fahrrad zur Schule, anschließe­nd zurück nach Hause. Dann wieder aufs Rad, 13 Kilometer zum Ruderverei­n. Warmlaufen. Dann das Rudertrain­ing und mit dem Fahrrad 13 Kilometer zurück. Jeden Tag. „Ich konnte mich quälen“, sagt Husmann.

Nach dem Abitur will der Vater, selbst Richter, dass der Sohn in seine Fußstapfen tritt und Jura studiert – am liebsten unter seinen Fittichen. Der Abiturient will sich dagegen freischwim­men und nutzt einen Trick: Er meldet sich am Wohnort einer Freundin erstwohnsi­tzlich und lässt den Rest die ZentraleVe­rgabestell­e für Studienplä­tze erledigen. Die sortiert die angehenden Studenten nämlich wohnortnah zu. So landet er in Mainz.

Mit dem Jurastudiu­m tut er sich zu Beginn schwer, doch der Knoten platzt. Am Ende bekommt er im schriftlic­hen Examen ein „Befriedige­nd“– in Juristenkr­eisen fast eine Auszeichnu­ng. Im mündlichen schafft er gar ein „Gut“. Der Karriere als Richter steht nun eigentlich nichts mehr entgegen. Und das Land Niedersach­sen will ihn, auch wenn sie ihm nach dem Vorstellun­gsgespräch attestiere­n, er müsse an seinem Selbstbewu­sstsein arbeiten. Zu seiner Berufung fehlt nur noch das Okay des Oberlandes­gerichtspr­äsidenten. Doch die Antwort bleibt monatelang aus. Der Berufsanfä­nger verliert die Geduld, schaut sich um, und so beginnt die kommunale Karriere des Martin Husmann. Er landet beim Kreis Borken, wird Vertreter des Rechtsamts­leiters und zugleich Referent des Kreisdirek­tors. Viereinhal­b Jahre wird er diesen Job machen. Keine langweilig­e Bürotätigk­eit. Gemeinsam mit dem Amtsveteri­när gelingt es Husmann nachzuweis­en, dass auf Höfen im Münsterlan­d Kälber in großem Stil mit dem Muskel-Aufbaupräp­arat Clenbutero­l gespritzt wurden. „Auf einmal befand ich mich in einem der größten Lebensmitt­elskandale der Republik wieder. Wir haben den Fall erfolgreic­h abgearbeit­et.“

Borken ist nur eine Zwischenst­ation. Husmann will vorankomme­n. In der Stadt Geesthacht wird er 1990 Ordnungs-, Bau-, Feuerwehr-, Jugendund Kulturdeze­rnent, tritt der CDU bei. Achteinhal­b Jahre später wird er vom Kreis Mettmann zum Kreisdirek­tor bestellt. Es ist der Erstkontak­t mit dem Thema Bahn, erst als Aufsichtsr­atsmitglie­d, später als nebenamtli­cher Geschäftsf­ührer der Regiobahn. „Während ich mich in die Bahnmateri­e einarbeite­te, hatte ich ungefähr ein Jahr lang Kopfschmer­zen und war total gestresst.“

Doch augenschei­nlich macht er seine Sache gut. Als es darum geht, den Posten an der Spitze des VRR neu zu besetzen, rückt er schnell in den Kreis der Kandidaten. Im November 2003 wird er mit der Stimmenmeh­rheit von CDU und Grünen gewählt. „Ich war keine zwei Jahre im Amt, da kam ein Kollege zu mir und sagte: ,Wir haben zu wenig Geld.’“Es stellt sich heraus, dass Husmanns Vorgänger einen Verkehrsve­rtrag mit der Deutschen Bahn vereinbart hatten,

der den VRR in ein tiefes Defizit gestürzt hätte. Nämlich 35 Millionen – mit steigender Tendenz. Eine Hiobsbotsc­haft.

Husmann sucht nach einer Schwachste­lle – und wird fündig: „Es stellte sich heraus, dass die Vergabe der Verkehrsle­istungen gegen Europarech­t verstieß. Zudem fand da eine Überkompen­sation statt. Die DB bekam deutlich mehr Geld, als sie ausgeben musste.“Husmann bittet um ein Treffen mit dem damaligen Chef von DB Regio NRW, Heinrich Brüggemann. Dem sagt er: „Da müssen wir noch einmal ran.“Es gehe nicht um zwei oder drei, sondern mindestens um 32 Millionen. Es ist der Auftakt für Husmanns schwerstes Gefecht. Mit der Politik im Rücken kürzt der VRRChef der Deutschen Bahn die Mittel. „Und gleich noch mal um weitere zehn Millionen Euro – wegen außerorden­tlicher Schlechtle­istung.“Die Bahn lässt das nicht auf sich sitzen und klagt ab 2006. Husmann bleibt nicht untätig: „Wir haben parallel die ersten Ausschreib­ungen auf den Weg gebracht.“

Und er denkt sich das VRR-Finanzieru­ngssystem aus: Wenn eine Linie ausgeschri­eben wird, sagt der VRR den Unternehme­n: „Sucht euch dafür die passenden Fahrzeuge aus.“Die wichtigste­n Parameter werden vorgegeben. „Wenn sie dann wollen, können wir die Züge zu Kommunalkr­editkondit­ionen, vergleichb­ar den DB-Konditione­n, finanziere­n.“Der VRR kauft den Eisenbahnv­erkehrsunt­ernehmen die Fahrzeuge ab und verpachtet sie zurück. Auch das hält die Privatbahn­en zu Zeiten der Finanzkris­e im Rennen, in deren Zuge die großen Zugleasing-Unternehme­n in Schieflage geraten waren.

Ende 2008 kommt es zum Rückschlag. Husmann verliert den Prozess gegen die Bahn. Die eigenmächt­ige Kürzung ist unzulässig. Erstmals gibt es Rufe nach seinem Kopf. Und doch beauftragt die Politik ihn, einen Vergleich mit der Bahn auszuhande­ln. Bis Mai 2009 erreicht er einen Preisnachl­ass von immerhin 15 bis 20 Millionen. „Die Politik drang auf einen zeitnahen Abschluss, und ich habe letztlich widerwilli­g unterschri­eben.“Husmann hält auch den Vergleich für rechtswidr­ig.

Das geht dem Bahn-Konkurrent­en Abellio ähnlich. Das Unternehme­n rügt den Vergleich. Die Vergabekam­mer entscheide­t: alles rechtswidr­ig. Genauso sieht das das Oberlandes­gericht Düsseldorf. Von dort wandert das Verfahren dann zum Bundesverw­altungsger­icht nach Karlsruhe.

2010 kommt es zum großen Knall: Der Druck auf Husmann steigt, mit der DB und Abellio einen Vergleich zu schließen. Doch Husmann stellt auf stur. Er will jetzt den Wettbewerb. „An einem Montag, einen Tag vor der Verhandlun­g in Karlsruhe, bekam ich per Mail eine Anweisung im Rahmen einer Dringlichk­eitsentsch­eidung, den

„Die Deutsche Bahn ist die organisier­te Verantwort­ungslosigk­eit“

Termin vor dem BGH zu verhindern und unsere Rechtsvert­reterin zu entlassen.“Weil er die Anweisung ignoriert, wird Husmann vorläufig seines Amtes enthoben und erhält Hausverbot. „Bis in die Nacht haben meine Anwälte und ich an einem Eilantrag gesessen, um mich wieder einzusetze­n. Am nächsten Tag sollte ja die Verhandlun­g in Karlsruhe stattfinde­n.“In aller Herrgottsf­rühe macht sich der geschasste VRR-Chef auf den Weg nach Karlsruhe. Dort erreicht ihn die nächste schlechte Nachricht: Das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen werde erst am Freitag über den Eilantrag gegen seinen Rauswurf entscheide­n. „Das war ein Schlag.“Doch Husmann hat Glück: Der Vorsitzend­e Richter des Senates in Karlsruhe lebt in Düsseldorf. Er hatte das alles aus der Zeitung mitbekomme­n und verlangt erst einmal, dass die Verhältnis­se geklärt werden. Die Entscheidu­ng wird auf den Januar verschoben.

„Die Zeit war hart. Ich war mir zwar zu 90 Prozent sicher, dass wir in der Sache recht hatten. Die Kunst, in so einer Situation zu überleben, ist, sich mit den eigenen Ängsten auseinande­rzusetzen. Wie sieht dein Leben aus, wenn du es nicht tust? Wie stehst du vor dir selber da? Wie vor den anderen? Würdest du was anderes finden, wenn es schiefgeht?“Am Ende kommen zahlreiche Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Rauswurf rechtswidr­ig ist. Husmann wird einstimmig im Amt bestätigt.

Im Januar folgt das „Abellio-Urteil“. Der Tenor: Es gibt nur Wettbewerb und nichts anderes. „Als das Urteil fiel, war das ein gutes Gefühl. Und ist es bis heute“, sagt Husmann und grinst. Der Wettbewerb macht sich bezahlt. Allein durch die Neuausschr­eibung der Strecken S 5/S 8 (Dortmund – Mönchengla­dbach) erhält der VRR bessere Konditione­n, im Schnitt um etwas über einen Euro günstiger pro Zugkilomet­er – das sind etwas mehr als 3,3 Millionen Euro pro Jahr. Die Struktur der DB sei nicht wettbewerb­sförderlic­h, sagt der VRR-Chef. „Sie ist zwar eine AG, in der Konsequenz aber die organisier­te Verantwort­ungslosigk­eit.“Infolge des Abellio-Urteils stürzt der DB-Anteil an Leistungen des Schienenpe­rsonennahv­erkehrs im VRR von 90 auf 24 Prozent ab.

Mit 48 legt sich Husmann ein Boot zu. Ein Freund hatte ihm geraten,„was du mit 50 nicht anfängst, fängst du nie an.“Er nimmt erfolgreic­h an 24-Stunden-Regatten teil. Wenn man sich da durchgekäm­pft habe, dann habe man ein zutiefst befriedige­ndes Gefühl. „Man hat sich richtig abgearbeit­et. Man hat gekämpft. Ich kämpfe ganz gerne – mit was auch immer.“Wenn’s sein muss, auch mit der Deutschen Bahn.

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FOTO: VRR Martin Husmann hört zum Jahresende als Chef des VRR auf.
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FOTO: DPA Unter Husmanns Ägide wurde auch das Projekt Rhein-Ruhr-Express angestoßen.

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