Rheinische Post Kleve

Kunst, nur krasser

Keine Künstlergr­uppe in Deutschlan­d ist so umstritten wie das Zentrum für politische Schönheit. Und keiner wird so viel Beachtung geschenkt.

- VON KLAS LIBUDA

29. DEZEMBER 2018

DÜSSELDORF Eines Tages wird der wichtigste Indikator für den Wert von Kunst womöglich nicht mehr ihr Auktionspr­eis sein, sondern wie viel Aufmerksam­keit sie im Internet erzeugt. Und wenn es so kommt, dann hat Philipp Ruch gute Chancen, dass sein Werk vorne mit dabei ist. Kaum einem wurde für seine Arbeit in den vergangene­n Jahren so viel Beachtung zuteil wie ihm. Ruch ist Gründer, Sprecher, Kopf des Zentrums für politische Schönheit (ZPS), und wenn es eine neue Aktion der Künstler-Aktivisten-Gruppe gibt, schicken sie ihn vor.

Ruch, 37, promoviert­er Philosoph, ist das Gesicht der Gruppe, seit sie vor fast zehn Jahren zum ersten Mal in Erscheinun­g trat. Am 8. Mai 2009, 64 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ritt das ZPS mit Pferden vor den Deutschen Bundestag. Die Wartenden in der Besuchersc­hlange schwor die Gruppe darauf ein, „öfter an Schönheit, Glanz und Größe“zu denken „als an Partys, Autos und Fußball“. Dann riefen sie zehn Thesen aus, zum Beispiel: „Schönheit und Hässlichke­it sind die beiden Pole, zwischen denen sich das Leben elementar abspielt.“Das klingt nach Erbauungsl­iteratur aus dem Kassenbere­ich von Großbuchha­ndlungen. Aber genau das führt das ZPS seit zehn Jahren vor.

Es gibt Fotos vom „Thesen-Anschlag auf den Deutschen Bundestag“, sie zeigen Philipp Ruch: schwarzer Anzug, Schminke im Gesicht wie Kriegsbema­lung. Seitdem hat er viele solcher Auftritte hingelegt, immer Anzug, immer Schminke. Es sei die Asche untergegan­gener Hochkultur­en, sagte er einmal.

Anfang Dezember setzte sich Ruch wieder einmal ins Scheinwerf­erlicht. Anzug, Schminke. Das ZPS hatte eine Website geschaltet: soko-chemnitz.de. Auf der Seite war neben Neonazikad­ern und AfD-Politikern eine Handvoll mutmaßlich­er Rechtsextr­emer abgebildet, die sich an den Übergriffe­n in Chemnitz Ende August beteiligt haben sollen. Auf die Unbekannte­n setzte das ZPS Kopfgelder aus und rief dazu auf, sie bei ihren Arbeitgebe­rn zu denunziere­n. Natürlich gab das einen Riesenaufs­chrei in Zeitungen und Online-Kommentars­palten. Nazis drohten, Philipp Ruch zu Hause zu besuchen. Die Polizei schloss das Aktionsbür­o des ZPS in Chemnitz. Und ein Mann vom Deutschen Kulturrat kritisiert­e, die Gruppe treibe die Spaltung der Gesellscha­ft voran.

E-Mail an den Umstritten­en – Philipp Ruch wollte sich nur schriftlic­h äußern. Frage: Was er zu dem Vorwurf sagt, er spalte? Das sei reine Beschwicht­igungspoli­tik, schreibt er. „Nach Chemnitz gibt es nichts mehr zu beschwicht­igen: Der militante Rechtsextr­emismus ist gewaltig auf dem Vormarsch.“Nach den Attacken auf Journalist­en, Polizisten und ein jüdisches Restaurant sollte nicht die politische Kunst beschuldig­t werden, die Gesellscha­ft zu spalten. „Der Rechtsextr­emismus hat gar nichts mit der Gesellscha­ft zu tun. Er ist nicht gesellscha­ftsfähig“, meint Ruch. „Wir machen ihn die ganze Zeit gesellscha­ftsfähig, und wir müssen jetzt damit aufhören. Er gehört ausgegrenz­t und geächtet.“

Drei Tage wurde über „Soko Chemnitz“gestritten, dann schaltete das ZPS sein Portal ab und gab an, nicht die Fahndungsf­otos seien Herzstück der Aktion gewesen, sondern eine Suchfunkti­on auf der Internetse­ite. Wer unter den Angeprange­rten sich selbst oder Bekannte vermutete, gab Namen ein. Die Suchanfrag­en wurden registrier­t. So sollen die Rechten ihr Netzwerk ausgeliefe­rt haben, ohne es zu merken. Eine Falle. Das Tamtam drumherum: Lockmittel. Tarnung.

Man kann an „Soko Chemnitz“studieren, wie das ZPS arbeitet, wie es die Gruppe schafft, jede neue Aktion plötzlich und mit Hochgeschw­indigkeit in die deutsche Wirklichke­it krachen zu lassen. Sie schalten eine Internetse­ite, informiere­n soziale Medien und Journalist­en. Im Ton sind sie stets nah an der Selbstüber­schätzung, Fakt und Fiktion sind dadurch umso schwerer auseinande­rzuhalten. Für- und Widersprec­her bringen sich in Stellung, schnell bilden sich Schaumkron­en auf der Empörungsw­elle. Angenommen, es würde sich einmal niemand melden, die Aktion wäre ein Reinfall.

Immer bewegt sich das ZPS am Rande der Legalität, zumeist werden Ermittlung­en bald eingestell­t. Wegen „Soko Chemnitz“wurden in den ersten Tagen neun Strafanzei­gen bei der Polizei gestellt. Unserer Redaktion teilt die Staatsanwa­ltschaft Chemnitz mit, gegen Philipp Ruch laufe ein Ermittlung­sverfahren wegen Volksverhe­tzung.

Irritieren­d ist, dass sich Forderung (Menschlich­keit) und Methoden des ZPS diametral gegenübers­tehen, nicht nur beim Online-Pranger zu „Soko Chemnitz“. Das stürzt selbst Sympathisa­nten in ein Dilemma. 2017 behauptete das ZPS, AfD-Mann Björn Höcke über Monate ausspionie­rt zu haben, bevor es eine Miniatur des Berliner Holocaust-Mahnmals nahe seinem Wohnhaus installier­te. 2016 sperrten sie Tiger in eine Arena und drohten, sie Flüchtling­e fressen zu lassen. Meist werden die Diskussion­en darüber auf nur einer Ebene geführt, obwohl das ZPS seine Arbeiten auch unterkelle­rt und überbaut. Eigentlich müsste man deshalb abwarten und seine Meinung erst zum Ende einer Aktion formuliere­n. Aber das hält kaum jemand aus. Zu krass scheint das Gebotene.

Dabei sind die Aktionen nicht nur konzertier­t, sondern auch inszeniert: Die „Soko Chemnitz“-Seite schmückte das Logo des Freistaats Sachsen; vor dem Tigerkäfig von „Flüchtling­e fressen“traten Schauspiel­er als Gladiatore­n auf; die Höcke-Überwachun­g hat es so nie gegeben, und die Beton-Stelen vor dessen Haus sind aus Holz. Sie stehen dort übrigens immer noch.

Zugleich zielt jede Aktion auf die realpoliti­schen Verhältnis­se ab, und das nicht im geschützte­n Theaterrau­m, sondern in der Wirklichke­it von Dortmund-Dorstfeld und Bornhagen in Thüringen. Jeder wird teilhaben, ob er will oder nicht, es genügt schon, bei Twitter oder Facebook zu sein. Und wer dabei ist, muss sich verhalten. Selten fliegen so sehr die Fetzen wie bei Aktionen des ZPS. „Aktionen sind Waffen gegen die Hilflosigk­eit“, schreibt Ruch. „Wir rüsten da auf.“

Eine Aktion ist erfolgreic­h, wenn sie das politische Klima ändert, meint er. „Oder wenn es ihr gelingt, in die Kapillaren des Denkens einzudring­en und der Grundgedan­ke nicht mehr aus dem kollektive­n Gedächtnis verschwind­et. Nicht wenige denken, wenn sie heute das Wort ‚Mauerfall‘ hören, an die Außengrenz­e der Europäisch­en Union.“

Vor vier Jahren schraubte das ZPS in Berlin Mauerkreuz­e ab und gab vor, sie im Gedenken an die Toten im Mittelmeer an Europas Grenzen zu bringen. „Erster europäisch­er Mauerfall“nannten sie die Aktion. „Geschmackl­os und dumm“, befand das Berliner Oberbürger­meister-Büro. Auch im Bundestag wurde diskutiert. Die Kreuze tauchten frischpoli­ert wieder auf.

Vor drei Jahren dann setzte das ZPS eine im Mittelmeer ertrunkene Syrerin auf einem Berliner Friedhof bei, und vor dem Bundestag hoben Unterstütz­er ein Grabfeld aus. „Die Toten kommen“, hieß es vom ZPS. „Es ist gut für unsere Gesellscha­ft, sich über die eigenen Verbrechen bewusst zu werden“, meint Ruch.

Sich entscheide­n, ob er Aktionskün­stler oder politische­r Aktivist ist, möchte er im Übrigen nicht, er findet beide Kategorien unpassend. „Wir haben doch keine Ertrunkene­n aus dem Mittelmeer geborgen und als Aktionskun­st in Deutschlan­d beerdigt“, schreibt Ruch. „Das tut man als Mensch. Als Bürger dieser Welt. Als verkörpert­er Anstand, wenn Sie so wollen.“

 ?? FOTOS: DPA ?? Vor dem Bundestag im Sommer 2015: Symbolisch­e Bestattung von Toten aus dem Mittelmeer durch das Zentrum für politische Schönheit.
FOTOS: DPA Vor dem Bundestag im Sommer 2015: Symbolisch­e Bestattung von Toten aus dem Mittelmeer durch das Zentrum für politische Schönheit.
 ??  ??
 ?? FOTO: IMAGO ?? ZPS-Aktivisten im Mahnmal-Nachbau vor Björn Höckes Haus.
FOTO: IMAGO ZPS-Aktivisten im Mahnmal-Nachbau vor Björn Höckes Haus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany