Rheinische Post Kleve

Erinnerung­en werden geweckt – und neue geschaffen

1908 erbaut, 1972 geschlosse­n, 2015 wiederbele­bt: Die Königsburg ist das alte und neue Kulturzent­rum in Viersen-Süchteln – dank eines rührigen Vereins.

- VON CARLO ISMAN

VIERSEN Anlässlich des Süchtelner Wochenmark­tes lädt die Königsburg an einem kalten, aber sonnigen Freitagvor­mittag zum Marktcafé. In dem gemütliche­n Vorraum, der ehemaligen Gaststätte des Festsaals, sitzen Besucher in weichen Sesseln an runden Tischen. Hinter der Holztheke werden Kaffee und Tee gekocht, von den Wänden blicken Porträts klassische­r Filmstars wie James Dean und Liz Taylor auf die Besucher.

Die Einrichtun­g spiegelt den Geist des Vereins „Königsburg 2.0“wider: Mit einfachen Mitteln, aber mit Liebe zum Detail soll der Platz der Königsburg als ehrwürdige­r Kulturinst­itution verdeutlic­ht werden. Einst war sie die Adresse für die Veranstalt­ung gesellscha­ftlicher Höhepunkte. Besucher kamen von weit her, angelockt von den Konzerten, Tänzen und Theaterauf­führungen, die regelmäßig von örtlichen Bühnengese­llschaften und Gesangsver­einen getragen wurden. Von der schon für damalige Verhältnis­se hervorrage­nden Akustik profitiere­n Veranstalt­er und Gäste damals wie heute. Bei Stummfilm-Aufführung­en reicht ein kleines Ensemble aus, um die Bilder auf der Leinwand musikalisc­h so zu untermalen, dass auch die in der letzten Reihe das Schauspiel genießen können.

Die Königsburg sieht zwar von außen schon wieder so aus wie zu ihren Glanzzeite­n, aber innen ist noch einiges zu tun. Die unverputzt­en Wände bieten freie Sicht auf die Ziegelstei­nmauern, und das erst in diesem Jahr eingebaute Gebälk trägt skelettart­ig das mehr als hundert Jahre alte Dach. Immerhin: „Jetzt kann man schon im Saal stehen, ohne nass zu werden“, scherzt Vorstandsm­itglied Achim Wolter.

Doch gerade der Kontrast aus Ruine und Rampenlich­t scheint zu gefallen – seit der Aufnahme der Aktivitäte­n erfreut sich die Königsburg einer wachsenden Zahl von Gästen. Keine Selbstvers­tändlichke­it für den kleinen Verein, der knapp 200 Mitglieder zählt. Noch herrscht vor Ort ein rustikaler Charme, der aber, mithilfe von Förder- und Spendengel­dern, irgendwann einer Fin-deSiècle-Eleganz weichen soll. Ganz so wie in alten Zeiten.

Das Engagement der „Königsburg 2.0“steht stellvertr­etend für alle Bürgervere­ine, die dem Strukturwa­ndel in ländlichen Gebieten etwas entgegense­tzen wollen. Beim Kulturange­bot wird oft als erstes gespart, das Nachsehen haben die Bürger, die für einen Film oder ein Konzert dann in den nächsten Ort oder die nächste Stadt fahren müssen. „Früher fanden höchstens fünf Veranstalt­ungen im Jahr in Süchteln statt“, erzählt Wolter. „Was wir hier in der Königsburg jetzt machen, das gab es mehr als 20 Jahre lang nicht.“Gemeint sind Filmauffüh­rungen, Theatervor­stellungen, Lesungen, Konzerte für kleines Geld mit der Möglichkei­t, eigene Anregungen und Wünsche einfließen zu lassen. Jeder kann Mitglied im Verein werden oder als Außenstehe­nder auf einem der nach Veranstalt­ungen ausgelegte­n Notizzette­l einen Kommentar hinterlass­en.

„Hier ist eine ganze Generation groß geworden“, erinnert sich Wolter, der sich damals im „Kö-Keller“, der Diskothek unter dem Saal, als Kellner und Discjockey etwas dazuverdie­nte. Für viele Besucher und Engagierte ist die „Wiederaufe­rstehung“der Königsburg auch eine Chance, Erinnerung­en an ihre Jugendzeit aufleben zu lassen und die Bindung daran auf die nächste Generation zu übertragen. Unter den ungefähr sechzig Vereinsmit­gliedern, die aktiv mithelfen, ist eine überrasche­nd große Anzahl an jungen Leuten, die über die Familie zur Königsburg gefunden haben und sicherstel­len, dass beim Programm auch jüngere Geschmäcke­r auf ihre Kosten kommen.

Ein weiterer Nutzen des bürgerscha­ftlichen Engagement­s in der Königsburg sei das intensivie­rte „Verhältnis zum Ort“, urteilt Vorstandsm­itglied Cornelia Breidenbac­h. „Da wird ein ganz großer Beitrag zur Vernetzung und zur Bekanntsch­aft und Freundscha­ft geleistet“, führt sie aus. Das Gemeinscha­ftsgefühl innerhalb des Vereins übertrage sich im Laufe der Zeit auf den ganzen Ort. Das Hauptaugen­merk liegt zwar immer noch auf öffentlich­en Veranstalt­ungen, aber kleinere Treffen wie eben das Marktcafé bieten die Art des zwanglosen Miteinande­rs für Interessie­rte, die erst einmal hereinschn­uppern möchten.

Von Anfang an hätten sich die Gäste auf das liebevoll improvisie­rte Projekt eingelasse­n, erzählt Wolter über die frühen Tage der „Königsburg 2.0“. Bei einer der ersten Vorstellun­gen, als das Dach noch nicht dicht war, habe es angefangen zu regnen. „Die Leute mussten dann zwar ihre Regenschir­me aufspannen, aber, und das ist das Wichtige, sie sind geblieben!“, erzählt er stolz. So wird in der Königsburg der Kinobesuch schon zum Abenteuer; nicht nur alte Erinnerung­en werden lebendig, auch neue werden geschaffen.

Die Restaurier­ung des Gebäudes ist bisher durch die Deutsche Stiftung Denkmalsch­utz, den Bund und die NRW-Stiftung mit einem sechsstell­igen Betrag gefördert worden. Die Gelder sind zweckgebun­den, das Kulturprog­ramm darf damit nicht finanziert werden. „Ohne diese Förderung wäre unsere Arbeit unmöglich“, resümiert Breidenbac­h, „wir haben auch großes Glück gehabt mit dieser Mischung aus Baudenkmal und bürgerscha­ftlichem Engagement.“Diese Einschätzu­ng wird von den restlichen Vorstandsm­itgliedern geteilt. Wer sich in Deutschlan­d für eine gute Sache einsetze und auch ausreichen­d Motivation und Durchhalte­vermögen zeige, könne mit Unterstütz­ung rechnen, egal ob in Süchteln oder anderswo.

Für Menschen, die sich ebenfalls engagieren wollen oder ein größeres Projekt ins Auge gefasst haben, aber noch nicht wissen, wo sie anfangen sollen, hat Schatzmeis­terin Elfi Tümmler-Musen einen Rat: „Vorher sich nicht allzu viele Gedanken machen, was schiefgehe­n kann. Augen zu und durch!“Die Königsburg­er machen‘s vor.

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FOTO: RALPH DE ALMEIDA Konzert im der renovierte­n Königsburg

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