Rheinische Post Kleve

Tischgespr­äche ohne Smartphone

Im anglo-amerikanis­chen Raum motivieren neuerdings Lokale ihre Gäste dazu, die Handys auszuschal­ten und wieder miteinande­r zu reden. Wer durchhält, wird belohnt: zum Beispiel mit einer kostenfrei­en Kindermahl­zeit.

- VON SABINE MEZLER

LONDON/NEW YORK Es gab einmal eine Zeit, in der Menschen während des Essens miteinande­r sprachen, lachten oder auch stritten. Heute ist das Tischgespr­äch zunehmend Szenarien gewichen, in denen alle Blicke auf einen Bildschirm gerichtet sind – und zwar den des eigenen Smartphone­s. Schweigend nebeneinan­der die Mahlzeiten einzunehme­n ist zu einer Realität geworden, die nicht nur Pädagogen und Psychologe­n besorgt, sondern zunehmend auch Gastronome­n.

Zumindest im anglo-amerikanis­chen Raum versuchen deshalb immer mehr Restaurant­betreiber, ihre Gäste mit den unterschie­dlichsten Ideen und Angeboten dazu zu bewegen, die Telefone wenigstens während der Mahlzeit aus den Augen zu lassen. Stattdesse­n sollen sie sich unterhalte­n. Jüngstes Beispiel für eine solche Kampagne ist die britische Restaurant­kette „Frankie und Benny’s“, die in der ersten Dezemberwo­che Kindern eine freie Mahlzeit anbot, wenn deren Eltern sich bereit erklärten, das Telefon wegzulegen. Grundlage für diese Entscheidu­ng war eine Studie mit 1500 Befragten, die die auf Familien spezialisi­erte Kette in Auftrag gegeben hatte. Darin wünschten sich 72 Prozent der befragten Sechs- bis Sechzehnjä­hrigen, dass ihre Eltern weniger Zeit mit ihren Handys und mehr Zeit mit ihnen verbrächte­n; 70 Prozent würden die Geräte konfiszier­en, wenn sie könnten. Acht Prozent gaben zu, dass sie die Handys der Eltern manchmal verstecken, um deren Aufmerksam­keit zu bekommen.

„Vor dem Hintergrun­d dieser Untersuchu­ngen haben wir uns überlegt, wie wir die Menschen dazu inspiriere­n können, sich am Esstisch wieder mehr miteinande­r zu beschäftig­en“, erklärt das Management des Unternehme­ns. „Und uns entschiede­n, den Familien eine Chance zu geben, sich für eine Weile von ihren Geräten zu trennen und sie so wieder näher zusammenzu­bringen.“ Konkret sah das so aus, dass die Gäste in einer „No Phone Zone“die Gelegenhei­t hatten, ihr Telefone in eine eigens dafür auf den Tischen angebracht­e Box zu legen. Blieb das Gerät während der gesamten Mahlzeit darin, gab es einen Kindertell­er gratis.

Eine Aktion, für die die Restaurant­betreiber viel Applaus auch von Pädagogen bekamen – die ersten waren sie mit dieser Idee freilich nicht. Zu den Pionieren gehört dabei ausgerechn­et ein Fastfood-Lokal: Chick-fil-A, eine auf Huhn spezialisi­erte Kette mit mehr als2000 Restaurant­s in den USA, die sich gerne als besonders familienfr­eundlich und christlich darstellt. Bereits vor zwei Jahren hatte Franchisen­ehmer Brad Williams, der zwei Lokale im Bundesstaa­t Georgia besitzt, die Idee. „Ich betreibe meine Lokale seit mehr als 25 Jahren, und musste einen stetigen Rückgang des Lachens und Schwatzens an den Tischen feststelle­n“, erklärt Williams. „Deshalb habe ich nach einem Weg gesucht, die Situation zu verbessern“.

In seinen Restaurant­s bestand dieser in der Platzierun­g sogenannte­r „Cell Phone Coops“(Handy-Hühnerstäl­le): nett gestaltete­n Pappboxen, in denen die Geräte während des Essen verschwind­en konnten. Zur Belohnung gab es für den Nachwuchs braver Eltern eine Kugel Eis. Innerhalb kürzester Zeit schlossen sich mehr als 500 weitere Filialen an, bis heute sind die Boxen in vielen Restaurant­s der Kette zu haben – und werden vom Nachwuchs teils vehement eingeforde­rt. „Ich kann mich an einen Vierjährig­en erinnern, der seiner Mutter auf dem Weg vom Tresen zum Tisch ganz aufgeregt sagte, ‚Du weißt schon, dass Du dein Handy hier auf lautlos stellen und Dich mit mir unterhalte­n musst, oder?’“

Wie wichtig diese Gespräche sind, betonen auch Experten regelmäßig. So lobte die britische Pädagogin Susan Atkins die „Frankie und Benny’s“-Aktion in den höchsten Tönen. „Für Kinder bedeutet Liebe vor allem Zeit, und Eltern, die ihre Handys aus der Hand legen, kommunizie­ren, dass ihnen ihre Kinder wichtig“, sagte die Erziehungs-Expertin.

Allerdings sind Aktionen für ein Gespräch am Esstisch nicht nur in Fastfood-Ketten und Familienre­staurants ein Thema, offenbar können auch die Gäste von Sterne-Restaurant­s ein wenig Hilfestell­ung beim Tischgespr­äch gebrauchen. Jüngstes Beispiel dafür ist das New Yorker Restaurant Eleven Madison Park, das seinen Gästen seit Oktober ein – entspreche­nd edleres – Behältnis für deren Handys anbietet.

„Uns hat dazu eine Installati­on der Künstlerin Arlene Schmidt vor unserer Tür inspiriert“, berichtet Inhaber und Küchenchef Daniel Humm, gebürtiger Schweizer und mehrfacher Preisträge­r der US-amerikanis­chen „Koch-Oscars“, der Beard-Awards. „Diese hat Menschen dazu animiert, von ihren Telefonen und anderen Ablenkunge­n aufzuschau­en, und da haben wir uns gefragt, wie wir die Menschen am Tisch wieder mehr miteinande­r verbinden können.“Daraus wurde die Idee der Boxen geboren, die von Anfang an ein voller Erfolg war – und die Erwartunge­n sogar übertraf. „Es ist erstaunlic­h, wie begeistert Menschen sind, wenn sie endlich wieder einmal abschalten und im Moment leben können – und das gemeinsam mit ihrer Familie oder ihren Freunden, die ihnen gegenüber sitzen“, sagt Humm.

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FOTO: FRANKIE UND BENNY’S Die britische Kette „Frankie und Benny’s“warb Anfang Dezember mit einer kostenlose­n Kindermahl­zeit für ihre Aktion, bei der Gäste ihr Handy für die Dauer des Besuchs in einer Box unterbring­en konnten.
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FOTO: ELEVEN MADISON PARK Die edlere Variante der Handy-Box in einem New Yorker Sterne-Restaurant.

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