Rheinische Post Kleve

Metro und Metropolen

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Für mich ist Bonn eine Großstadt“, erkläre ich einer Freundin, die ich in Madrid besuche. „Immerhin haben wir drei Discos und einen H&M.“Jedes Dorfkind kann sich mit dieser Definition mehr oder weniger identifizi­eren.

Aufgewachs­en zwischen Scheunenfe­ten und Maislabyri­nth, verband ich Großstädte lange Zeit mit einem Shoppingtr­ip nach Oberhausen und Horrorgesc­hichten über Straßenbah­nen, die kleine Kinder umfahren. Inzwischen fahre ich ohne zu Zögern mit den Öffis zur Arbeit und souverän mit dem Auto in einen zweispurig­en Kreisverke­hr. Es ist fasziniere­nd, wie unterschie­dlich wir die Größe von Städten wahrnehmen. Denn nach zwei Jahren in unserer ehemaligen Hauptstadt bin ich genervt, dass es in Kevelaer mehr Kirchen als Kneipen gibt und alle Geschäfte um sechs Uhr schließen. Gleichzeit­ig muss ich schmunzeln, dass Besucher*innen aus der Heimat sich über die Auswahl an Cafés freuen und meine Cousine mit großen Augen die vielen Geschäfte betrachtet.

Dieses dörfliche Verständni­s von einer „großen Stadt“wird jedes Mal auf den Kopf gestellt, wenn ich einen Trip in eine „richtig große Stadt“mache – wie diese Semesterfe­rien nach Madrid und Paris. Während ich den ersten Tag nur fasziniert die Menschenma­ssen angestarrt habe, atmete mein aus Berlin stammender Reisegefäh­rte erleichter­t auf: „Habe ich diese Energie vermisst.“

Egal zu welcher Uhrzeit, egal an welchem Ort trifft man Menschen, die anonym aneinander vorbeilebe­n. Wenn wir abends feiern gehen möchten, stehen uns nicht nur drei Clubs, sondern drei Straßenzüg­e zur Auswahl. Egal an welchen Ort, müssen wir eingequets­cht zwischen Fremden mit der Metro fahren. Das versetzt mich unweigerli­ch zurück in die neunte Klasse, wo ich mit Mitschüler*innen in Berlin in die falsche U-Bahn gestiegen und an irgendeine­m Ort wieder rausgekomm­en bin. Rückblicke­nd ist das kein Wunder: Unsere Erfahrunge­n bestanden größtentei­ls aus einer Bürgerbusf­ahrt nach Wemb.

Dieses Trauma verfolgt mich noch heute, weshalb ich den anderen einfach hinterherl­aufe und schnell über eine rote Ampel renne. Dann fange ich auch langsam an, die Energie zu genießen, die hier alle verbindet und nach unendliche­n Möglichkei­ten schmeckt. Während wir weiter durch die vollen Straßen Madrids laufen, guckt mich meine Freundin aus Mexiko-Stadt amüsiert an: „Für mich ist Bonn ein Dorf. Und Kevelaer ein Garten.“

 ?? FOTO: ROGMANN ?? Jana Rogmann, 20 Jahre alt, kommt aus Kevelaer und studiert im fünften Semester Komparatis­tik und englische Literatur in Bonn. An dieser Stelle berichtet sie alle paar Wochen von ihrem Leben als Studentin.
FOTO: ROGMANN Jana Rogmann, 20 Jahre alt, kommt aus Kevelaer und studiert im fünften Semester Komparatis­tik und englische Literatur in Bonn. An dieser Stelle berichtet sie alle paar Wochen von ihrem Leben als Studentin.

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