Rheinische Post Krefeld Kempen
Der Islam geht baden
NIZZA Eigentlich sieht ein Burkini wie ein Neopren-Anzug aus. Was beide maritimen Kleidungsstücke jedoch grundlegend unterscheidet, ist ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Denn während die Surfer dieser Welt auf Bewunderung oder wenigstens Achtung hoffen dürfen, wird der Ganzkörper-Badeanzug für Musliminnen oft mit Spott bedacht und ist an manchen Stränden Frankreichs sogar verboten.
So wurde jetzt in Nizza von vier Polizeikräften eine Frau angehalten, ihr langärmeliges Oberteil abzulegen. Unüblich sei ein Burkini, hieß es, überdies ein Zeichen von Religiosität und somit eine Textilie, die den laizistischen Frieden Frankreichs stören könnte. Die strikte Trennung von Staat und Kirche macht also auch vor Strand und Badebekleidung nicht halt.
So weit, so unerwartet sittenstreng. Und auch so paradox, findet die Münsteraner Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor: „Auf der einen Seite fordern wir, dass Frauen sich nicht vollverschleiern dürfen und fremdbestimmt sind, auf der anderen Seite zwingen wir Menschen am Strand, sich auszuziehen – und sprechen dann auch noch von Selbstbestimmung, individueller Freiheit und Persönlichkeitsrechten. Damit treten wir hinter unsere eigenen Werte zurück und verraten alle Ideale der Aufklärung“, sagte sie gestern unserer Redaktion.
Kaddor ist gegen die Burka, gegen die Vollverschleierung islamischer Frauen. Unislamisch sei diese, sagt die 38-jährige Tochter syrischer Einwanderer. Doch mit der auch hierzulande umstrittenen Burka hat ein Burkini nicht viel gemein. Er ist eine Chance für muslimische Frauen, schwimmen zu gehen. Kein Zeichen von strenger, fundamentaler Religiösität. Natürlich ist auch diese Textilie nach den Worten Kaddors ein Kompromiss. Aber er hat sich im Islam durchgesetzt und wird als Zeichen begrenzter Emanzipation gesehen. Der Burkini ist keine verwirklichte Gleichberechtigung; er ist aber die Option, am Gesellschaftsleben teilzunehmen.
Das ist auch der Ursprung des Burkinis, den es in seiner heutigen Form seit 2004 gibt. Aheda Zanetti ist seine Erfinderin, die in der 1970er Jahren aus dem Libanon nach Sydney flieht und als streng erzogene Muslimin ihren Töchtern in der neuen Welt auch das ermöglichen möchte: schwimmen zu gehen wie die anderen Kinder. Der Burkini ist so gesehen eine hausgemachte Notlösung, aber doch eine Lösung. Denn mit dem zweiteiligen Anzug inklusive Kopfbedeckung wurde es Musliminnen möglich, öffentlich baden zu gehen, Rettungsschwimmerin zu werden, Sport zu treiben und auch am Schulunterricht teilzunehmen. Vor knapp drei Jahren entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das muslimische Schülerinnen nicht vom koedukativen Unterricht befreit werden, wenn sie einen Burkini tragen können.
Das nun in Frankreich reklamierte Textil trägt weniger zur Abschottung und Ausgrenzung bei. Es fördert die Integration muslimischer Frauen auch in westlichen Gesellschaften. Für Kaddor ist die ganze, jetzt aufkommende Burkini-Debatte eine Scheindebatte und „Ausdruck unserer hysterischen Reaktionen auf Überfremdungsängste“.
Die Frage bleibt: Wie viel Burka steckt im Burkini? Zumindest sprachlich ist diese Frage leicht zu beantworten, da für die noch junge Schwimmbekleidung ein sogenanntes Schachtelwort ersonnen wurde, zusammengesetzt ist aus den an Gegensätzlichkeit kaum zu überbietenden Begriffen Burka und Bikini. Ein skurriles Zwitterwesen also: zwischen einem Textilgefängnis, das die Trägerin von der Öffentlichkeit ausschließt, und einem modischen BadeAccessoire westlicher Provenienz, das größtmögliche Freizügigkeit gewährt. Der wesentliche Unterschied aber liegt darin, welche Würde das jeweilige Kleidungsstück seiner Trägerin zuspricht. Während die Burka Frauen gesichtslos macht und ihnen jede Individualität raubt, ist der Burkini in den meisten Fällen ein Badeanzug, der von den Frauen selbst gewählt wird.
Burkini-Trägerinnen können am Strandleben teilnehmen; sie bleiben erkennbar, werden mehr integriert denn ausgegrenzt. Auch vor diesem Hintergrund ist es für Lamya Kaddor „beschä-