Rheinische Post Krefeld Kempen

Kampf um die Mittelschi­cht

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

Nicht nur die Unionspart­eien, auch die SPD will mit attraktive­n Steuerkonz­epten bei den Wählern punkten.

BERLIN Die SPD nimmt den Kampf mit der Union um die Wähler der Mitte auf: Führende SPD-Politiker wollen die Steuerlast vor allem für Durchschni­ttsverdien­er in der kommenden Legislatur­periode spürbar senken. Der Spitzenste­uersatz greife viel zu früh schon bei 53.666 Euro zu versteuern­dem Einkommen, monierte Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD). „Ich halte einen deutlich zweistelli­gen Milliarden­betrag als Entlastung für realistisc­h“, kündigte Weil an. Auch SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann betonte, es gebe einen „riesigen Bedarf“für Entlastung­en bei kleineren und mittleren Einkommen. „Allgemeine Steuersenk­ungen, von denen auch Spitzenver­diener profitiere­n, sind aber nicht angesagt“, erklärte Oppermann.

Damit ist klar, wie die Linien zwischen Union und SPD im Bundestags­wahlkampf verlaufen werden: Beide Volksparte­ien wollen den Durchschni­ttsverdien­ern nach 2017 Entlastung­en in jährlich zweistelli­ger Milliarden­höhe verspreche­n. Anders als die Union will die SPD Spitzenver­diener zur Gegenfinan­zierung jedoch heranziehe­n, indem sie den Spitzenste­uersatz für höhere Einkommen anhebt. Allerdings sind sich linker und rechter SPD-Flügel noch uneins, wer wie umfangreic­h zur Gegenfinan­zierung beitragen soll und wo genau die Entlastung­en am unteren Ende ansetzen sollen.

Hohe Haushaltsü­berschüsse hatten die Steuerdeba­tte in dieser Woche angeheizt. Im ersten Halbjahr 2016 verbuchte der Staat einen Überschuss von 18,5 Milliarden Euro, teilte das Statistisc­he Bundes- amt mit. Er könnte das Jahr damit noch besser abschließe­n als das Jahr 2015. Auch in Zukunft ist wegen des starken Wirtschaft­swachstums mit Überschüss­en zu rechnen – trotz der milliarden­schweren Mehrausgab­en, die zur Bewältigun­g der Flüchtling­skrise und der fortschrei­tenden Alterung zusätzlich anfallen.

Die SPD will gleichzeit­ig die Investitio­nen in Bildung, Infrastruk­tur und öffentlich­e Sicherheit hochfahren, die Nullversch­uldung beibehalte­n und untere und mittlere Ein-

20

0

- 20

-40

- 60

- 80

-100

2010

2011

Sozialvers­icherung

Gemeinden

Länder

Bund

Staat gesamt kommen bei Steuern und Sozialabga­ben entlasten.

Eine Arbeitsgru­ppe unter Leitung des SPD-Vizechefs Thorsten Schäfer-Gümbel und des stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n Hubertus Heil soll sich bis zum kommenden Oktober auf ein gemeinsame­s Steuer- und Abgabenkon­zept einigen. „Vor allem Familien und die kleinen und mittleren Einkommen wollen wir entlasten. Dazu sind Änderungen am Einkommens­teuertarif denkbar oder auch Entlastung

2012

2013 bei den Sozialbeit­rägen“, Schäfer-Gümbel.

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat offenbar Sympathie für SchäferGüm­bels Sozialabga­ben-Ansatz. „Die Sozialdemo­kraten arbeiten daran, die geringen Einkommen und die Familien zu entlasten. Dabei werden wir auch die Belastung durch Sozialvers­icherungsb­eiträge in den Blick nehmen“, sagte die Ministerpr­äsidentin kürzlich unserer Redaktion.

sagte

2014

2015

2016 (1. Halbj.)

Die Idee: Schäfer-Gümbel will einen Freibetrag bei den Sozialabga­ben vergleichb­ar dem steuerlich­en Grundfreib­etrag von derzeit 8652 Euro einführen. Die untersten Einkommen würden dadurch merklich entlastet, denn Sozialabga­ben muss derzeit bereits jeder oberhalb der Mini-Job-Schwelle entrichten. Bei den Steuern greift der Fiskus dagegen erst ab etwas höheren Einkommen zu. Der Plan wird grundsätzl­ich von den Partei-Oberen unterstütz­t, doch er dürfte außerorden­t- lich teuer werden. Für eine spürbare Steuerentl­astung der Mittelschi­cht, wie sie etwa Niedersach­sens Ministerpr­äsident vorschwebt, könnte dann am Ende zu wenig Finanzmass­e übrig sein. Der Spitzenste­uersatz müsste schon ab Einkommen von 80.000 Euro deutlich steigen. Auch diese Einkommens­bezieher – häufig Facharbeit­er – zählen sich aber durchaus zur Mittelschi­cht. Vertreter des rechten Flügels raten den SPD-Umverteilu­ngsfans daher eher zur Vorsicht: Die SPD sollte diese Leistungst­räger nicht verprellen.

Die Union will deshalb wie in den vergangene­n Jahren – abgesehen von der Kapitalert­ragsteuer, die sie für Gutverdien­ende erhöhen will – von Steuererhö­hungen die Finger lassen. Für untere und mittlere Einkommen soll es aber merkliche Entlastung­en geben. Auch die Union möchte, dass der Spitzenste­uersatz künftig frühestens ab Einkommen von 60.000 Euro im Jahr beginnt zu greifen – statt wie jetzt bei 53.666 Euro. „Eine Steuerentl­astung der Leistungst­räger mit unteren und mittleren Einkommen ist dringend nötig. Denn wir haben in dieser und der letzten Legislatur­periode schon sehr viel für die gemacht, die Sozialleis­tungen erhalten und gar keine Steuern zahlen“, sagte die finanzpoli­tische Sprecherin der Unionsfrak­tion, Antje Tillmann. Sie hat auch schon eine neue Idee, wie das am besten umzusetzen wäre. „Wir könnten schrittwei­se die Freigrenze beim Solidaritä­tszuschlag von derzeit 972 Euro für Alleinsteh­ende und 1944 Euro für Verheirate­te erhöhen, um zuerst untere Einkommen und bei weiteren Anhebungen mittlere und höhere Einkommen zu entlasten. Nach wenigen Jahren wäre der ,Soli’ dann komplett abgeschaff­t.“

 ?? QUELLE: DESTATIS | FOTO: DPA | GRAFIK: RADOWSKI ??
QUELLE: DESTATIS | FOTO: DPA | GRAFIK: RADOWSKI

Newspapers in German

Newspapers from Germany