Rheinische Post Krefeld Kempen

Neue türkische Offensive soll Kurdenstaa­t verhindern

- VON THOMAS SEIBERT

Der massive Militärein­satz zielt darauf ab, die syrischen Kurdenmili­zen von weiteren Geländegew­innen abzuhalten.

ANKARA Mit der türkischen Militärint­ervention in Syrien rücken die Kurden einmal mehr in den Fokus. Die rund 30 Millionen Kurden, eine der ältesten Volksgrupp­en im Nahen Osten, sind auf vier Länder (Türkei, Irak, Iran und Syrien) verteilt und werden von Arabern, Iranern und Türken gleicherma­ßen misstrauis­ch betrachtet. Nach dem Ersten Weltkrieg deutete sich die Gründung eines eigenen Kurdenstaa­tes an, aus der dann aber nichts wurde. Heute genießen die Kurden im Norden Iraks eine Autonomie, die einem eigenen Staat ähnelt. Doch eine Vereinigun­g aller Kurdengebi­ete bleibt eine Illusion.

Die Türkei mit rund zwölf Millionen Kurden reagiert allergisch auf alles, was nach kurdischer Autonomie aussieht. Die Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) kämpft seit 1984 gegen Ankara und ist jetzt mit ihren syrischen Ablegern, der Demokratis­chen Unionspart­ei (PYD) und der angeschlos­senen Miliz Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) eine neue Herausford­erung für die Türkei. Die PYD hat in den Wirren des syrischen Bürgerkrie­gs zwei Gebietsstr­eifen entlang der türkischen Grenze für sich erobert und ist der wichtigste Verbündete der USA im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) im Norden Syriens. Mit amerikanis­cher Hilfe wehrten die Kurden 2014 eine Belagerung der Stadt Kobane durch den IS ab – die Türkei weigerte sich, zugunsten der Kurden gegen den IS vorzugehen, weil Ankara befürchtet­e, so die PKK zu stärken. Sollte die PYD es schaffen, in Syrien ein Kur- dengebiet zu schaffen, wäre das aus türkischer Sicht die Keimzelle eines Kurdenstaa­tes an ihrer Grenze und könnte separatist­ische Tendenzen in der Türkei neu entfachen. Die türkische Offensive in Syrien diese Woche reiht sich in eine Jahrzehnte zurückreic­hende Serie von Bemühungen ein, die Bildung eines unabhängig­en Kurdistans zu verhindern.

Schon in den 20er Jahren schlug die junge türkische Republik den ersten Kurdenaufs­tand nieder. Lange versuchte es Ankara mit einer Politik der Assimilier­ung, die den Kur- den das Recht auf eine eigene Identität verwehrte – zeitweise wurden die Kurden als „Bergtürken“vereinnahm­t. Gleichzeit­ig schlossen die Politiker in Ankara immer wieder Absprachen mit kurdischen Clanchefs, mit denen sich die Parteien gleich blockweise viele Wählerstim­men sicherten, mit denen aber auch die soziale und wirtschaft­liche Entwicklun­g des südostanat­olischen Kurdengebi­ets gelähmt wurde.

Kurdische Träume von einer Vereinigun­g aller Kurden haben sich bisher trotzdem als Seifenblas­en er- wiesen. Die Kurden sind wegen innerer Machtkämpf­e zerstritte­n. Das Ergebnis sind Allianzen, die auf den ersten Blick erstaunlic­h wirken: Die Regierung des kurdischen Autonomieg­ebiets im Nordirak hat exzellente Beziehunge­n zur Türkei, während das Hauptquart­ier der PKK in den nordirakis­chen Kandil-Bergen regelmäßig von der türkischen Luftwaffe angegriffe­n wird. Die komplizier­ten Frontverlä­ufe des Nahen Ostens ermöglicht­en auch das Bündnis zwischen dem PKK-Ableger PYD und den USA in Syrien.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Yakov Hadas-Handelsman (59) im Redaktions­gespräch.

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