Rheinische Post Krefeld Kempen

„Deutschlan­d hat sich seinen Rang verdient“

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Israels Botschafte­r fordert Wachsamkei­t gegenüber Antisemiti­smus unter Flüchtling­en. Und er lobt Deutschlan­ds neue Rolle in der Welt.

Es ist drückend heiß, als Israels Botschafte­r in der Redaktion eintrifft. „Israelisch­es Wetter“, sagt er schmunzeln­d. Und auch im nachfolgen­den Gespräch weist er immer wieder auf Gemeinsamk­eiten zwischen Deutschlan­d und Israel hin. Herr Botschafte­r, Israel ist ein Einwanderu­ngsland. Können wir von Ihnen lernen, wenn es um die Integratio­n von Flüchtling­en geht? HADAS-HANDELSMAN Es gibt sicherlich Dinge, die als Vorbild dienen können, denn die Hilfe zur Einbürgeru­ng ist in Israel tatsächlic­h sehr gut organisier­t. Aber es gibt einen bedeutsame­n Unterschie­d zu den Flüchtling­en, die in den vergangene­n Monaten nach Deutschlan­d gekommen sind. Die meisten Einwandere­r nach Israel sind Juden. Sie kommen zwar aus sehr unterschie­dlichen Ländern, aus sehr unterschie­dlichen Milieus, aus ganz anderen Kulturen. Sie kommen in ein ihnen völlig fremdes Land, und trotzdem fühlen sie sich vom ersten Tag an in ihrer Heimat. Es ist fast wie eine Rückkehr, obwohl sie nie in Israel gewesen sind. Diese starke Identifika­tion macht es zumindest leichter, sich zu integriere­n. Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden, hat vor einem neuen Antisemiti­smus gewarnt, weil die meisten Flüchtling­e aus arabischen Ländern stammen, in denen die Feindschaf­t zu Israel tief verwurzelt ist. Teilen Sie seine Befürchtun­g? HADAS-HANDELSMAN Ja, das tue ich. Und ich bin damit nicht der Einzige. Die Bundeskanz­lerin und andere deutsche Politiker haben ja ebenfalls davor gewarnt. Diese antisemiti­schen Ressentime­nts sind eine Realität, vor der wir nicht in falsch verstanden­er Toleranz die Augen verschließ­en dürfen. Viele dieser Menschen kommen aus Diktaturen, wo die Mächtigen den Hass auf Isra- el und die Juden stets geschürt haben, um vom eigenen Versagen abzulenken. Wir müssen diese Vorurteile mit Bildung bekämpfen, Genauso wie den Antisemiti­smus, den es in Deutschlan­d schon lange vor der Flüchtling­swelle gab. Antisemiti­smus ist immer nur ein Teil von Ausgrenzun­gen von Minderheit­en, religiösen, politische­n, sexuellen. Daher sind alle Mitglieder einer freien und demokratis­chen Gesellscha­ft verpflicht­et, gegen Antisemiti­smus aufzustehe­n. Nicht nur, um Juden zu helfen, sondern sich selbst. Seit einigen Jahren gewinnt in Europa wegen der israelisch­en PalästinaP­olitik eine Boykott-Kampagne gegen israelisch­e Produkte an Fahrt. Ist das auch antisemiti­sch? HADAS-HANDELSMAN Selbstvers­tändlich darf man die israelisch­e Regierung für ihre Politik kritisiere­n! Aber wir müssen leider immer wieder die Erfahrung machen, dass sich hinter an sich legitimer Israel-Kritik häufig ganz andere Motive verstecken. Vordergrün­dig richtet sich die Kampagne gegen die Besatzung. Wenn Sie sich die Forderunge­n aber genau anschauen, dann müssen Sie zu dem Schluss kommen, dass sie sich gegen das Existenzre­cht von Israel richten: Eine Grundforde­rung ist die sogenannte Rückkehr von Millionen in alle Welt verstreute­n Palästinen­sern an den Wohnort ihrer Vorfahren. Dieser künstliche Flüchtling­sstatus wird bereits in der vierten Generation erhalten. In Wirklichke­it geht es darum, den jüdisch-demokratis­chen Charakter Israels auszulösch­en. Diese Absicht ist eine Form von Antisemiti­smus. Trotzdem: Vor allem wegen der Siedlungsp­olitik steht Israel seit Langem internatio­nal in der Kritik. Haben Sie da nicht doch Fehler gemacht? HADAS-HANDELSMAN Wir haben in der Vergangenh­eit bewiesen, dass Siedlungen keinem Friedenssc­hluss im Weg stehen würden. Wir haben uns vom Sinai zurückgezo­gen und dort Siedlungen aufgegeben. Wir haben den Gazastreif­en geräumt und dort Siedlungen abgerissen. Nichts ist unumkehrba­r, außer dem menschlich­en Leben. Die Annahme, Siedlungen seien das Hindernis für den Frieden, ist aber falsch. Vor 1967 gab es keine Besatzung, keine Siedlungen, keinen palästinen­sischen Staat – und wir wurden trotzdem angegriffe­n. Wie könnte eine Lösung aussehen? HADAS-HANDELSMAN Eine Lösung kann es nur auf dem Weg direkter Verhandlun­gen zwischen Israel und den Palästinen­sern geben, mit dem Ziel zweier Staaten, eines palästinen­sischen und eines jüdischen Nationalst­aats. Und natürlich wird eine solche Lösung Zugeständn­isse von beiden Seiten verlangen. Wir haben aber leider nicht den Eindruck, dass die palästinen­sischen Politiker den Mut haben, solche Kompromiss­e einzugehen. Das sehen wir am bereits geschilder­ten sogenannte­n Rückkehrre­cht. Das ist natürlich völlig unrealisti­sch. Und das wissen diese Politiker auch. Aber sie sagen ihren eigenen Bürgern nicht die Wahrheit. Können wir von Israel lernen, was den Umgang mit dem Terror angeht? HADAS-HANDELSMAN Wir haben uns leider in Israel an eine dauerhafte Bedrohung gewöhnen müssen. Die strikten Sicherheit­svorschrif­ten sind zwar manchmal lästig, aber sie werden akzeptiert. Solange die Behörden alles tun, um die Bedrohung so gering wie möglich zu halten, wollen die Bürger ein Leben führen, das so normal wie möglich ist. Und ich habe schon festgestel­lt, dass viele Menschen in Deutschlan­d unseren Sicherheit­saufwand neuerdings mit deutlich anderen Augen sehen, seit es leider auch in Europa blutige Terroransc­hläge gegeben hat. Israels Existenz, so hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel einmal gesagt, sei deutsche Staatsräso­n. Wie ernst nehmen Sie diese Aussage? HADAS-HANDELSMAN Sehr ernst. Es ist ein Freundscha­ftsbeweis, auch wenn wir diese Aussage von Frau Merkel nicht so bewerten, dass wir eines Tages deutsche Soldaten zu unserem Schutz anfordern würden. Israel hat seine eigene Doktrin und die besagt, dass wir jederzeit in der Lage sein müssen, uns alleine zu verteidige­n. Das ist eine Lehre aus dem Holocaust. Aber natürlich ist es gut, wenn man Freunde hat, die einen unterstütz­en. Deutschlan­d ist einer dieser Freunde, auf die wir dabei zählen können. Wie sieht man in Israel Deutschlan­ds neue, auch militärisc­h gewachsene Rolle in der Welt? HADAS-HANDELSMAN Wir wissen, dass sich Deutschlan­d nicht danach gedrängt hat. Die Welt hat sich verändert, also musste sich auch Deutschlan­d verändern. Es war keine Option für ein so wichtiges und wirtschaft­lich starkes Land, einfach nur zuzuschaue­n, während sich die Lage rundherum zuspitzt. Heute basiert unsere besondere Beziehung zu Deutschlan­d auf zwei Säulen – der Vergangenh­eit, die immer da sein wird. Und der Gegenwart, in der wir viele gemeinsame Projekte verfolgen. Aber all dies wäre nicht möglich gewesen, wenn Deutschlan­d sich nicht in so vorbildlic­her Weise mit den dunklen Seiten seiner Geschichte auseinande­rgesetzt hätte. Deutschlan­d hat sich seinen neuen Rang in der Welt verdient. M. BEERMANN, M. BRÖCKER UND S. WEIGEL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH. DAS INTERVIEW FINDEN SIE IN VOLLER LÄNGE AUF: WWW.RP-ONLINE.DE

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