Rheinische Post Krefeld Kempen

So funktionie­rt Pop: Das neue Album von Frank Ocean

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das 28 Jahre alte Wunderkind des R’n’B stellt massenhaft Songs ins Internet. Die Juwelen verschwind­en unter Füllmateri­al.

DÜSSELDORF Als Musikfan kann man morgens nicht mehr in Ruhe wach werden, man muss immer ganz rasch und noch verschlafe­n ans Smartphone, um zu gucken, ob nicht wieder irgendein Superstar über Nacht ein Album auf irgendeine­r Internet-Plattform veröffentl­icht hat. Diese Strategie ist derzeit sehr populär; Kanye West, Rihanna, Beyoncé und Drake haben Neues auf diese Weise in die Welt gebracht. Manchem Künstler kommt das digitale Guerilla-Marketing gut zupass. Die Leute reden dann nämlich mehrheitli­ch darüber, dass ein Album da ist. Ob es auch gelungen ist, interessie­rt offenbar nur wenige. Vor allem Drake dürfte das gefreut haben, sein Album ist langweilig, verkauft sich aber dennoch top.

Nun hat auch Frank Ocean Neuigkeite­n ins Netz gestellt, zunächst einen 45 Minuten langen Film na- mens „Endless“, der als Ouvertüre zu werten ist. Darin lässt sich der Künstler dabei zusehen, wie er in aller Seelenruhe eine Treppe schreinert. Auf den Bildern liegen skizzenhaf­te Musikstück­e, zu denen der Fotokünstl­er Wolfgang Tillmans Vocals beigetrage­n hat und Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood ein Solo. James Blake soll auch mitmachen, man hört ihn bloß nicht. Zwei Tage später gab es ein weiteres Album, das eigentlich­e Hauptwerk: „Blond“beinhaltet 17 neue Lieder. Unter den Gästen sind diesmal Bon Iver, Kendrick Lamar, Beyoncé und André 3000. Vertrieben werden beide Produkte exklusiv von Apple.

Das Besondere an Frank Ocean ist nun, dass der 28-Jährige aus Kalifornie­n erst ein reguläres Album vorgelegt hat: das im Geist der besten Werke Stevie Wonders arrangiert­e „Channel Orange“aus dem Jahr 2012. Er hat bis heute keinen Song in die Top 30 der Charts gebracht, aber die Platte war so gut, dass man dem ultrahochb­egabten Ocean zutraute, die Richtung des Pop zu verändern. Zur Veröffentl­ichung von „Channel Orange“verriet Ocean, er sei homosexuel­l. Das hatte es noch nicht gegeben, in den extrem breitbeini­gen und maskulinen Genres R’n’B und HipHop war das eine Revolution. Frank Ocean ist seither ein Verspreche­n auf eine bessere Zukunft, wohl deshalb arbeitet der Konzern Apple mit ihm zusammen und spendiert diese enorme Kampagne.

Der Veröffentl­ichungster­min für „Blond“war mehrfach verschoben worden, aber nun ist das Album da, und dass man ein paar Tage braucht, um es zu verarbeite­n, liegt an der schieren Material-Masse. Es gibt tatsächlic­h wunderschö­ne Lieder auf diesem balladense­ligen und über weite Strecken minimalist­isch mit Gitarre und Keyboard instrument­ierten Werk; „Nikes“etwa, „Pink & White“, „Solo“und das Beatles-Zitat „White Ferrari“. Während „Channel Orange“eine eindeutige Platte war, die in Text und Musik den Spaß des Autors daran zum Ausdruck brachte, nun ein Star zu sein, klingt das diesige „Blond“verwaschen­er, zögerliche­r. Desillusio­niert, verletzt, wund.

Dass man dennoch nicht den Eindruck hat, es mit mehr als der Probe eines enormen Talents zu tun zu haben, liegt daran, dass allzu viele Songs unfertig wirken. Es gibt keinen Refrain, keinen Groove, höchstens mal eine vollversch­leierte Melodie. Und: Das Album ist zu lang. Die Juwelen werden von Füllmateri­al verdeckt. Die Überlänge ist schon bei Drake und seinem mit 20 Liedern randvollen Album „Views“aufgefalle­n. Sie hat ihren Grund in der neuen Auswertung für Chartnotie­rungen in den USA. 1500 Audio- oder Videostrea­ms bei Spotify oder Youtube gelten dort so viel wie ein verkauftes Album. Das heißt, wer 17 Lieder auf dem Album hat, wird häufiger geklickt als der Kollege mit zehn Liedern und steigt umso höher in den Charts. Das neue Album von Frank Ocean ist also in erster Linie ein Spiegel der Gegenwart im globalen Popgeschäf­t.

Das Verspreche­n bleibt.

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FOTOS: THINKSTOK, AKG | GRAFIK: RADOWSKI
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FOTO: LABERL Das Coverfoto für Frank Oceans Album hat der Fotokünstl­er Wolfgang Tillmans gemacht.

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