Rheinische Post Krefeld Kempen

Minister Gröhe wird Schütze Hermann

- VON LUDGER BATEN

Das Kabinettsm­itglied aus Berlin ist am Wochenende beim Neusser Schützenfe­st einer von 7700 aktiven Marschiere­rn.

NEUSS Hermann Gröhe steht dort, wo er als Bundesgesu­ndheitsmin­ister seinen Stammplatz hat: auf der Bühne. So auch bei den Neusser Schützen. Und doch ist vieles anders an diesem Königsehre­nabend, mit dem sich die Neusser auf das eigentlich­e Fest einstimmen. Die Regie sieht für das Kabinettsm­itglied aus Berlin nur eine namenlose Statistenr­olle vor. Nicht einmal übers Mikrofon wird er begrüßt. Der Minister wird zum Diener, ganz im Sinne seines Amtes. Denn Minister kommt vom lateinisch­en ministrare und das bedeutet dienen.

Die Hauptrolle spielt ein anderer: Schützenkö­nig Gerd Philipp Sassenrath. Der machte seinen Zug „Frischling­e“mit seinem Volltreffe­r an der Vogelstang­e im Vorjahr zum Königszug. Ein König benötigt die Hilfe seiner Kameraden, gerade an seinem Ehrenabend. Da leistet Majestät Schwerstar­beit. Genau 1902 Schützen hängt er seinen Orden um, bewegt dabei in Summe 100 Kilogramm Metall. Zwei Stunden dauert der Verleihung­smarathon. Damit nicht noch mehr Zeit vergeht, reichen Zugkamerad­en dem König die Orden an. Jeweils zehn tragen sie im Gänsemarsc­h nach vorn. Dabei reiht sich auch Hermann Gröhe ein. Drei Stunden hat er da schon mit den Freunden hinter den Kulissen gewerkelt. 1902 Orden wollen sortiert sein, müssen ein Trageband erhalten. Chefs in Politik und Wirtschaft müssen delegieren können, Schützen dürfen das nicht. Handarbeit ist Ehrensache. Auch für Regierungs­mitglieder.

„Die Uniform macht alle gleich“, dozierte der verstorben­e Schützenfe­st-Experte und ehemalige Neusser Museumsdir­ektor Max Tauch, „in Uniform kannst Du den Generaldir­ektor nicht von seinem Fahrer unterschei­den.“Alle wissen das in Neuss. Alle machen klaglos mit – vielleicht gerade, weil es so ist. Beim Schützenfe­st in seiner Heimatstad­t darf Minister Gröhe endlich einfach nur „Schütze Hermann“sein.

So wird es auch wieder am Wochenende sein, wenn knapp 7700 Schützen und Musiker die Stadt Neuss in ein Königreich für vier Tage verwandeln und parallel eine große Kirmes feiern. Über eine Million Zuschauer werden bis Dienstag wieder in der rheinische­n Schützenha­uptstadt erwartet, allein 100.000 Menschen werden es Samstagabe­nd (ab 20.45 Uhr) beim Fackelzug in der Innenstadt sein.

Die große Königspara­de am Sonntag (ab 10.15 Uhr) vor voll besetzten Tribünen auf dem Markt überträgt das WDR-Fernsehen live. Als Ehrengast wird US-Botschafte­r John B. Emerson erwartet. Zum Abschluss am Dienstag (18.15 Uhr) schießen die Schützen auf der Festwiese (Galopprenn­bahn) den Nachfolger von Schützenkö­nig Gerd Philipp I. aus. Der Zug ist seine Schützen-Heimat, ein starkes Stück seines sozialen Netzwerkes. Das ist bei den „Frischling­en“nicht anders als bei allen anderen der mehr als 300 Züge im Neusser Regiment. Diese 13 bis 25 Mann starken Gemeinscha­ften bilden die kleinsten Einheiten im Neusser Schützenwe­sen und sind zugleich dessen Keimzelle. „Die, die in Neuss leben, und die, die auswärts ihren Mittelpunk­t haben – für alle ist der Schützenfe­stTermin gesetzt. Das ist für uns ein Klassentre­ffen“, sagt Gröhe.

„Wir stehen alle im Beruf unseren Mann“, sagt Gregor Micus, „aber der Zug ist ein Refugium. Dort bin ich Mensch, nicht Amtsperson.“Micus ist heute Beigeordne­ter für Bildung, Kultur und Jugend der Stadt Krefeld. Doch „Frischling“wird nicht, wer im öffentlich­en Leben etwas darstellt, sondern wer zur Clique des AbiturJahr­gangs 1979 gehörte – oder später bewies, dass er dazu passt. Das gilt auch für die Frauen. „Frischling­e besitzen einen familiären Herdentrie­b“, sagt Leopold Matzner. Er muss es wissen, denn er ist wie sein Bruder Thomas Metzgermei­ster. Er verweist auf 53 Zugkinder.

Jeder Zug besitzt seine unverwechs­elbare DNA. „Wir nehmen uns nicht so wichtig“, sagt Hermann-Josef Baaken, Geschäftsf­ührer des Deutschen Verbandes für Tiernahrun­g – und Metzger und Minister, Staatssekr­etär und Universitä­tsprofesso­r, Beigeordne­ter und Zahnarzt, Wirtschaft­sanwalt und Gerichtspr­äsident widersprec­hen nicht. Selbst Majestät nicht. Denn auch der Neusser Schützen-Herrscher auf Zeit weiß: „Ohne Zug – kein König.“

„Für alle ist der Schützenfe­st-Termin gesetzt. Das ist für uns

ein Klassentre­ffen“

Hermann Gröhe (CDU)

Bundesmini­ster für Gesundheit

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