Rheinische Post Krefeld Kempen
DUISBURGER WERKSTATT FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG (15/20) Chancen-Bringer statt Verwahrstation
Früher ging es bei Behinderten-Werkstätten oft um „Beschäftigungstherapie“. In Duisburg zeigen sie, dass es auch anders geht.
DÜSSELDORF Die Unternehmenszentrale ist ein typischer ManagerBau: viel Glas, dunkle Möbel, Konferenzräume. Hier werden Geschäfte gemacht, das ist die Botschaft – zumindest auf den ersten Blick. Denn dann sind da auch noch die Besucherparkplätze mit den Schildern „Für Freunde“statt „Kunden“; und die Türgriffe, die überall etwas tiefer hängen, damit sie auch von Rollstuhlfahrern problemlos erreicht werden können. Und natürlich sind da noch die Treppen mit Blindenschrift am Geländer. Das ist dann eben nicht mehr so typisch.
Und genau das gefällt Roselyne Rogg so an ihrem Job. Seit 2009 ist sie Geschäftsführerin der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Davor war die gelernte Steuerberaterin unter anderem bei einem Energieunternehmen tätig. Doch dann entdeckte sie die Stellenanzeige: „Ich dachte nur: Die suchen mich.“Rogg bewarb sich, bekam die Stelle und zog nach Duisburg: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass ich etwas richtig Sinnvolles mache.“
Mit Rogg, das muss man so sagen, wandelte sich auch die Werkstatt. „Wir möchten Vorreiter darin sein zu zeigen, was Menschen mit Behinderung alles können“, sagt sie. Denn oftmals sind die Werkstätten vielerorts noch immer eher Verwahrstellen. Das reichte Rogg nicht.
Sie wollte, dass die Werkstätten für mehr stehen. Also wurde das Geschäfts umgekrempelt. Neben der klassischen Arbeit in der Werkstatt, in der zum Beispiel Teile für ein Metallregal von den Menschen mit Behinderung, die hier „Beschäftigte“heißen, verpackt werden, gibt es weitere Angebote: Im Restaurant „Der kleine Prinz“werden Besucher ebenso von Menschen mit Behinderung bedient und bekocht wie im „Ziegenpeter“am Duisburger Rheinpark. Außerdem gibt es noch eine Fahrradwerkstatt und das Geschäft „Ars Vivendi“. Egal um welches Angebot es geht: Alles sieht edel aus, hochwertig.
Sie alle haben zum Ziel, die Beschäftigten trotz ihrer geistigen Behinderung fit zu machen für eine reguläre Beschäftigung. „Sie können hier live trainieren“, sagt Rogg: „Da gibt es dann Lob oder den kleinen Rüffel wie bei jedem anderen Job auch.“Es gehe darum, den Menschen eine Chance zu bieten.
Gleichzeitig werden so mehr Berührungspunkte für die Menschen geschaffen – raus aus dem Gewerbegebiet, rein in die Stadt. Inklusion heißt auch, Teil des Alltags zu sein. Bei ihrem Dienstantritt, so erzählt Rogg es heute, sei das Büro noch im Duisburger Innenhafen gewesen – weit weg von den Menschen mit Be- hinderung. Kontakt? Minimal. Ein Firmenschild? Fehlanzeige. „Wir spüren unser Unternehmen gar nicht“, habe sie damals gedacht, sagt Rogg, die selbst einen Bruder mit Behinderung hat, der in einer Werkstatt arbeitet. „Ich habe mir immer gesagt: Wenn ich es mache, dann mache ich es anders.“
Also hat sie Führungskräfte ausgetauscht, Neueinstellungen sollten aus der freien Wirtschaft kommen, unternehmerisch denken. Sie will etwas in den Köpfen der Menschen verändern. „Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, kein kleiner Verein“, sagt sie selbstbewusst. Die Geschäftsführerin will, dass Inklusion das Mitleidige verliert, dieses: Schön, dass wir etwas Gutes tun.
Deswegen wurde auch eine neue Führungskraft eingestellt. Sie soll sich um die Akquise neuer Aufträge kümmern. „Die Gemeinnützigkeit hat einen Vorteil: Gewinne müssen nicht an den Gesellschafter abgeführt werden, sondern können komplett investiert werden“, sagt Rogg. Mit jedem verdienten Euro werden mehr Projekte möglich.
Inzwischen zählen viele bekannte Unternehmen zu den Kunden, zum Beispiel der Möbelriese Ikea oder die Modekette C&A, für die in der Werkstatt Sitzbänke für die Umkleidekabinen hergestellt werden. Es gebe eine Bedingung für Aufträge, stellt Rogg klar: möglichst viele Menschen mit Behinderung müssen an ihnen mitarbeiten können.
Hinzu kommen Projekte mit sogenannten Außenarbeitsplätzen: Die Beschäftigten sind bei der Werkstatt angestellt, arbeiten aber im Unternehmen – und tragen (oft stolz) auch dessen Dienstkleidung. „Unser Ziel ist, jedes Jahr fünf Personen auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen“, sagt Rogg. Das sei gar nicht so einfach: „Heute kommen zu uns Menschen mit einer viel stärker ausgeprägten Behinderung, weil vorher besser gefördert wird – was uns natürlich freut.“
Das Gesamtkonzept kommt an: Die Zahl der Menschen mit Behinderung stieg seit Roggs Dienstantritt von 780 auf 1100 Personen. In Zukunft will sich die Werkstatt für weitere Zielgruppen öffnen. „Wir wollen ein Unternehmen sein, bei dem Menschen mit Benachteiligung einen Platz finden“, sagt Rogg. Deshalb soll auch der alte Name verschwinden. „Wir sind inzwischen mehr als eine Werkstatt.“