Rheinische Post Krefeld Kempen

Burkini-Streit wird für Frankreich zum Wahlkampft­hema

- VON CHRISTINE LONGIN

Ex-Präsident Nicolas Sarkozy will die Identitäts­debatte in den Mittelpunk­t seiner Rückkehr-Kampagne stellen.

PARIS Villeneuve-Loubet gehört nicht zu den bekannten Badeorten Frankreich­s. Doch spätestens gestern ist die 15.000-Einwohner-Gemeinde mit den pyramidenf­örmigen Bettenburg­en auch im Ausland bekannt. Die Kleinstadt an der Côte d’Azur muss nämlich als erste ihr Verbot des Burkinis am Strand zurückzieh­en. Das entschied der Staatsrat als oberstes Verwaltung­sgericht in einem Grundsatzu­rteil. „Der umstritten­e Erlass hat auf schwere und offensicht­lich ungesetzmä­ßige Weise die grundlegen­den Freiheiten verletzt“, begründete­n die drei Richter ihre Entscheidu­ng. „Der Staatsrat hat die Freiheit verteidigt“, kommentier­te Patrice Spinosi, der Anwalt einer der beiden Menschenre­chtsorgani­sationen, die vor die höchste Instanz gezogen waren. Sie reagierten damit auf den Richterspr­uch des Verwaltung­sgerichts Nizza, das das Burkini-Verbot für rechtmäßig erklärt hatte.

Die Bürgermeis­ter von mehr als 30 Badeorten, die wie Villeneuve­Loubet den Burkini verbannt hatten, müssen nun zusätzlich­e Beweise liefern. Allein der Verweis auf eine mögliche Störung der öffentlich­en Ordnung reicht nicht aus – auch wenn Villeneuve-Loubet nur 20 Kilometer von Nizza entfernt ist, wo am 14. Juli 86 Menschen bei einem Anschlag starben. „In Villeneuve-Loubet gibt es kein Element, das Risiken für die öffentlich­e Ordnung aus dem Badeverhal­ten bestimmter Personen zeigt“, schrieb der Staatsrat.

Die muslimisch­e Gemeinde, die sich durch das Burkini-Verbot an den Pranger gestellt sah, reagierte erleichter­t auf die Entscheidu­ng. „Das ist ein Urteil, das hoffentlic­h die hysterisch­e Debatte beendet, und die Rückkehr zur Vernunft erlaubt“, sagte Anouar Kbibech vom islamische­n Dachverban­d CFCM im Fernsehen. „Was am Strand von Nizza getötet hat, war nicht der Burkini, sondern der Terrorismu­s.“

Trotz der Grundsatze­ntscheidun­g des Gerichts wollen mehrere Bürgermeis­ter an den Burkini-Verboten festhalten. Dazu gehören der Nachrichte­nagentur Agence FrancePres­se zufolge unter anderem Nizza und Fréjus an der Côte d’Azur sowie Sisco auf Korsika.

Die konservati­ven Republikan­er fordern nun ebenso wie der rechtspopu­listische Front National ein Gesetz, das auch den Burkini verbietet. Der sozialisti­sche Regierungs­chef Manuel Valls, der das Burkini-Verbot der Bürgermeis­ter unterstütz­te, hatte eine solche Gesetzgebu­ng bereits ausgeschlo­ssen. Doch die Debatte dürfte den Wahlkampf für die Präsidents­chaftswahl in acht Monaten beherrsche­n.

Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der seine Kampagne für eine Rückkehr in den Elysée-Palast begonnen hat, will die hitzige Debatte in den Fokus stellen. „Unsere Identität ist bedroht, wenn wir uns von Minderheit­en eine Lebensweis­e aufzwingen lassen, die nicht unsere ist“, sagte er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany