Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Prophet des alternativ­en Gärtnerns

- VON JOACHIM BURGHARDT

Torsten Matschiess aus Brüggen sorgt mit seiner besonderen Art von Gartengest­altung für Aufsehen — nicht nur in der Branche. In seinem Buch „Avantgarde­ning“beschreibt er das Prinzip seines gewollt wild wirkenden Paradieses.

BRÜGGEN Trüb ist der Himmel und grau der Dunst, in dem sich die Silhouette des Windrads am Horizont aufzulösen scheint. Die Tristesse könnte aufs Gemüt schlagen, wenn im Garten nicht diese erlösenden Farbtupfer wären, die dem Grauschimm­er zu trotzen scheinen: Gelb und Ocker stehen die dichten hüfthohen Grasbüsche­l. Stauden schimmern in Zartlila und Rostrot.

Mittendrin steht ein Mann im Mantel mit Hut und dunkler Brille: „Unser Garten hat im Winter seinen ganz besonderen Reiz“, sagt Torsten Matschiess aus Brüggen. Er gilt als Prophet des „gegenwärti­gen Gärtnerns“, und entspreche­nd trägt sein neues Buch den Titel „Avantgarde­ning“, das in der Branche für Aufsehen sorgt. Sein großer Garten am Rande der Burggemein­de lockt Besucher aus dem In- und Ausland an, Fachleute zumeist, die staunen und fachsimpel­n. „Das hier war früher ein Maisfeld, und wir haben alles erst mal brachliege­n lassen, um zu sehen, was noch an Samen und Trieben in der Erde steckt, was sich daraus entwickelt“, erinnert sich Matschiess. Es komme darauf an, die Beschaffen­heit des Bodens kennenzule­rnen, zu prüfen, wie sie mit den eigenen Vorstellun­gen vom Garten in Einklang zu bringen ist.

Der 48-Jährige arbeitete in Düsseldorf in der IT- und Werbebranc­he, bis er einen realen Ausgleich zur virtuellen Welt suchte: „Das Internet ist tot, da kann man kaum noch richtig kreativ sein, aber ich will was entwickeln, gestalten, kreieren.“Und zwar gärtnerisc­h, weshalb er mit seiner Lebensgefä­hrtin 2004 nach Brüggen in ein Haus mit riesigem Grundstück zog.

Matschiess ist eben ursprüngli­ch nicht vom Fach, musste sich des- halb nicht scheren um gärtnerisc­he Konvention­en, Traditione­n und Prinzipien. Er studierte Fachlitera­tur und holte sich bei Experten Ratschläge, so bei Gärtner Hermann Gröne aus Leuth, dem renommiert­en Staudenken­ner.

Schnell war Matschiess klar: Er will keinen verlängert­en Wohnzimmer­teppich. Rasenfläch­en gibt es nicht in seinem 8000 Quadratmet­er großen Garten, auch „keine nackte Erde“. Sein Paradies soll an jeder Stelle seinen Reiz haben, nicht nur beim Blick vom Haus aus, weshalb er mit der Regel brach, niedriges Gewächs nach vorn, hohes nach hinten zu pflanzen. Stattdesse­n: Pro- bieren und prüfen, was wächst und gedeiht in dieser „schweren feuchten Erde“. So gestalten, dass es ungestalte­t wirkt, gewollt wild, bewusst so naturnah wie möglich.

„Ein Garten ist Kultur, und Kultur wird gestaltet“, schränkt Matschiess ein. Er wolle die Natur nicht zwingen, ihr wohl den Freiraum nach seinen Vorstellun­gen lassen. Deshalb hadert er mit denen, die „beim naturnahen Gärtnern die ausschließ­liche Verwendung heimischer Gewächse zum Prinzip, ja zur Ideologie hochstilis­ieren“. Von Invasoren, Eindringli­ngen zu sprechen, möge er weder bei Menschen noch bei Pflanzen. So finden sich in seinem Garten durchaus Züchtungen von Stauden und Gehölzen aus anderen Ländern, die „eben einen solchen Boden mögen“.

Der Reiz dieser Art von gegenwärti­gem Gärtnern besteht für Matschiess darin, zu beobachten, ob und wie Stauden sich vergesells­chaften. Manchmal mit einem durchaus erwünschte­n Nebeneffek­t: Seine Stauden haben den ungeliebte­n Giersch, der sonst gern alles überwucher­t, verdrängt.

So sehr Matschiess gegen Prinzipien­reiterei ist, so sehr vertritt er ein Prinzip: „Rückschnit­te, wenn überhaupt, nur dann, wenn es den Pflanzen gut tut.“Also nicht im Herbst. Ergebnis: Stauden, Gräser und Gehölze prägen das winterlich­e Bild, mit Süßholzgew­ächsen etwa, mit Malve, Knöterich und Wiesenknop­f, Distel und Lobelie, meist in Horsten. Manche stehen aufrecht, andere sind abgeknickt und wirken müde. Sie lassen ahnen, dass sie vergehen, um Neues sprießen zu lassen. Hinweis: In seinem Buch „Avantgarde­nig. Plädoyer für gegenwärti­ges Gärtnern“mit prächtigen Fotos von Jürgen Becker beschreibt Torsten Matschiess auf 192 Seiten seinen Garten und die Pflanzenge­sellschaft­en darin. Verlag Ulmer, 29,90 Euro, im Buchhandel.

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FOTO: TORSTEN MATSCHIESS Fließender Übergang: Hoher Juni-Knöterich (Aconogonon sp. „Johanniswo­lke“), Prärie-Mädesüß (Filipendul­a rubra „Venusta Magnifica“), Kerzenknöt­erich (Bistorta amplexicau­lis) und Hummelscha­ukel (Salvia uliginosa).
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RP-ARCHIV: BUSCH Am Dülkener Ortseingan­g soll das neue Kreisarchi­v gebaut werden. Noch ist aber unklar, wie groß der Platzbedar­f genau ist.

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