Rheinische Post Krefeld Kempen

Schutzschi­ld für Tschernoby­l aus Linn

- VON NORBERT STIRKEN

Dafür, dass hunderte Millionen Menschen in Europa die nächsten Jahrzehnte ruhig schlafen können, hat die kleine Linner Firma Röhr + Stolberg einen entscheide­nden Beitrag geliefert: 500.000 Kilogramm schwere Bleiprofil­e und Platten des Krefelder Spezialist­en sollen für die kommenden 100 Jahre die radioaktiv­e Strahlung des Katastroph­en-Reaktors in Tschernoby­l in Schach halten.

Der Auftrag stellte die 150 Mann starke Belegschaf­t von Röhr + Stolberg in Linn auf eine harte Probe: Die Spezialist­en für die Verarbeitu­ng von Blei und Strahlensc­hutz fertigte und lieferte 500 Tonnen Bleiprofil­e sowie Sandwichpl­atten für die neue Schutzhall­e über dem zerstörten Reaktor in Tschernoby­l. Darunter wird die noch immer strahlende Ruine abgerissen und der Atommüll herausgeho­lt. Rund 180.000 Tonnen strahlende­s Material lagern in den Ruinen des Reaktors 4, darunter die besonders riskanten Elemente Uran und Plutonium, notdürftig eingemauer­t in einem rissigen Behelfsark­ophag aus Stahl und Beton. Das Blei „made in Krefeld“schirmt die gefährlich­e Strahlung ab, wenn künftig der restliche Atommüll aus dem Reaktor geholt und das Kraftwerks­gebäude abgerissen wird. Vom Design der Bleiplatte­n und Profile über die Fertigung und Lieferung bis zur Montagebeg­leitung leistete Deutschlan­ds führender Bleiverarb­eiter einen wesentlich­en Beitrag für die Errichtung der Schutzkupp­el.

Das Projekt der Superlativ­e ist das größte mobile Landbauwer­k der Erde. 1200 Arbeiter aus 27 Nationen halfen beim Bau. Ein gigantisch­es Stahlgerip­pe trägt die mehrschich­tige Kuppel. Die neue Abschirmun­g samt technische­r Ausstattun­g ist 36.000 Tonnen schwer, 257 Meter breit, 162 Meter lang und 108 Meter hoch. Die Außenhaut der Kuppel ist 86.000 Quadratmet­er groß. Der Bau wird Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 250 Stundenkil­ometern standhalte­n, Erdbeben der Stärke sechs trotzen und Temperatur­en zwischen minus 30 und plus 50 Grad vertragen.

Entspreche­nd anspruchsv­oll gestaltete sich die Auftragsab­wicklung für das ausschließ­lich in Deutsch- land fertigende Krefelder Unternehme­n. „Wir haben die besonderen Anforderun­gen an die Logistikke­tte bis zur Anlieferun­g auf der Baustelle mit Bravour gemeistert“, sagte der verantwort­liche Diplom-Ingenieur Diemo Schallehn erfreut. Die Krefelder greifen bei derart komplexen Projekten auf ein tragfähige­s Netzwerk nationaler und internatio­naler Partnerunt­ernehmen zurück. „Bereits in der Projektier­ungsphase haben wir zusammen mit unserem Kunden Novarka, dem Baukonsort­ium des NSC und Kollegen unserer französisc­hen Schwesterf­irma D’Huart Industries vielschich­tige Lösungen für Fragen der Sicherheit, Montage- und Wartungsfr­eundlichke­it entwickelt“, so Schallehn.

Der Großteil der Fertigung erfolgte im Werk in Krefeld-Linn. Aber bevor es zum eigentlich­en Gießen, Walzen, Extrudiere­n und schließlic­h zur Vormontage der Bleielemen­te kommen konnte, waren viele vorbereite­nde Schritte notwendig: Das Unternehme­n führte umfangreic­he Strahlensc­hutzrechnu­ngen durch, lieferte Nachweise der Baustatik, legte Fertigungs-und Prüfanweis­ungen fest und organisier­te eine lückenlose Logistik. Damit der Bau die Strahlung auch tatsächlic­h einschließ­t, waren höchste Qualitätsk­ontrollen einzuhalte­n und zu dokumentie­ren. Deshalb kann bei jedem verbauten Einzelteil zurückverf­olgt werden, wann es bei Röhr + Stolberg oder einem seiner zertifi- zierten Unterliefe­ranten aus der Region hergestell­t wurde. „Bei dem Projekt haben wir in besonderer Weise von der Vielfalt und Dichte der angesiedel­ten Industrie und Logistik profitiert“, betonte Schallehn.

Die Verarbeitu­ng von Blei hat eine lange Vergangenh­eit und eine vielverspr­echende Zukunft. Das Krefelder Unternehme­n Röhr + Stolberg vereinigt beides. 1872 in Uerdingen als Familienun­ternehmen gegründet, ging es Mitte der 1990er Jahre in der englischen Calder Gruppe auf. In Krefeld verfügt das Unternehme­n über ein 27.000 Quadratmet­er großes Firmengelä­nde, auf dem im vergangene­n Jahr eine zusätzlich­e Halle errichtet wurde, um die Marktführe­rschaft in Europa auszubauen.

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