Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Einer von ihnen schlug vor, das Haus dem Erdboden gleichzuma­chen und durch einen modernen Glaskubus zu ersetzen. Ein anderer wollte eine Dachterras­senwohnung aufstocken und das Erdgeschos­s zum überdachte­n Schwimmbad umbauen. Und der dritte verfiel buchstäbli­ch in Schockstar­re, als Sam das Budget und die Strafklaus­eln erwähnte. „Was glauben Sie, wie ein Künstler unter solchen Bedingunge­n arbeiten soll?“, rief er und trollte sich. Am späten Nachmittag mussten Elena und Sam der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie keine nennenswer­ten Fortschrit­te gemacht hatten.

Als sie abends mit Reboul bei einem Glas Wein zusammensa­ßen, gestand Elena ihre Enttäuschu­ng darüber, dass alle Kandidaten – und im Grunde die Mehrzahl der Architekte­n überhaupt – Männer waren.

„Warum gibt es nicht mehr Frauen in diesem Metier?“Sie warf Sam einen anklagende­n Blick zu, als wäre es seine Schuld, gab ihm jedoch keine Chance zu antworten, bevor sie sich auf ihr Lieblingss­teckenpfer­d schwang. „Frauen verstehen etwas von der Küche; im Gegensatz zu den meisten Männern. Frauen begreifen, dass selbst Paare, die sich innig verbunden sind, ein gewisses Maß an persönlich­em Freiraum brauchen. Frauen achten auf Hygiene, Frauen haben keine Scheu, die Kosten im Rahmen zu halten. Frauen wissen die Bedeutung gut organisier­ter Stauräume zu schätzen. Mit anderen Worten, sie sind tausendmal praktische­r veranlagt. Und dazu kommt, sie lassen sich bei ihrer Arbeit nicht von ihrem Ego behindern.“

Während Reboul aufmerksam zuhörte, konnte er nicht umhin, sich an ein paar architekto­nische Ausrutsche­r zu erinnern, die ihm im Zuge der Renovierun­g von Le Pharo unterlaufe­n waren – Fehler, die eine Frau nicht gemacht hätte: vor allem das Fehlen eines Kleidersch­ranks in Zimmerhöhe und einer Dusche von der Größe einer gigantisch­en Tiefkühltr­uhe. Er seufzte, als er zu der naheliegen­den Schlussfol­gerung gelangte.

„Mir ist gerade eingefalle­n, dass euch Coco Dumas’ Renovierun­gsarbeiten an Tommy Van Burens Haus gefallen haben. Würdet ihr in Erwägung ziehen, ihr den Auftrag zu erteilen?“

Elena streckte die Hand aus und drückte Rebouls Arm. „Nie im Leben, wenn es ein Problem für Sie wäre.“

„Ich kann ihr immer aus dem Weg gehen. Aber im Ernst, sie ist sehr profession­ell, es gäbe keine Sprachschw­ierigkeite­n und ihre Geschlecht­szugehörig­keit entspricht auch Ihren Vorstellun­gen, meine liebe Elena. Ich würde Sie lediglich darum bitten, sie von Le Pharo fernzuhalt­en.“– Elena beugte sich vor und küsste Reboul auf die Wange. „Abgemacht.“

Sam war inzwischen an Elenas Entschloss­enheit gewöhnt, sich in puncto Kleidung nicht von den französisc­hen Frauen in den Schatten stellen zu lassen. Aus dem Schlafzimm­er verbannt, machte er es sich im Wohnzimmer nebenan bequem, um auf ihr Erscheinen zu warten. Sie wollten nach Nizza fahren, um sich dort mit Coco Dumas in ihrem Büro zu treffen, und Elena hatte ihm mehr als einmal erklärt, dass eine starke Signalwirk­ung von ihrem äußeren Erscheinun­gsbild ausging. Französisc­he Frauen nähmen diese Dinge ernst; sie wären völlig offen, wenn es galt, die Garderobe einer anderen Frau in Augenschei­n zu nehmen und sie, wenn die Begutachtu­ng positiv ausfiel, als Gleichgest­ellte zu behandeln, die ihren Respekt verdiene.

„Nun, was sagst du?“Elena stand auf der Schlafzimm­erschwelle, vom Türrahmen dekorativ in Szene gesetzt. (Fortsetzun­g folgt)

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