Rheinische Post Krefeld Kempen

Zurück ins Leben

- VON KRISTIN KRUTHAUP

Mit wem Urlaub machen, wenn der Partner tot ist? Trauerreis­en richten sich an Menschen, die jemanden verloren haben. Protokoll einer Reise von 15 Witwen nach Sardinien.

Seit der Reise nach Sardinien hat Trauer ein Geräusch. Sie ist das leise Klicken, wenn eine Münze auf einen Metallbode­n fällt; dieses Geräusch, wenn ein Geldstück in einem Spendenkäs­tchen aufschlägt. Man kann den Klang hören, wenn es in Kirchen bis auf das Schlurfen der Schritte fast still ist. Er geht dem Anzünden einer Kerze vor dem Altar voraus. Wenn Marita, Helga und die anderen 13 Frauen während der Reise eine Kirche besichtigt haben, hörte man das Geräusch jedes Mal. Klick, klick, 15 Mal. Dann zündeten sie die Kerzen an. So gedenken sie ihrer Toten.

Wer den liebsten Menschen in seinem Leben verliert, ist in den Ferien oft besonders allein. Mit wem nun auf Reisen gehen? Trauerreis­en sind dann eine Option. Nur wenige Veranstalt­er in Deutschlan­d bieten so etwas an – mit ganz unterschie­dlichen Konzepten. Re-Bo-Reisen ist seit 2006 im Geschäft und hat den Sardinien-Trip organisier­t, eine Gruppenrei­se mit Besichtigu­ngsprogram­m. Das Besondere: Während der Tour ist eine ausgebilde­te Trauerbegl­eiterin dabei, die man jederzeit ansprechen kann, aber nicht muss.

Das Kennenlern­en ist um 10 Uhr am Pool des Hotels. 15 Frauen sitzen erwartungs­voll an einer langen Tafel. „Bitte schließt niemanden aus“, sagt Claudia Heyne, Reiseleite­rin und Geschäftsf­ührerin von ReBo-Reisen in ihrer Begrüßungs­rede. Es sei für jeden ein großer Schritt, sich allein zu einer Gruppenrei­se anzumelden, noch dazu, wenn man trauert. Dann geht die Vorstellun­gsrunde los.

„Ich heiße Marita, ich bin 63 Jahre alt, und mein Mann ist vor zwei Jahren an ALS gestorben, das ist die Krankheit, die ihr vielleicht von der Ice Water Challenge kennt.“

„Mein Name ist Helga, ich war mit meinem Mann viermal auf Sardinien, vor elf Monaten ist er an Asbestose gestorben, er war Psychologe, mit Asbest ist er während eines Studentenj­obs vor über 40 Jahren für drei Wochen in Kontakt gekommen.“

So geht das reihum. Zwei Frauen haben Kinder verloren, andere Eltern und Ehepartner gleichzeit­ig. Nach dem vierten Schicksal steht eine Frau auf und geht weg. Einige Frauen weinen, als sie sich vorstellen. Nach etwa einer Stunde ist alles vorbei.

Für Helga ist es – anders als für viele der anderen Frauen – die erste Reise mit dem Veranstalt­er. Sie ist mit 58 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Ihr Mann ist vor fast einem Jahr gestorben, 28 Jahre waren die beiden zusammen.

Eine normale Gruppenrei­se schloss Helga für die Reise nach Sardinien aus. „Jemand, der sich erholen möchte, will meine Trauerstor­y nicht hören“, sagt sie abends in der Hotelbar. Und das Gespräch komme zwangsläuf­ig auf sie. „Man hört eine Musik, oder da ist ein Geruch, und auf einmal geht die Erinnerung los und die Tränen laufen“, erzählt sie. Kurze Zeit später sei das wieder vorbei. „In dieser Gruppe muss ich mich dafür nicht erklären.“

Egal, ob während der Ausflüge oder am Nachmittag am Pool: Die am meisten gefragte Person in der Reisegrupp­e ist Regina. Die Trauerbegl­eiterin ist zurückhalt­end und abwartend. Regina ist 59 Jahre alt. Als sie 15 Jahre ist, verunglück­t ihr ältester Bruder mit dem Auto. Fünf Jahre später stirbt ihre Mutter. Es sind diese Erfahrunge­n, die dazu geführt haben, dass sie sich schon früh mit dem Thema Tod auseinande­rsetzt. Die Gemeinscha­ft mit anderen Trauernden auf der Reise gebe einen Raum, in dem der Verlust thematisie­rt werden darf, sagt Regina. Das helfe, sich der Trauer zu stellen und sie zu bewältigen.

Eine, die immer wieder das Gespräch mit Regina sucht, ist Marita. Sie hat 45 Jahre als Krankensch­wester gearbeitet, davon viele Jahre als Stationsle­iterin. Sie hat eine braune Kurzhaarfr­isur und ist permanent in Bewegung. Marita hat erst ihren Mann verloren, zehn Monate später folgte ihre Mutter. Beide hat sie – wie Helga und viele der anderen Frauen – bis zum Schluss zu Hause gepflegt. „Natürlich war ich an meinen Grenzen“, sagt sie. „Aber man entwickelt auch ungeahnte Kräfte.“Sie und ihr Mann haben 1975 geheiratet, davor gemeinsam ein Haus gebaut. „Es ist uns immer gut gegangen“, sagt Marita.

Als der Mann 59 Jahre ist, fallen die Sprachstör­ungen zum ersten Mal auf. Als sich die Sprachstör­ungen nach einem Jahr deutlich verschlech­tern, wird Maritas Mann noch einmal eingehende­r untersucht. Dann kommt die Diagnose ALS. ALS ist eine seltene Nervenkran­kheit, die nicht geheilt werden kann und sehr grausam verläuft. Nach und nach geben die Muskeln im Körper auf, bis man irgendwann erstickt.

Sie beschließe­n das Beste daraus zu machen, aber die Krankheit geht ihren Gang. Zur Beerdigung kommen 250 Menschen, Marita erhält 400 Karten. Zwei Jahre ist das alles her. Und seitdem hat sie das Problem: Sie kommt nicht mehr zur Ruhe. „Ich knalle mich so mit Beschäftig­ung zu, aber ich kann innerlich überhaupt nicht mehr entspannen“, erzählt sie.

Dann steht der Abschied an. Am letzten Abend sitzen die

Während der Tour ist eine ausgebilde­te Trauerbegl­eiterin

dabei, die man ansprechen kann

Frauen nach dem Abendessen noch einmal gemeinsam in der Hotelbar. Morgen kehren sie zurück in ihre leeren Wohnungen. Sie empfinden Bedauern, dass diese Trauerreis­e zu Ende geht. Aber das Bedauern ist auch ein Anfang. Mit dem Verlust sei es wie mit einem Teppich, der in der Mitte durchgeris­sen ist, hat Regina gesagt. Die Trauerarbe­it sei, die losen Fäden wieder miteinande­r zu verweben. An diesem letzten Abend sieht es so aus, als hätten sie mit dieser Reise und ihren Bekanntsch­aften ein paar Knoten mehr gemacht.

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FOTO: THINKSTOCK/XXLPHOTO Auf Trauerreis­en werden die Gespräche zwischen den Mitreisend­en oft sehr intim. Im besten Fall können sie sich gegenseiti­g eine Stütze sein.

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