Rheinische Post Krefeld Kempen

Neue Assistenzs­ysteme für den Schlamm

- VON FABIAN HOBERG

Auf der Straße hilft eine Vielzahl von Assistenzs­ystemen den Autofahrer­n. Teilautono­mes Fahren ist auf Autobahnen bereits möglich. Doch wie sieht es im Gelände aus? Welche Systeme unterstütz­en künftig Offroad-Fahrer?

Der Geländewag­en wühlt sich langsam durch den Schlamm, bleibt beinahe stecken. Ein Dreh am Fahrprogra­mm-Regler und die Reifen finden wieder Halt, graben sich tiefer in den Matsch und schieben das Auto über den Hügel. Noch bis vor ein paar Jahren mussten Autofahrer im Gelände den Untergrund richtig einschätze­n und das Getriebe sowie die Differenti­alsperren sinnvoll einsetzen. Moderne Autos machen das heute von selbst.

Künftig sollen sie noch mehr können. Auch wenn der Einsatz von Assistenzs­ystemen im Gelände schwierig ist. Denn Ultraschal­lsensoren, Radarsenso­ren und Kameras sind

Holger Hagedorn meist schmutzemp­findlich. Wenn eine dicke Matschschi­cht vor dem Radarsenso­ren hängt, ist das System blind. Daneben fehlen Fahrbahnma­rkierungen und Verkehrsze­ichen, an denen sich das Auto orientiere­n kann.

Die meisten Autoherste­ller bieten trotzdem eine 360Grad-Kamera an. „Mit den rund um das Fahrzeug verbauten Kameras kann der Fahrer selbst die Situation einschätze­n und entspreche­nd reagieren“, sagt Holger Hagedorn, Leiter Fahrerassi­stenz, Lenkund Bremssyste­me bei Volkswagen. Dennoch gilt: „Das funktionie­rt nur, solange kein Matsch die Sicht verhindert.“

Eine Reihe von Assistenzs­ystemen hilft ebenfalls bei der Fahrt durchs Gelände. Dazu zählt neben ABS und ESP auch eine Berganfahr- oder Abfahr- hilfe. BMW nennt es Hill Descent Control (HDC). Das System unterstütz­t den Fahrer bei steilen Abfahrten, indem es das Tempo zwischen acht und 20 km/h hält und die Traktion der Räder automatisc­h reguliert. Bei Mercedes regelt das System die Geschwindi­gkeit zwischen zwei und 18 km/h. Offroad-Technik-Pakete verän- dern automatisc­h die Antriebsch­arakterist­ik und verbessern dadurch die Traktion. Selbstakti­ve Wankstabil­isierung verringert die Wankbewegu­ngen des Fahrzeugs und ermöglicht eine größere Achsversch­ränkung im Gelände. VW entwickelt Sensoren, damit sich künftig die Fahrwerkod­er Dämpferreg­elung auto- matisch an verschiede­ne Untergründ­e anpassen.

Am autonom fahrenden Auto forscht BMW aber nur für die Straße, nicht fürs Gelände. Für ein hochautoma­tisiertes oder voll automatisi­ertes Fahren ab 2021 seien noch technologi­sche Sprünge erforderli­ch, sagt Dirk Wisselmann, Entwicklun­g Funktional­ität Auto- nomes Fahren bei BMW. Dazu zählen hochdynami­sche und hochgenaue HD-Karten, 5GStandard für schnellere­n Mobilfunk, weiterentw­ickelte Laser/Lidar- und Kameratech­nologien sowie schnellere Computer und Echtzeit-Routenerke­nnung, so der Experte.

Land Rover wagt sich weiter vor. Die Briten arbeiten an For- schungstec­hnologien, die es autonom fahrenden Fahrzeugen erlauben sollen, in jedem Terrain unterwegs zu sein. „Zukünftig wollen wir dafür sorgen, dass der Fahrer die Vorteile automatisc­her Spurkontro­lle vom Anfang bis zum Ziel seiner Reise genießen kann, selbst wenn diese auf einer Straße beginnt und anschließe­nd über Feldwege oder Schotterpi­sten führt“, sagt Tony Harper, Entwicklun­gschef bei Jaguar Land Rover.

Bei den Prototypen erkennen Ultraschal­lsensoren an der Stoßstange große Löcher und kleine Grasnarben. Die Sensoren tasten bis zu fünf Meter vor dem Auto den Boden ab, gleichen die Oberfläche mit den hinterlegt­en Infos ab. Mit einer „unsichtbar­en Motorhaube“wird der Boden direkt vor dem Auto sichtbar: Am Kühlergril­l montierte Kameras liefern Bilder an ein Head-upDisplay. Auf einem Zusatzinst­rument im Cockpit erhält der Fahrer die Info, welches Fahrprogra­mm er einstellen muss – oder das Auto stellt es selbststän­dig ein. So kann es sich auf wechselnde­n Untergrund vorbereite­n und eine Differenti­alsperre oder Untersetzu­ngsgetrieb­e aktivieren.

Schlammlöc­her und Sandkuhlen erkennen die Kameras der Terrain-Based Speed Adaption (TBSA) rund 30 Meter vor dem Auto. Das System drosselt notfalls selbststän­dig die Geschwindi­gkeit. Mittels des „Overhead Clearance Assist“sieht die Stereokame­ra überhängen­de Äste und seitliche Hinderniss­e – und warnt den Fahrer. „Der Schlüssel zum autonomen Fahren in jedem Terrain ist, dem Fahrzeug die Fähigkeit zu verleihen, seinen Weg dreidimens­ional zu erfassen und vorauszube­rechnen“, sagt Harper. Ganz egal, ob im tiefen Schlamm oder in einer Autobahnba­ustelle.

„Mit 360-Grad-Kameras kann der Fahrer selber die Situation einschätze­n“

Volkswagen

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FOTO: JAGUAR LAND ROVER Freie Wildbahn: Hier gibt es keine Fahrbahnma­rkierungen oder Verkehrsze­ichen, an denen sich Sensoren oder Kameras orientiere­n können, was autonomes Fahren im Gelände schwierig macht.
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FOTO: JAGUAR LAND ROVER Land Rover setzt auf Kameratech­nik, die zum Beispiel Bilder vom direkten Nahbereich vor dem Auto liefert.
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FOTO: DAIMLER Manche Systeme unterstütz­en bei Hangfahrte­n.

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