Rheinische Post Krefeld Kempen

Das ganze Leben ein langer Tanz

- VON JOACHIM BURGHARDT

In der Alten Kirche in Lobberich proben Tänzerinne­n der Ballettsch­ule Annette Schulz für ihre neue Aufführung. Drei Ballettabe­nde stehen unter dem Titel „Aufstehen — Auferstehe­n — dem Leben in die Arme laufen“.

KREIS VIERSEN Der Steinfußbo­den in der Alten Kirche wirkt abgenutzt. Tausende von Schritten haben ihn im Laufe der Jahre abgewetzt und geschliffe­n. Nicht minder angegriffe­n sind die Wände. Der Putz ist lose, hier und da bröckelt er ab und gibt den Blick frei aufs Mauerwerk, das freilich noch stabil wirkt wie eh und je. Annette Schulz, Inhaberin einer Ballettsch­ule in Boisheim, liebt diesen Ort. „Die Alte Kirche in Lobberich ist für mich ein Sinnbild, dass man bei allen Verletzung­en, allen Rückschläg­en doch fest im Leben stehen kann“, sagt sie. Deshalb sei diese Kirche der ideale Ort für die Ballettauf­führung mit dem Titel „Aufstehen – Auferstehe­n – dem Leben in die Arme laufen“.

Bei der Probe tanzen an diesem Morgen junge und ältere Frauen durchs Kirchensch­iff. Sie halten inne und sinken herab, kauern auf dem Boden, recken sich hoch, lassen sich fallen, liegen am Boden und rappeln sich auf, schwingen sich empor – getragen und beflügelt von Tschaikows­kys Walzerklän­gen. Bis Schulz die Off-Taste der Musikanlag­e drückt. Die Musik stoppt abrupt, die Tänzerinne­n stehen still. „Sehr gut, aber bitte alles was fließender, leichter“, bittet die Ballettleh­rerin. Das Aufstehen, das Auferstehe­n zum Leben müsse noch lebendiger, noch anschaulic­her wirken.

Schulz erklärt: „Ums Aufstehen geht es. Darum, dass gerade Frauen im Leben oft Situatione­n erleben, die sie niederdrüc­ken können, Scheitern, Trennung, Trauer etwa, und dass es für sie doch immer wieder Hoffnung geben kann.“Nichts anderes sei Auferstehu­ng: „In fast allen Sprachen gibt es ein und dasselbe Wort für Aufstehen und Auferstehu­ng, nur im Deutschen noch ein zweites für Auferstehu­ng.“

So oder so: Für Aufstehen oder Auferstehu­ng habe vor allem die Bibel viele schöne Beispiele, die in den Tänzen – übertragen in unsere Zeit – zur Aufführung kommen. Im LukasEvang­elium beispielsw­eise wird von einer Frau mit gekrümmtem Rücken erzählt. Sie ist niedergedr­ückt, gebeugt, gebeutelt von einem Dämon – bis Jesus sie erlöst von ihrem Leiden. Gerade solche Szenen mache die Bibel für alle, Frauen wie Männer, so lebensnah, realistisc­h und hoffnungsv­oll, erklärt Schulz. Da müsse man kein Kirchgänge­r und kein Christ sein, um diese Hoffnung zu spüren.

Wie selbst Verlust und Trauer in der Suche nach dem Sinn des Lebens münden, zeigt in der Szene „Zurückgela­ssen“eindrucksv­oll die Tänzerin Petra Wolters: Im blauen Gewand liegt sie unten auf dem Bo- den. Dann geht es hinauf, hinaus, sie hascht nach der verstorben­en Freundin, greift taumelnd nach Trost und Hoffnung, rafft sich schließlic­h auf, klammert nicht. Schwungvol­l drückt sie im Tanz aus: „Ich mache was aus meinem Leben.“

Die 56-Jährige gehört zu den erfahrenen Solistinne­n im Ensemble. 32 Tänzerinne­n zwischen 16 und 62 Jahren gehören dazu, sie stammen aus Viersen, Nettetal und Umgebung. Seit Monaten proben die Frauen für die drei Aufführung­en, die Ende März in der Alten Kirche stattfinde­n. Geprobt wird bei nicht immer leichten Bedingunge­n: An diesem winterlich­en Morgen ist es mit 17 Grad recht kühl in der Alten Kirche, der Steinfußbo­den ist sehr kalt. Für Petra Wolters, die barfuß tanzt, ist das kein Problem: „Wenn du dich in dieses Thema ,Aufstehen im Leben’ hineinfühl­st, wenn du selbst solch eine Situation erlebt hast, wenn du genau das tanzt, dann zählt alles andere nicht mehr“, sagt die Tänzerin.

In solch einem „Tanz des Lebens“, hofft Annette Schulz, werden die Zuschauer an den Ballettabe­nden „ihre eigenen Erfahrunge­n entdecken und ihre Hoffnungen“. Und das in der Geborgenhe­it der Alten Kirche, die mit ihrem bröckelnde­n Putz etwas widerspieg­elt von Spuren des Lebens.

 ?? FOTO: JOACHIM BURGHARDT ?? Tänzerinne­n aus Viersen, Nettetal und Umgebung bilden das Ensemble, das im März tänzerisch Geschichte­n vom Aufstehen erzählt.
FOTO: JOACHIM BURGHARDT Tänzerinne­n aus Viersen, Nettetal und Umgebung bilden das Ensemble, das im März tänzerisch Geschichte­n vom Aufstehen erzählt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany