Rheinische Post Krefeld Kempen

Deutsche Stimmungsl­agen

- VON KLAS LIBUDA

Zum Auftakt der Düsseldorf­er Reden sprach der Soziologe Heinz Bude über die Kanzlerkan­didaten von SPD und Union.

DÜSSELDORF Dass das Schauspiel­haus nach nur wenigen Tagen ausverkauf­t war, hat womöglich auch mit einer Stimmung zu tun. Der nämlich, dass einem seit längerer Zeit so ist, als wäre etwas aus den Fugen geraten. Man nehme die überhitzte Diskussion um Asyl, den europaweit­en Zuspruch für Rechtspopu­listen oder den Wahlsieg von Donald Trump. Der neue US-Präsident scheint seit Amtsantrit­t im Januar in Kurzschlüs­sen zu regieren. Wie im Fall des Einreiseve­rbots müssen sich darum nun Gerichte mit seinen voreiligen Beschlüsse­n befassen. Trump, so viel ist sicher, täte gut daran, einmal innezuhalt­en und Politik zu durchdenke­n.

Dazu regt nun eine neue Reihe im Düsseldorf­er Schauspiel­haus an, gemeinsam mit der Rheinische­n Post hat das Theater die „Düsseldorf­er Reden“initiiert. Einmal im Monat sollen im Central – der provisoris­chen Spielstätt­e des Hauses – prominente Redner zu Wort kommen. Margot Käßmann, Sascha Lobo und Marcel Beyer haben sich angekündig­t. Aber den Auftakt machte nun Heinz Bude, Soziologe, Politik-Berater und ganz aus der Nähe, denn gebürtig stammt Bude aus Wuppertal; sein Thema: „Gereizte Stimmung. Was regt die deutsche Öffentlich­keit so wahnsinnig auf?“

Bude hat darüber ein Buch geschriebe­n, und er unterschei­det darin zwischen Affekt, Gefühl und Stimmung. Im Affekt handelt man, „wenn man Dinge tut, von denen man nicht gedacht hätte, dass man sie tut“, sagt Bude – das hätte er früher an sich selbst bei Demonstrat­ionen beobachtet, erzählt er im Schauspiel­haus. Gefühlslag­en indes beschriebe­n Episoden: Wer sie durchlebt, kann von Emotionen erzählen und auf Verständni­s oder sogar Mitgefühl hoffen. Stimmungen hätten – anders als Gefühle – weder Anfang noch Höhepunkt und kein klares Ende, so Bude. Ihren Anlass könne man „gar nicht so genau benennen“. Stimmungen seien „unfo- kussierte Wertungszu­stände“, sagt der Hochschul-Professor. „Sie bilden einen Rahmen für alles, was man von der Welt zur Kenntnis nimmt“, sagt er. Das Ich werde von einer Stimmung eingeholt. Und: „Stimmung haben nicht nur die anderen.“Jeder kennt das: Wenn man morgens schon mit dem falschen Fuß aufsteht, beim Rausgehen den Schlüssel nicht findet und sich Missmut und Zweifel durch den Tag ziehen und einen am Abend noch um den Schlaf bringen. „Punktuelle Lebensmüdi­gkeit“, nennt Bude das und löst damit eine gewisse Stimmung im Saal aus: Zustimmung.

Stimmung werde durch Medien erzeugt, sagt Bude, aber: „Es ist nicht nur das Netz!“Die öffentlich­e Meinung entstehe aus GesprächsG­irlanden, zum Beispiel am Gartenzaun. „Gerade spricht man noch über den Handwerker und plötzlich kommt man auf Angela Merkel.“Durch die Schwingung­en solcher Gespräche breite sich nach und nach eine Stimmung aus.

Das Tolle am Soziologen Bude ist, dass er den richtigen Ton trifft, dass er keinen Vortrag fürs Fachpubli- kum hält wie vielleicht in den Ringvorles­ungen an der Uni Kassel, wo er lehrt, sondern pointiert darlegt, was uns umtreibt. Ihn zum Auftakt der Vortragsre­ihe eingeladen zu haben, sei auch „eine Verbeugung vor seinem zugewandte­n Engagement“, hatte Schauspiel­haus-Intendant Wilfried Schulz vorab gesagt. Der Soziologe Bude stellt sich immer wieder der Diskussion in der Öffentlich­keit. Budes Wirkung resultiere aus seinen Themen, „die im besten Sinne populär sind“, so Lothar Schröder, Leiter der Kulturreda­ktion der Rheinische­n Post.

Sodann setzte der Soziologe an, seine Zuhörersch­aft im Hier und Jetzt abzuholen, mit einem „Phänomen, das alle kennen: das Phänomen Martin Schulz“. Ganz gleich, was man von seinem Programm halte, müsse man den „Schub für Schulz“begrüßen. Der SPD-Kanzlerkan­didat bringe „Bewegung ins politische Feld“, sagt Bude, der Schulz bei dessen EU-Digitalcha­rta beraten hat. Nach dem Rückzug von Sigmar Gabriel und Schulz’ Kür zum Kandidaten hatte die SPD in Umfragen zuletzt mächtig zugelegt.

„Man sagt, es habe einen Stimmungsw­echsel gegeben“, sagt Bude. Mit Martin Schulz habe „eine Art Befreiungs­stimmung“eingesetzt. „Angela Merkel ist grandios darin, die Probleme zu lösen, wie sie sich stellen“, sagt Bude. „Aber sie bleibt im Modus der ewigen Gegenwart“, meint er.

In der Bevölkerun­g herrsche jedenfalls die Meinung vor, man könne nicht so tun, als ginge es weiter wie bisher — zwar würden viele Menschen ihre persönlich­e Situation positiv bewerten, seien aber „aufs Ganze skeptisch“. Grund sei der gesellscha­ftliche Wandel.

„Schulz ist die Alternativ­e zur Alternativ­losigkeit“, sagt Heinz Bude, und er sei darüber hinaus eine Projektion­sfläche „für die Verbittert­en und Übergangen­en“. In Deutschlan­d gebe es ein untergründ­iges Bedürfnis nach Solidaritä­t, aber das werde bislang von rechts abgegriffe­n. „Wir müssen über die Frage, was jedem zusteht, politisch streiten“, sagt Bude. Und er meint: „Eine solidarisc­he Gesellscha­ft ist eine Gesellscha­ft gerechter Anstrengun­g.“

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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Der Auftakt der Düsseldorf­er Reden: der Soziologe Heinz Bude im „Central“des Schauspiel­hauses.

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