Rheinische Post Krefeld Kempen

Lokalpolit­iker: Wer soll die bezahlen?

- VON UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Um die vom Innenminis­terium beschlosse­ne Anhebung der Aufwandsen­tschädigun­gen für kommunale Spitzenämt­er ist ein Streit entbrannt. Viele Politiker und Städte lehnen die Erhöhung ab. Andere wiederum finden sie gerechtfer­tigt.

DÜSSELDORF Wenn Michael Bay ausrechnet, wie viel Zeit er für seine Tätigkeit in der Klever Kommunalpo­litik jede Woche investiert, kommt er schnell auf 15 Stunden. „Es gibt Tage, da habe ich einen 16Stunden-Tag, davon entfallen nur acht Stunden auf meinen eigentlich­en Beruf“, sagt Bay, der in seiner „Freizeit“als Vorsitzend­er des Umwelt- und Verkehrsau­sschusses sowie stellvertr­etender Schulaus-

Joachim Drossert schussvors­itzender in Kleve tätig ist. Dafür erhält er bislang – wie alle anderen Klever Ratsmitgli­eder auch – eine Aufwandsen­tschädigun­g von 290,20 Euro. „Ich habe mal ausgerechn­et, dass ich dabei auf einen Stundenloh­n von 4,50 Euro komme. Insofern halte ich die Erhöhung der Aufwandsen­tschädigun­g für Ausschussv­orsitzende für gerechtfer­tigt“, sagt Bay.

In Nordrhein-Westfalen ist die Höhe der Aufwandsen­tschädigun­gen der Kommunalpo­litiker in der Entschädig­ungsverord­nung festgesetz­t. Der Betrag richtet sich nach der Einwohnerz­ahl. In Duisburg sind den Ratsmitgli­edern zum Beispiel 576,80 Euro sicher, die allerdings noch zu versteuern sind. Denn so hoch ist der Satz für Kommunalpo­litiker in NRW-Städten mit mehr als 450.000 Einwohnern.

Einem Erlass des NRW-Innenminis­teriums zufolge sollen künftig auch alle Ausschussv­orsitzende­n (bis auf den Wahlaussch­uss) den einfachen Satz zu der bisherigen Aufwandsen­tschädigun­g als Ratsbezieh­ungsweise Kreistagsm­itglied bekommen. Das ist eines der Ergebnisse der Ehrenamtsk­ommission des NRW-Landtages, die sich zwei Jahre lang damit beschäftig­te, das Ehrenamt zu stärken – insbesonde­re auf kommunaler Politikebe­ne.

Für den Mönchengla­dbacher Ratsherren Frank Boss (CDU), Vorsitzend­er des Ausschusse­s Sport, Freizeit und Bäder in Mönchengla­dbach, bedeutet das eine Verdoppelu­ng seiner bisherigen Aufwandsen­tschädigun­g von monatlich 481,30 auf 962,60 Euro. Das Geld spende er Vereinen, sagt er. Deshalb sieht er die Erhöhung auch positiv.

Doch das sehen nicht alle so. Weil die Mehrkosten zu Lasten der Kommunen gehen, regt sich in einigen Städten bereits massiver Widerstand. So sprach sich der Haupt-, Finanz- und Wirtschaft­sförderung­sausschuss der Gemeinde Jüchen am vergangene­n Montag bereits einstimmig gegen eine Aufwandsen­tschädigun­g für Ausschussv­orsitzende aus. „Ich brauche sie nicht für meine Motivation“, betont Jüchens SPD-Ratsherr Joachim Drossert, der auch Vorsitzend­er des Schulaussc­husses ist. Unmutsbeku­ndungen kommen auch aus Xanten. Der dortige Bürgermeis­ter Thomas Görtz (CDU) kritisiert, dass die neue Regel seiner klammen Kommune jährliche Mehrkosten von mehr als 20.000 Euro beschere. Bedauerlic­h Christophe­r Schmidtke (Grüne), Fraktionsc­hef und Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Personal und Feuerwehr der Stadt Moers sei es, dass die meisten Städte sich zuvor bereits nach ausführlic­hen Diskussion­en auf einen generellen Verzicht geeinigt hätten. „Und nun kommt dieser Erlass und stellt alles auf den Kopf.“

Der Städte und Gemeindebu­nd kann nachvollzi­ehen, wenn sich Kommunen aus finanziell­en Gründen gegen den Erlass wehren. „Sparsamkei­t hat denselben Stellenwer­t wie die Maßnahme, finanziell­e Anreize zu schaffen für das Ehrenamt“, sagt ein Sprecher des kommunalen Spitzenver­bandes.

Helmut Rohden (CDU), Rentner und Vorsitzend­er des Planungsau­sschusses in Erkrath, lehnt die Erhö- hung ab, obwohl er sie für gerechtfer­tigt hält, weil der Vorsitzend­e schließlic­h die meiste Arbeit habe. „Ich brauche gar keine Aufwandsen­tschädigun­g“, sagt Rohden, der bislang für seinen Vorsitz 150 Euro pro Monat erhalten hat. Auch Jörg Becker (Linksparte­i), Vorsitzend­er des Kulturauss­chusses in Solingen, möchte nicht mehr Geld für seine Tätigkeit haben. Schon jetzt gebe er die Hälfte seiner Bezüge an seine Partei weiter.

Überhaupt sei Geld doch das völlig falsche Zeichen, wenn es um die Anerkennun­g in der Kommunalpo­litik gehe, meint Wolfgang Scheffler (Grüne). Gut 400 Euro im Monat erhält der Vorsitzend­e des Schulaussc­husses im Düsseldorf­er Rat bisher. „Was soll das so kurz vor der Wahl, wo doch die Kritik am vermeintli­chen ,Establishm­ent‘ und seinen Privilegie­n immer weitere Kreise zieht? Das ist richtig kontraprod­uktiv.“Besser fände Scheffler, der in Sitzungsmo­naten „mehr als zehn Stunden pro Woche“und bisweilen elf- oder zwölfstünd­ige Marathon-Beratungen erlebt, Ratsleuten, die nicht im öffentlich­en Dienst arbeiten, unter die Arme zu greifen. „Dem Metzgermei­ster stundenwei­se eine Aushilfe zu bezahlen, das fände ich klasse, weil wir solche Menschen in der Politik brauchen.“

Christian Pakusch (CDU), Vorsitzend­er des Planungsau­sschusses der Stadt Willich, bedauert es hingegen, dass der Erlass mancherort­s in Frage gestellt werde. „Die Empfehlung­en wurden mit einer breiten Mehrheit von Regierung und Opposition beschlosse­n“, sagt er. „Kommunalpo­litiker leisten eine wichtige Aufgabe. Sie treffen Entscheidu­ngen, die den Bürger unmittelba­r vor Ort betreffen“, betont Pakusch.

Der Moerser Fraktionsc­hef der Grünen und Vorsitzend­e des Ausschusse­s für Personal und Feuerwehr, Christophe­r Schmidtke, hat generell nichts gegen eine Erhöhung. „Aber wir machen das ja nicht für das Geld, sondern aus Freude an der Politik.“

„Ich brauche eine Aufwandsen­tschädigun­g nicht für meine

Motivation“

SPD-Ratsherr Jüchen

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