Rheinische Post Krefeld Kempen
Auch der Papst ist kein Supermann
Der Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan hat ein Buch über die Sendung und den Auftrag der Päpste geschrieben.
ROM Er gehört zu den einflussreichsten Bischöfen der katholischen Kirche: Gerhard Ludwig Kardinal Müller. Seit 2012 ist der 69-jährige Deutsche Präfekt der Glaubenskongregation. Jetzt hat er ein 600seitiges Werk verfasst – über die Sendung und den Auftrag des Papstes. Der Papst erscheint mir zunehmend für Gläubige und Nicht-Gläubige gleichermaßen faszinierend zu sein. MÜLLER Bei manchen dürfte das sicherlich zunächst die Faszination für einen Prominenten sein. Das gibt es ja auch. Andere suchen nach einer geistigen und moralischen Orientierung, die man so nicht leicht bei andern Figuren der Weltpolitik findet. Man sucht nach Instanzen, die nicht vom Eigeninteresse bestimmt sind, sondern sich für übergeordnete Ziele der Menschheit – wie Frieden, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit – einsetzen. Papst Franziskus ist die höchste moralische Autorität in der Welt. Auch von Atheisten wird er als authentische Leitfigur und als Orientierungspunkt anerkennt. Aber an der Unfehlbarkeit des Papstes – eine Zuschreibung aus dem 19. Jahrhundert – stoßen sich viele. MÜLLER In der Kultur des Relativismus und der Skepsis ist es um die Wahrheitsfrage schlecht bestellt. Da könnte man auch gleich fragen, wie es um die Unfehlbarkeit der Kirche insgesamt und des Papstes insbesondere bestellt ist. Aber das kann man doch nur in einem Zusammenhang sehen und verstehen: Gott hat sich uns Menschen in Jesus Christus offenbart und die Kirche als Instanz dieser Bezeugung mit der Unfehlbarkeit bei der Auslegung des geoffenbarten Glaubens ausgestattet. Das meint jetzt keine menschliche Unfehlbarkeit in intellektuellen und moralischen Themen, sondern beschreibt ein besonderes Charisma, um die Offenbarung wahrheitsgemäß und unverkürzt vermitteln zu können. Denn es ist wichtig, dass wir Relativismus und Nihilismus überwinden. Der menschliche Geist ist in der Lage, sich auf die Wahrheit auszurichten. Wir sollen doch bitte nicht so skeptisch sein gegenüber den Möglichkeiten, die Gott in Bezug auf unser Hören und Verstehen seines Wortes an uns besitzt. Der erste Papst – nämlich Petrus – ist ein auch schwacher Mensch gewesen. Welche Schwächen dürfen wir seinen Nachfolgern zugestehen? MÜLLER Jeder Mensch ist schwach und sterblich. Jesus hat zu seinen Aposteln nicht die Klügsten, Reichsten und Prominentesten erwählt. Sondern einfache Menschen, Handwerker, Fischer. Wir hängen eben von der Gnade Gottes ab und nicht von den Leistungen, die wir täglich so erbringen. Darum ist es wichtig, im Papst, in den Bischöfen und Pfarrern nun nicht die Supermenschen zu suchen oder, wenn sie diese überzogenen Erwartungen nicht erfüllen können, uns enttäuscht vom Evangelium und der Kirche abwenden. Alle bedürfen der Vergebung. Aber in der menschlichen Schwachheit erweist sich die Gnade Gottes. Wir verehren den Papst nicht wegen seiner menschlichen Höchstleistungen, sondern weil ihm von Christus ein besonderer Dienst für die ganze Kirche aufgetragen worden ist. Sie gehen auch auf Martin Luther ein und schreiben, dass seine Kritik an Praktiken der Kirche damals – etwa die Ablasspredigten des Johann Tetzel – gerechtfertigt war. Ist sie das heute noch? MÜLLER Aus den Umständen heraus war sie auf diesen Punkt des Ablasshandels und damit der Kommerzialisierung der Heilsvermittlung bezogen sicherlich gerechtfertigt. Was ich aber nicht anerkenne, ist, dass von diesem Punkt aus das ganze Wesen der Kirche neu definiert worden ist. Wegen des Missbrauchs damals können doch beispielsweise das Bischofsamt und der Petrusdienst, wie sie von Jesus eingesetzt worden sind und im Heiligen Geist ausgeübt werden, nicht in Frage gestellt werden. Es bleibt falsch zu sagen, dass die katholische Glaubenslehre zu Amt und Sakrament auf einem Missverständnis des Evangeliums aufbaut. Daraus sind dann die großen Konflikte entstanden. Es geht nicht darum, die Kämpfe von damals heute etwas vornehmer zu wiederholen. Es kann nur darum gehen, dass wir die ererbten Probleme so deuten, dass wir so weit wie möglich zusammenwachsen können. Wir sollten die Spannungen über das, was uns dogmatisch und liturgisch trennt, unter Wahrung des jeweiligen Wahrheitsgewissens, abzubauen versuchen. Das hindert nicht, dass wir jetzt schon gemeinsam Zeugnis für Christus und sein Evangelium ablegen und in christlichem Geist für das Gemeinwohl tätig sind. Der Wunsch nach Einheit wäre zu viel und würde uns überfordern? MÜLLER Die Einheit der Kirche ist nicht Gegenstand unserer Wünsche, sondern ein Gebot Christi, dass alle, die an ihn glauben, in einer echten sakramentalen Gemeinschaft kirchlichen Lebens und Bekenntnisses verbunden sind. Auch das muss man sehen: Der konfessionelle Streit hat wesentlich dazu beigetragen, dass eine säkularistische Kultur entstanden ist, die so agiert, „als ob Gott nicht existiere“. Stört es Sie, wenn man Sie Glaubenswächter der Kirche nennt? MÜLLER Ich weiß, dass das nicht so freundlich gemeint ist. Ich habe Sinn für Humor, auch wenn die Ironie durch Wiederholung schon etwas von ihrer Originalität eingebüßt hat. Sehen Sie denn als Glaubenswächter eine Chance, dass in der katholischen Kirche über das Weiheamt auch für Frauen gesprochen wird? MÜLLER Frauen sind immer wichtig gewesen für das ganze kirchliche Leben – im Bereich der Erziehung, der Bildung und Wissenschaft, der kirchlichen Verwaltung, in der Ehe, Familie. Das Sakrament der Weihe in den Stufen des Bischofs, Priesters und Diakons ist dafür nicht notwendig und nicht möglich, wie es sich aus diversen Studien auch der Glaubenskongregation ergibt. Gibt es Versuche von Papst Franziskus, mit Trump in Kontakt zu kommen? In Flüchtlingsfragen gibt es da sehr unterschiedliche Auffassungen. MÜLLER Über unsere vatikanischen Botschafter, die Apostolischen Nuntien, versuchen wir, unser Menschenbild einzubringen. Das Interesse der vatikanischen Diplomatie ist es, mit dem mächtigsten Staat der Welt in Kontakt zu kommen, um zu zeigen, dass etwa die internationale Flüchtlingsproblematik nicht von einem einzelnen Staat gelöst werden kann. Man kann nicht sagen: Wir machen jetzt die Schotten dicht. Trotz unterschiedlicher Sprachen und Sitten sind alle Kinder Gottes und müssen füreinander Verantwortung übernehmen. Wird Papst Franziskus demnächst nach Deutschland kommen? MÜLLER Es gibt andere Staaten, die der Präsenz des Heiligen Vaters dringender bedürfen. Papst Franziskus spricht immer von den existenziellen und materiellen Peripherien, die ihm am Herzen liegen. Aber die Entscheidung zu seinem Reise-Programm kenne ich nicht. Wir können uns sicherlich freuen, wenn er nach Deutschland kommt. Wenn er vorher zu anderen geht, sollte man das aber nicht gleich als tragisch bezeichnen. Von Deutschland aus ist es sehr leicht, nach Rom zu pilgern oder über die Medien seine Botschaften zu hören. Das Wichtigste ist es aber, dass wir dort, wo wir sind, uns nicht nur als Christen verstehen, sondern auch als Christen leben und handeln.