Rheinische Post Krefeld Kempen

Das Chaos namens Amore

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Chris Kraus schreibt in „I Love Dick“sehr wahrhaftig über das Verliebtse­in.

DÜSSELDORF Über dieses Buch reden gerade alle, Amazon macht sogar eine Fernsehser­ie daraus, die erste Folge ist bereits online. Es heißt „I Love Dick“, und geschriebe­n hat es die US-Autorin Chris Kraus. Wer die Leute sprechen hört, könnte allerdings meinen, das sei ein ganz schwierige­s und furchtbar verkopftes Buch, denn immerzu ist die Rede davon, dass es das Zeug zum feministis­chen Klassiker habe, und außerdem komme viel Theorie vor: französisc­her Struktural­ismus und so etwas. Davon sollte man sich aber bloß nicht abschrecke­n lassen, „I Love Dick“kann man nämlich auch ganz anders lesen, als Studie über das Verliebtse­in nämlich, über Verlangen und Sehnsucht.

Kraus hat die Mischung aus Autobiogra­fie, Essay und Roman schon vor 20 Jahren veröffentl­icht, damals wollte sie noch kaum jemand lesen. Der Text handelt davon, dass eine Frau namens Chris Kraus und ihr Ehemann einen Kollegen des Ehemanns treffen. Sie sehen einander nur kurz, aber man weiß ja, dass Amor nicht lange braucht fürs Pfeilschie­ßen. Chris hat es jedenfalls voll erwischt, sie schreibt Dick Briefe. Liebesbrie­fe. Viele. Und sie schickt sie zunächst nicht ab. Damit sie besser über diese Sache sprechen kann, schreibt sie von sich übrigens in der dritten Person. Abstrakte Romantik.

Der Erfolg kam, als die Filmemache­rin Lena Dunham ihrer Freundin, der Sängerin Lorde, das Buch schenkte und die es bei Instagram postete. So wurden Millionen Menschen aufmerksam. Nun liegt es auf Deutsch vor, und das ist gut. „I Love Dick“beschreibt, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein. Und wie man sich dann selbst im Weg steht. Die selbstrefl­exive Briefform ist ein Weg, das Chaos namens Amore zu ordnen. Eigentlich ist das sogar eine gute Anregung, um das Herzklopfe­n zurück in den Takt zu bringen: Schreiben als Selbstgesp­räch.

Das Buch spielt in L.A., dieser „auf Glasfasern­erven gefädelten Stadt“. Chris Kraus hört Ramones, liest Henry James und sieht Filme von Eric Rohmer. Kram, mit dem Verliebte versuchen, die Zeit zu verkürzen. Irgendwann meldet sich Dick, und das ist dann die beste Stelle: „Als Du am Sonntagabe­nd anriefst, war ich gerade dabei, eine Beschreibu­ng deines Gesichts zu verfassen.“Wahrhaftig. Ursprüngli­ch. Herrlich.

Vielleicht geht es im Leben überhaupt nur darum, wieder 16 zu sein.

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