Rheinische Post Krefeld Kempen

Böll im Schauspiel Köln: Ansichten eines Grantlers

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

KÖLN Heinrich Böll selbst hat 1985 ein kritisches Nachwort zu „Ansichten eines Clowns“, einem seiner bekanntest­en Werke, verfasst: „Nachgebore­ne werden kaum begreifen, wieso solch ein harmloses Buch seinerzeit einen solchen Wirbel hervorrufe­n konnte. Lernen können sie an diesem Buch, wie rasch in unseren Zeiten ein Roman zum historisch­en Roman wird“, heißt es darin. Was hat uns der Clown gut 30 Jahre später zu sagen? Erstaunlic­h viel. Das beweist Autor und Regisseur Thomas Jonigk, der sich für das Schauspiel Köln mit einem Stoff befassen durfte, der auf dem besten Wege ist, in der Schublade „Nachkriegs­literatur“zu verstauben.

Was bei Erscheinen 1963 noch einen handfesten Skandal vor allem im mächtigen katholisch­en Verbandswe­sen auslöste, war die Darstellun­g einer außereheli­chen Beziehung gepaart mit böser Kirchenkri­tik. Mit diesen Themen kann man längst nicht mehr schocken. Aber Bölls Held Hans Schnier – von Beruf Clown – hat noch ein anderes Thema: die mangelnde Aufarbeitu­ng der Nazi-Zeit in Deutschlan­d.

Abseits aller berechtigt­en Kritik, die er äußert, ist er ein schwierige­r Charakter: Der Verlust seiner geliebten Marie hat ihn bitter gemacht und kraftlos. Am Anfang von Thomas Jonigks Inszenieru­ng sitzt er auf seinem schmalen Bett mit schriller 1980er-Jahre-Bettwäsche inmitten der 1950er-Jahre-Einrichtun­g seiner Familie. Jörg Ratjen ist die perfekte Besetzung für diesen zynischen und traurigen Clown, der klingt, als würde er weinen, wenn er über sich selbst lachen möchte. Er geht wunderbar auf in der Rolle des Stachels im Fleisch der fetter werdenden bundesdeut­schen Gesellscha­ft und zieht die anderen Darsteller einfach mit.

Irgendwann entfernen sie ihn und sein Bett aus dem Guckkasten der beschaulic­hen Unternehme­rFamilieni­dylle und der Clown richtet sich ein in seinem Platz außerhalb der Gesellscha­ft, die ihren erhaltenen und neu gewonnen Reichtum verwaltet. Er gefällt sich darin, den Finger in die Wunde zu legen. Regisseur Thomas Jonigk lässt ihm am Ende als Grantler mit der noch älter gewordenen Dienstmagd seiner Eltern Tee trinken. Sein Kampf wird nie zu Ende gehen.

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