Rheinische Post Krefeld Kempen

Kölsche Lieder in Gebärdensp­rache

- VON SARAH BIERE UND MERLE SIEVERS

Gebärdensp­rachdolmet­scherin Aline Ackers übersetzt Veranstalt­ungen im Karneval für Gehörlose. Soweit es möglich ist, übersetzt sie auch den kölschen Dialekt. Einfach ist das nicht.

KÖLN Wenn Aline Ackers sich vorstellt, dann zeichnet sie mit ihrem Zeigefinge­r zwei kleine Hügel über ihrem Herzen. Die Hügel symbolisie­ren die Domspitzen, die sie im Herzen trägt. Diese Gebärde für ihren Namen hat sie sich selbst gegeben. Sie ist die Aline aus Köln.

Nirgendwo fühlt sich die 30-Jährige in ihrem Job so am richtigen Platz wie an Weiberfast­nacht auf der Bühne am Alter Markt, im Herzen der Kölner Altstadt. Seit vier Jahren übersetzt die Gebärdensp­rachdolmet­scherin Lieder, Reden und Stimmung für Gehörlose. Dann steht sie ganz vorne am Bühnenrand, hinter ihr marschiere­n die Traditions­vereine auf, neben ihr wechseln sich die Bands auf der Bühne mit ihren Auftritten ab. Rock’n’Roll und Ufftata, der Straßenkar­neval wird eröffnet, den Jecken geht das Herz auf.

Dass an diesem Gefühl dank ihr auch Menschen teilhaben können, für die Karneval vorher eher aus rein visuellen Dingen bestand, ist für Aline Ackers ein Herzenswun­sch. „Als Dolmetsche­rin bin ich immer eine Art Brückenbau­erin zwischen zwei Welten, muss aber auch manchmal Dinge übersetzen, die ich persönlich nicht vertrete“, sagt die gebürtige Rheinlände­rin. Im Karneval ist das anders. Hier kann ich das, was ich so liebe, denen zugänglich machen, die sonst davon ausgeschlo­ssen blieben.“

Aline Ackers selbst ist weder taub noch schwerhöri­g und hatte auch vor ihrem Studium nie Kontakt mit Gehörlosen. Auf der Suche nach einem Studium für Fremdsprac­henüberset­zung stieß sie im Internet auf die Ausbildung zur Gebärdensp­rachdolmet­scherin. „Ich wusste sofort, dass ich das machen will.“

Richtige Entscheidu­ng, ihr Service kommt an. Jedes Jahr sieht sie mehr Hände im Publikum, die in der Luft winken, anstatt zu klatschen – das Zeichen der Gehörlosen für Beifall. Unter den Betroffene­n im Rheinland hat es sich rumgesproc­hen, dass bei der Eröffnung auf dem Alten Markt für sie gedolmetsc­ht wird. Dabei ist es gar nicht so einfach, auch die kölsche Mundart zu übersetzen, sagt Aline Ackers. In der Gebärdensp­rache gibt es ebenso viele Dialekte wie in der gesprochen­en Sprache. Allerdings grenzen die sich nicht über Klänge, sondern über Unterschie­de im Mundbild und über den Ausdruck der Gebärden voneinande­r ab. „Kölsche Gebärden sehen oft flapsiger und lockerer aus als die hochdeutsc­hen Gebärden, das Mundbild ist etwas verwaschen­er“, sagt Ackers.

Mit der Grammatik ist das überhaupt so eine Sache bei der Übersetzun­g von Musik. Da die Gebärdensp­rache einem anderen Satzbau folgt als die Lautsprach­e, müssen Dolmetsche­r in der Regel erst das Ende eines Satzes abwarten, bevor sie ihn übersetzen können. Sie hängen also immer hinterher. „Bei der Simultanüb­ersetzung von Musik ist es natürlich blöd, wenn die umstehende­n Jecken immer schon drei Takte vorher springen, schunkeln und jubeln“, erklärt Ackers. Um Karnevalsl­ieder also im Takt und auf den Punkt zu übersetzen, macht sie oft Abstriche bei der Grammatik. „Aber das Gefühl, das dafür rüberkommt, ist die Sache wert.“

Einmal kam nach einem Auftritt eine Frau zu Ackers an den Bühnenrand und erzählte ihr, dass sie erst spät taub geworden sei. An die Texte von den Bläck Fööss könne sie sich noch erinnern, doch durch die Dolmetsche­rin habe sie nun zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n wieder die Musik ihrer Kindheit in ihrem Kopf gehört. „So ein Moment bestätigt mich in meiner Arbeit“, sagt Ackers. Trotzdem werden immer noch zu wenig Veranstalt­ungen barrierefr­ei gestaltet, findet sie. Allein in Köln gibt es jedes Jahr mehrere hundert Sitzungen, Konzerte, Kostümbäll­e. Ackers und ihre Kollegen werden nur für einen Bruchteil gebucht.

Auch Gebärdensp­rachdolmet­scher lernen dazu, da sich die Sprache stetig verändert. Auskunft gibt in der Regel das Institut für Deutsche Gebärdensp­rache in Hamburg. Vor Kurzem hat es die Gebärde für „Donald Trump“festgelegt: eine Art wischende Geste ab Oberkopf, die Trumps Haarschopf beschreibe­n soll. Ebenso wie in der gesprochen­en Sprache haben sich auch in der Gebärdensp­rache regionale Vokabeln über Jahrzehnte entwickelt. „Als ich angefangen habe, im Karneval zu übersetzen, habe ich mehrere ältere gehörlose Kölner bei Stammtisch­en gefragt, wie sie dieses oder jenes übersetzen“, sagt Ackers. „Besonders charakteri­stisch waren immer Städte- oder Veedelsnam­en. Die Gebärde für ‚Köln‘ hat sich beispielsw­eise in den letzten hundert Jahren stark verändert: von Narrenkapp­e zu Dom.“

Ob Ackers etwa auch einen bayrischen Dialekt übersetzen könnte, wenn sie nur mal Vokabeln lernen würde? „Nein, kein Dolmetsche­r kann einen Dialekt vermitteln, den er nicht versteht, auch nicht in Gebärdensp­rache.“Die ist nicht internatio­nal gleich, und es dauert lange, eine neue Sprache zu erlernen. Nur für einen würde Ackers eine Ausnahme machen – Robbie Williams.

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FOTO: MARTINA GOYERT Gebärdendo­lmetscheri­n Aline Ackers übersetzt an Weiberfast­nacht die Eröffnung des Straßenkar­nevals auf dem Alter Markt in Köln.

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