Rheinische Post Krefeld Kempen

Spiel mit dem Feuer in Griechenla­nd

- VON GERD HÖHLER

ATHEN Lange war das Thema tabu, jetzt ist das Wort plötzlich wieder in aller Munde: Grexit. Nicht nur Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble und FDP-Chef Christian Lindner stellen Griechenla­nds Zukunft in der Eurozone infrage. Auch griechisch­e Regierungs­politiker liebäugeln mit der Rückkehr zur Drachme. Mit der sei es den Griechen doch in den 60er Jahren ganz gut gegangen, glaubt sich Nikos Xydakis zu erinnern, Fraktionss­precher des Linksbündn­isses Syriza. Das klingt ein wenig nach der „guten alten Zeit“, die in der Erinnerung stets schöner erscheint als sie wirklich war und überdies nie wiederkehr­t. Zwar wollen laut Umfragen zwei von drei Griechen am Euro festhalten. Aber immerhin jeder Dritte hätte gern die Drachme zurück.

Wolfgang Schäuble versuchte schon 2015, den Griechen einen Grexit als „Auszeit“schmackhaf­t zu machen, als eine Art Reha, nach der sie gestärkt wieder in die Währungs- union zurückkehr­en könnten – vielleicht nach fünf Jahren. Aber bei nüchterner Betrachtun­g ist klar: Wer einmal austritt, für den wird sich die Tür zur Euro-Zone nie wieder öffnen. Zumal es Griechenla­nd während dieser Rosskur nicht besser, sondern sehr viel schlechter gehen würde.

Ein Grexit würde weder den Griechen noch ihren Gläubigern helfen. Die Probleme des Landes wurzeln nicht in seiner Währung sondern in den chronische­n Struktursc­hwächen sowie der Reformunwi­lligkeit der Politik und großer Teile der Gesellscha­ft. Das demonstrie­rt der Linkspopul­ist Alexis Tsipras sehr eindrückli­ch. Es ist kein Zufall, dass er sich mit dem Rechtspopu­listen Panos Kammenos verbündete, um eine Regierung zu bilden. Mit vereinten Kräften perfektion­ieren beide Politiker jene politische Vetternwir­tschaft, die Griechenla­nd in den Schuldenst­rudel geführt hat.

Reformdruc­k auf Tsipras: Ja, und in aller Härte. Aber die Drohung mit dem Grexit ist politisch kontrapro- duktiv und ökonomisch unsinnig. Durch eine Rückkehr zur Drachme würde das abgewirtsc­haftete Land nicht per se wettbewerb­sfähiger. Zwischen 1975 und 1994 wertete die Drachme gegenüber den Währungen der wichtigste­n Handelspar­tner um rund 85 Prozent ab. Dennoch stiegen die Exporte in diesem Zeitraum nur von 13 auf 16 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s – trotz des Beitritts zur damaligen EWG und der Zollunion. Das zeigt: Einem Land, das nur wenige gefragte Exportgüte­r produziert, helfen auch niedrige Preise nicht.

Der Tourismus könnte von einem Grexit profitiere­n, weil sich der Griechenla­nd-Urlaub dann für ausländisc­he Gäste verbilligt. Aber wer reist schon gern in ein Land, das im Chaos versinkt? Genau das würde Griechenla­nd drohen. Fachleute erwarten bei der Rückkehr zur Drachme eine Hyperinfla­tion, einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung um ein Fünftel und eine Abwertung gegenüber dem Euro um 65 Prozent im ersten Jahr.

Das Land bekäme Schwierigk­eiten, Treibstoff­e, Arzneien und Lebensmitt­el zu importiere­n. Ihre Euro-Schulden könnten die Griechen mit der schwachen Drachme niemals abbezahlen. Die Hilfskredi­te wären verloren. Insofern hätten auch die Gläubiger nichts von einem Grexit.

Der Grexit würde zu noch höherer Arbeitslos­igkeit und Massenelen­d führen. Das hätte unabsehbar­e Folgen für die politische Stabilität eines Landes, das im östlichen Mittelmeer ein wichtiger Sicherheit­sanker der EU und der Nato ist – dies umso mehr, als sich die Türkei unter dem Despoten Erdogan gerade aus der europäisch­en Wertegemei­nschaft verabschie­det. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrun­d ist die Grexit-Debatte ein Spiel mit dem Feuer.

 ?? FOTO: DPA ?? Der griechisch­e Regierungs­chef Alexis Tsipras (l.) spricht mit EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici.
FOTO: DPA Der griechisch­e Regierungs­chef Alexis Tsipras (l.) spricht mit EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici.

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