Rheinische Post Krefeld Kempen
Die neue Lust auf Bobbele
Wenn es nach den Wünschen des Verbands geht, soll Boris Becker dem deutschen Tennis mal wieder neue Hoffnung geben. Die Frage ist nur: In welcher Funktion?
DÜSSELDORF Boris Franz Becker galt jahrelang als Witzfigur. An diesem Image hat er selbst hart gearbeitet. Wechselnde Liebschaften, Steuerbetrügereien und eine insgesamt bemitleidenswerte Selbstdarstellung nährten den Verdacht, dass es nicht mehr lange dauern könne, bis er mit Lothar Matthäus, dem Fußball-Weltmeister ohne Anschlussverwendung, der „Erfahrung wegen“ins Dschungelcamp gehen würde. Vielen hierzulande war Bobbele einfach nur noch peinlich. Man zeigte sich nicht mehr gern mit dem Rotblonden aus Leimen, der im zarten Alter von 17 Jahren eine ganze Nation in den Tennistaumel schickte, weil er im All England Lawn Tennis and Croquet Club von Wimbledon triumphierte.
Erst recht nicht der Deutsche Tennis-Bund. Die Funktionäre hatten nicht viel unternommen, das Aushängeschild über fast zwei Jahrzehnte angemessen in Schutz zu nehmen. Speziell in England, aber auch in vielen anderen Ländern wurde am Heldenstatus von Becker nie gekratzt. So kam es auch zum Engagement im Trainerstab von Novak Djokovic. Becker betreute den Serben bis Ende des vergangenen Jahres. Bilanz: sechs GrandSlam-Titel. Ein Umstand, der die aktuelle Wahrnehmung von Becker in Deutschland maßgeblich geprägt hat. Im Vordergrund steht nun nicht mehr der pokerspielende Lebemann, bei dem man noch immer den Kurpfälzer Dialekt raushört, sondern der angesehene Tennisfachmann mit einer Anstellung als TV-Experte beim Sender Eurosport. Es ist wieder salonfähig geworden, Becker gut zu finden. Verrückte Zeiten.
Beim DTB findet man Becker besonders toll. So toll, dass man ihm
Und plötzlich war die große Weltpolitik in dieser Woche im beschaulichen Darmstadt gelandet. Dem Hessischen Rundfunk sei Dank. Die Kollegen hatten nämlich recherchiert, dass Fußball-Bundesligist SV Darmstadt 98 der einzige Verein aus den europäischen Top-Ligen sei, dem der ehemalige US-Präsident Barack Obama über den Kurznachrichtendienst Twitter folgt. Hammer, oder? Also, wenn diese Nachricht das Kopf-Kino nicht anwirft, welche dann?
Haben Sie nicht auch sofort das Bild vor Augen, wie Obama, damals noch in Amt und Würden, sich, sagen wir, im Dezember, samstagsmorgens um 9.30 Uhr in sein Büro im Weißen Haus heimlich eingeschlossen hat („Michelle, ich will jetzt nicht gestört werden, frühstückt heute mal ohne mich“), um am Laptop über einen illegalen, chinesischen Internet-Stream zu verfolgen, wie sein Lieblingsverein unglücklich gegen den FC Bayern mit 0:1 verliert? Und wie hat er es nur geschafft, nach den vielen Niederlagen seiner Lilien trotzdem objektiv und emotionslos seinem Hauptberuf nachzugehen? Sein Nachfolger Donald Trump schafft das ja nicht mal einen Tag lang, und von ihm ist öffentlich eine abermalige Liaison angetragen hat. Der DTB und Becker hatten sich schon einmal viel voneinander versprochen. Von 1997 bis 1999 hatte Becker als Spielertrainer Verantwortung im deutschen Davis-Cup-Team übernommen. Er brachte vor allem seinen Namen ein. Schon nach kurzer Zeit reichte selbst das nicht mehr aus. Man ging auseinander und hatte sich fortan nicht mehr viel zu sagen, wie das eben bei gescheiterten Beziehungen oft so ist.
Doch nun gibt es Angelique Kerber und Alexander Zverev. Und beim DTB hat man mal wieder die Hoffnung, einen „Aufschwung“zu erkennen. Besonders der umtriebige Vize-Präsident Dirk Hordorff ist darum bemüht, die Gunst der Stunde zu nutzen. Hordorff, der einst als Trainer Rainer Schüttler und Janko Tipsarevic zu Weltklassespielern formte, ließ unlängst verlauten: „Der Deutsche Tennis Bund ist grundsätzlich immer an der Expertise von Boris Becker interessiert.“
Becker hat sehr wohl vernommen, dass sich der DTB um ihn bemüht. „Der DTB hätte gerne, dass ich eine Rolle im Davis Cup übernehme“, bekundet der 49-Jährige. „Das ehrt mich erstmal, aber es ist noch nicht zu Ende diskutiert, was das ist.“Heißt übersetzt: Es ist noch nicht verhandelt, ob und wie viel Macht Becker von dem Präsidium eingeräumt bekommt. Oder ob er zum Beispiel als Berater ausschließlich für die Betreuung von Top-Talent Alexander Zverev eingesetzt wird. Der 19-Jährige, derzeit Nummer 18 in der Weltrangliste, wird vom DTB mit 60.000 Euro jährlich gefördert. Im internationalen Vergleich eine geradezu lächerlich mickrige Summe.
Für Zverev könnte die Erfahrung von Becker deutlich wertvoller sein, als die Penunzen des Verbandes. „Es ist noch ein weiter Weg, viele sind hungrig“, hat Becker einmal über die Aussichten von Zverev gesagt, den Aufstieg unter die Top-Spieler zu schaffen. „Alexander macht große Fortschritte. Bei ihm läuft’s gut und er ist zielstrebig.“Becker hat in diesem Zusammenhang in gewohnter Bescheidenheit nicht erwähnt, ob es mit seiner Unterstützung noch viel besser laufen würde. Für Becker macht ein Einstieg beim DTB jedenfalls nur Sinn, wenn seine Rolle im Team von Zverev klar ist.
Becker kann sich nun ganz entspannt zurücklehnen und abwarten, bis der DTB die Karten auf den nicht bekannt, Darmstadt-Fan zu sein. Oder HSV-Fan.
In jedem Fall elektrisierte die Kenntnisnahme vom wohl namhaftesten Anhänger Darmstadt umgehend. US-Profi Terrence Boyd richtete eine Videobotschaft an seinen berühmten Landsmann. Ein Trikot mit der Nummer 98 liege bereit. „See you at the Bölle“, sagte Boyd und legte damit nahe, dass nicht nur ein Trikot, sondern auch zwei Eintrittskarten für die Haupttribüne im überholtesten Stadion der Ersten Liga auf Abholung durch Obama Tisch gelegt hat. Nach dem peinlichen Aus in der Heimpartie gegen Belgien muss Deutschland zum dritten Mal nacheinander gegen den Abstieg aus der Weltgruppe im Davis Cup kämpfen. Das ist die triste Zustandsbeschreibung einer in Deutschland einst so erfolgreichen Sportart.
Mit Becker in einer führenden Rolle wird zumindest die Fantasie wieder etwas beflügelt, die guten, alten Zeiten könnten eine Renaissance erfahren. Alle ha- ben Bobbele wieder lieb. Der Anfang ist also schon mal gemacht. Immerhin. Ausreichend Zeit dürfte er haben. Becker schickt seine Frau nämlich in die Wüste – Lilly (40), seit 2009 seine Angetraute, soll sich für die ProSieben-Show „Global Gladiators“neben anderen Promis in verschiedenen Prüfungen durch Namibia kämpfen. Einer muss ja schließlich in der Familie für den Glamourfaktor sorgen.
Barack Obama, Edelfan Der Ex-Präsident soll Fan von Darmstadt 98 sein. Die schöne Geschichte hat leider einen Haken. Aber die Bilder im Kopf, die sie auslöst, machen trotzdem Spaß.
warten. Trainer Torsten Frings lud Obama später auch ganz offiziell zu einem Spiel ein („Er soll früh Bescheid sagen, damit wir die Sicherheitsvorkehrungen treffen können“), während sich jenseits des Atlantiks die „Washington Post“fragte, warum Obama nur einem so „furchtbar schlechten Team“folge.
Die Geschichte mit Darmstadts prominentem Edelfan hat nur einen Haken: Obamas Twitter-Account folgt nämlich nicht nur dem von Darmstadt, sondern auch 631.000 anderen Twitter-Nutzern. Dass ihm da der ein oder andere Lilien-Tweet durchgeht, und dass er vielleicht gar nicht weiß, wer Darmstadt 98 ist, scheint zumindest denkbar. Obama selbst hat sich bislang nicht zu dem Thema geäußert. Er verbringt inzwischen aber auch viel Zeit beim Kitesurfen in der Karibik.
Was bleibt, ist das Kino im Kopf. Bilder wie das vom schüchternen Darmstadt-Fan, der Obama auf der Haupttribüne anstupst und sagt: „Herr Obama, könnten Sie und Ihre Frau mich kurz auf meinen Platz durchlassen?“Und Obama steht dann auf, einen Vereinsschal um die Schultern, und sagt: „Yes, we can!“ Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de