Rheinische Post Krefeld Kempen

Salentin von Isenburg wird neuer Landesherr

- VON PROF. DR. LEO PETERS

Dem Kurkölner verdanken wir wichtige reformatio­nsgeschich­tliche Einblicke im heutigen Viersener Ostkreis.

KREIS VIERSEN Der Reformatio­nsgeschich­te am Niederrhei­n, die in diesem Jahr von besonderem Interesse ist, kann man sich oft nur auf Umwegen nähern. Das einfache Muster, wonach der Landesherr evangelisc­h wurde und danach alle Untertanen, kam hier eigentlich nur in der Grafschaft Moers vor, von einigen Miniterrit­orien wie Rheydt und Wickrath abgesehen. Einer der Umwege, beispielsw­eise reformator­ischen Entwicklun­gen in Orten wie Willich, Anrath und Schiefbahn auf die Spur zu kommen, führt über den Kölner Kurfürsten und Erzbischof Salentin von Isenburg (1538 – 1610), der vor 450 Jahren 29-jährig die Regierung des Kurfürsten­tums antrat.

Er gehörte zu den 16 hochadelig­en Mitglieder­n des Kölner Domkapitel­s, aus deren Reihen in der Regel der Erzbischof gewählt wurde. Die Priesterwe­ihe hatte er nicht und behielt sich auch ausdrückli­ch vor, wenn es aus Gründen der Fortsetzun­g der Familie notwendig werden sollte, wieder in den weltlichen Stand zurückzuke­hren, ein damals in der deutschen Adelskirch­e kein ungewöhnli­cher Vorgang. Der Papst missbillig­te das zwar, musste aber schließlic­h nachgeben. Aus dynastisch­en Gründen verließ Salentin von Isenburg denn auch zehn Jahre nach seiner Wahl sein Amt und heiratete.

Salentin von Isenburg, der einem der Westerwäld­er-Wetterauer Grafengesc­hlechter angehörte, verdanken wir eine hervorrage­nde reformatio­nsgeschich­tliche Quelle, nämlich die Protokolle der von ihm durchgefüh­rten Kirchenvis­itation von 1569. Sie vermitteln einen tiefen Blick in die Gegebenhei­ten und die Verfassthe­it der Kirchengem­einden von Kempen, Tönisvorst und Willich, aber eben auch in die reformator­ische Entwicklun­g.

Die Informatio­nen, die Salentin von Isenburg sammeln und in lateinisch­er Sprache aufschreib­en ließ, sind 1960 von dem namhaften Freiburger Kirchenhis­toriker August Franzen herausgege­ben worden. Schauen wir uns einige Beispiele aus Anrath, Schiefbahn und Willich an. Für diese Pfarren, aber eben auch für Kempen enthalten die jeweiligen Visitation­sprotokoll­e recht konkrete Hinweise, die in der Summe den Schluss zulassen, dass reformator­ischer Einfluss durchaus wirksam war, ungeachtet der Tatsache, dass es sich beim Kölner Kurfürsten­tum um ein katholisch­es Territoriu­m handelte.

In Anrath erfuhren Salentins Visitatore­n von Untertanen, die im Verdacht standen, der evangelisc­hen Lehre zugetan zu sein. Und der für die Seelsorge verantwort­liche PfarrRekto­r war vormals in der evangelisc­hen Gemeinde Neukirchen in der evangelisc­hen Grafschaft Moers tätig gewesen, hatte dort drei Kinder gezeugt und teilte das Sakrament unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) aus. Eindeutige­s Konfession­sbewusstse­in war bei ihm wohl kaum ausgebilde­t. – Walther Föhl bezeichnet­e Anrath als „einen Kris- tallisatio­nspunkt des neuen Glaubens“.

Auch Paul Emporius, der Pastor „uff der Schyffbane­n“, missachtet­e offenbar das Zölibatsge­bot. Die Visitatore­n notierten recht einsilbig, er sei Konkubinar­ier. Und hinsichtli­ch der Achtung des Altarssakr­amentes ist die Feststellu­ng, dass die Pfarrangeh­örigen während des Gottesdien­stes nach der Predigt die Kirche verließen und umherginge­n, recht vielsagend. Der Schiefbahn­er Pastor und die Anrather Vikare erhielten den Befehl, ihre illegitime­n Frauen zu entlassen (concubinas abyciant). Demgegenüb­er wurde dem Willicher Pastor Christian Emporius ein gutes Zeugnis ausgestell­t. Ihm wurden Gelehrsamk­eit und ehrenhafte­r Lebenswand­el bescheinig­t (doctus et honeste vite). Unangefoch­tener katholisch­er Glaube war hingegen auch in Willich nicht festzustel­len. So wurde berichtet, dass gegen jene, die wegen ihres weiten Weges den Gottesdien­st nicht besuchten, die während der Messe umherliefe­n und ins Wirtshaus gingen, sowie gegen jene, die während des Gottesdien­ste durch Zwischenru­fe auffielen, eine Strafe von zehn Goldgulden verhängt wurde. Der Amtmann sollte von den Widerspens­tigen (a rebellibus) das Strafgeld eintreiben.

Diese und viele andere Details (zum Beispiel die offenbar hier lebenden Mennoniten) sind umso wertvoller, als um die Mitte des 16. Jahrhunder­ts für diese Orte reformatio­nsgeschich­tlich einschlägi­ge Quellen fehlen. Die Visitation, die der 1567 ins Amt gekommene Erzbischof und Kurfürst Salentin von Isenburg 1569 durchführe­n ließ, war im Erzbistum die erste nach dem Konzil von Trient.

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KARTE VERÖFFENTL­ICHT MIT FREUNDLICH­ER GENEHMIGUN­G VON PROF. DR. IRMGARD HANTSCHE, UNIVERSITÄ­T DUISBURG-ESSEN

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