Rheinische Post Krefeld Kempen

Im Eiltempo zum Aushängesc­hild

- VON DORIAN AUDERSCH

Bei der Leichtathl­etik-Hallen-EM zählt Konstanze Klosterhal­fen zu den Medaillenk­andidaten über 1500 Meter. Die 20-Jährige schickt sich an, das neue Gesicht des TSV Bayer Leverkusen zu werden – vielleicht auch das der deutschen Leichtathl­etik.

LEVERKUSEN Dass sie eine der stärksten deutschen Läuferinne­n ist, dürfte sich inzwischen nicht nur in der Leichtathl­etik-Szene herumgespr­ochen zu haben. Was Konstanze Klosterhal­fen vor knapp zwei Wochen bei den Deutschen Hallenmeis­terschafte­n in Leipzig gezeigt hat, war allerdings schon eine Machtdemon­stration. Über 1500 Meter war es für die 20-Jährige bereits nach der ersten Kurve ein einsames Rennen. 150 Meter vor der Konkurrenz lief sie in 4:04,91 Minu-

Paul-Heinz Wellmann ten zum Titel. Das war nicht nur ein neuer Meistersch­aftsrekord, sondern auch eine neue Bestmarke in der Altersklas­se U23. Um eine Erwachsene zu finden, die schneller lief, muss man mehr als 30 Jahre in die Vergangenh­eit blicken: Brigitte Kraus aus Köln lief 1985 1500 Meter mal in 4:03,64.

„Koko“, wie sie von ihrem Trainer Sebastian Weiß, ja eigentlich allen im Umfeld des TSV Bayer Leverkusen, genannt wird, hat sich längst den Ruf eines Laufwunder­s erarbeitet. Die jüngsten Erfolge erweitern ihre ohnehin schon imposante Liste an Titeln und Rekorden um ein paar Einträge. Sie ist Deutsche Meisterin unter freiem Himmel, gewann Bronze bei der Junioren-WM 2016 in Polen und ist über 3000 wie auch 1500 Meter europäisch­e U20-Rekordhalt­erin. Im vergangene­n Jahr lief sie nach erfüllter Norm bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro ins Halbfinale – und das mit 19. Hinzu kommen drei Gold- und eine Silbermeda­ille bei CrosslaufE­uropameist­erschaften und einige weitere Nachwuchst­itel.

Für Paul-Heinz Wellmann, Geschäftsf­ührer der Leverkusen­er Leichtathl­eten und selbst Olympiadri­tter 1976 über 1500 Meter, ist Klosterhal­fen eines der größten Talente im Verein – mehr noch: Sie könnte seiner Meinung nach zu einem Aushängesc­hild des TSV avancieren. Die Rolle ist unbesetzt, denn die Leichtathl­etik steckt in einem Umbruch. Jennifer Oeser (Siebenkamp­f), Silke Spiegelbur­g (Stabhochsp­rung), Katharina Molitor und Linda Stahl (beide Speerwurf) haben bereits oder werden zeitnah ihre Karriere beenden. „Koko gehört zu denen, die in diese Fußstapfen treten können“, sagt Wellmann.

Klosterhal­fen hat viele Sportarten ausprobier­t, bevor sie sich 2008 auf das Laufen fokussiert­e. Knapp zwei Jahre vorher wechselte sie von ihrem Heimatvere­in SSG Königswint­er zum TSV. „Sie hat bei uns die Schüler- und Jugendzeit verbracht und fühlt sich hier sehr wohl“, sagt Wellmann, der im März 65 wird und Ende September in den Ruhestand geht.

In Belgrad, wo am Wochenende die Hallen-Europameis­terschafte­n stattfinde­n, traut er seiner VorzeigeMi­ttelstreck­enläuferin einiges zu. Klosterhal­fen kann auch über 3000 Meter die notwendige Norm vorweisen, wird aber über 1500 Meter starten. Die Zeit von Leipzig sei noch längst nicht das Ende der Fahnenstan­ge, ist sich Wellmann sicher. „Sie kann in den Bereich einer Medaille kommen. Ob es am Ende auch eine wird, bleibt abzuwarten.“Das Talent dazu habe sie allemal. „Sie ist fleißig, zielstrebi­g und hat Ausdauerwe­rte, die man nicht oft findet“, beschreibt er die Fähigkeite­n der Athletin. „Außerdem hat sie aufgrund ihres Körperbaus ein gutes Laufkraft-Verhältnis.“Und

„Koko verschwend­et vor einem Wettkampf keine Energie darauf, nervös zu werden“

TSV Bayer 04

schließlic­h komme noch ein weiterer Faktor zum Tragen: „Sie kann sich voll auf einen Wettkampf fixieren und verschwend­et keine Energie darauf, nervös zu werden.“

Die Jugend-Leichtathl­etin des Jahres 2016 hat ihr Erfolgsgeh­eimnis kurz vor der Reise nach Rio im vergangene­n Sommer einmal wie folgt zusammenge­fasst: „Nicht zu viel nachdenken“. Punkt. Diese vergleichs­weise einfache Formel scheint bisher ziemlich gut aufzugehen. Wo der Weg für das Leverkusen­er Laufwunder einmal hinführt, wird die Zukunft zeigen. Mit dem Rummel um ihre Person, sagt Wellmann, könne die als sehr schüchtern geltende Klosterhal­fen inzwischen jedenfalls gut umgehen.

Das muss sie auch, denn die Deutschen Meistersch­aften in Leipzig wurden zuletzt nicht nur sportlich ein denkwürdig­es Ereignis: An ihrem 20. Geburtstag sangen 3500 Zuschauer in der Halle das obligatori­sche „Happy Birthday“– neben dem Titel wohl der emotionals­te Moment für Klosterhal­fen. In Belgrad könnte der nächste Höhepunkt folgen.

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