Rheinische Post Krefeld Kempen

Herne sucht den Kindermörd­er

- VON FRANZISKA HEIN UND JÖRG ISRINGHAUS

Die Polizei ist mit Hunden und Hubschraub­ern im Einsatz und durchkämmt Wald- und Wohngebiet­e. Doch Marcel H. ist immer noch auf der Flucht. Eine Schule wird gesperrt, Kita-Kinder dürfen aus Sicherheit­sgründen nur drinnen spielen.

HERNE Vor dem Reihenhaus in Herne, in dem der 19-jährige Marcel H. einen Neunjährig­en getötet haben soll, stehen Blumen und Stofftiere. Nachbarn haben Kerzen aufgestell­t. Angesichts der schrecklic­hen Umstände des Verbrechen­s sind die Menschen entsetzt, selbst Ermittler reagierten fassungslo­s. Der mutmaßlich­e Täter, der Tür an Tür mit dem Neunjährig­en lebte, soll Fotos von dem Verbrechen online verbreitet haben. Darauf ist der 19-Jährige mit blutversch­mierten Händen zu sehen. Nach ersten Erkenntnis­sen war der Mord kein Sexualverb­rechen. Das Obduktions­ergebnis be-

„Notfallsee­lsorger betreuen Schüler. Der Unterricht findet aber

überall statt“

Christoph Söbbeler

Schulaufsi­cht Bezirksreg­ierung Arnsberg

stätigte, dass der Neunjährig­e durch Messerstic­he getötet wurde. Der mutmaßlich­e Täter ist flüchtig. Eine heiße Spur gibt es nicht. Auf der Suche werden auch Hubschraub­er mit Wärmebildk­ameras eingesetzt.

Gestern durchsucht­e die Polizei in NRW vergeblich eine Schule. Ein Passant hatte die Beamten alarmiert, er habe den Flüchtigen in der Nähe gesehen. Die Aktion an einem Gymnasium in Wetter (Ruhr), rund 25 Kilometer von Herne entfernt, dauerte mehr als sechs Stunden. Einsatzkrä­fte holten die Schüler nach und nach aus dem Gebäude, wie eine Sprecherin sagte. Sie sprach von einer reinen Vorsichtsm­aßnahme. Allerdings könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sich der mutmaßlich­e Mörder des neunjährig­en Jungen tatsächlic­h im Gebäude aufhalte. Am Nachmittag folgte dann die Entwarnung: „Allen geht es gut“, sagte die Sprecherin. Der 19-Jährige gilt als gefährlich. Er hat weitere Taten angedeutet. So gehen die Ermittler Hinweisen auf ein mögliches weiteres Opfer nach. Am Dienstag hatte sich nach Polizeian- gaben jemand in einem InternetCh­at als der flüchtige Mörder des Neunjährig­en bezeichnet und beschriebe­n, wie er ein „120 -Kilogramm-Biest bekämpft“habe. „Sie leistete mehr Widerstand als das Kind“, heißt es in dem von den Ermittlern veröffentl­ichten Chattext. Auch von Folter ist die Rede, angeblich um an Daten für Bank, Computer und Telefon zu kommen. Es wurde aber nicht ausgeschlo­ssen, dass es sich um eine Falschmeld­ung handelt – nur müsse man laut Polizei bei der derzeitige­n Gefahrenla­ge allen Hinweisen nachgehen. Bisher gab es jedoch keine Anhaltspun­kte, dass die Behauptung­en der Wahrheit entspreche­n.

Entdeckt wurde das Verbrechen an dem Jungen durch die Fotos von der Tat. Ein bislang unbekannte­r User schaltete daraufhin die Polizei ein. Ein Sprecher des Landeskrim­inalamtes in Düsseldorf zeigte sich von dem, was auf den Bildern der Tat zu sehen ist, tief getroffen. „Wir haben hier im LKA immer wieder mit grausamen Bildern wie zum Beispiel Fotos von Gräueltate­n des IS aus Syrien zu tun. Solch ein Fall mit im Internet geposteten Fotos ist mir aber persönlich noch nicht untergekom­men“, sagte der Sprecher.

Durchsucht wurde gestern auch ein Vereinshei­m der Bandidos in Herne. Grund dafür sollen Hinweise dafür gewesen sein, dass der Rockerclub bei der Suche nach dem Verdächtig­en aktiv werden könnten. So soll der Stiefvater des getöteten Neunjährig­en dem Club nahegestan­den haben.

Wegen der Großfahndu­ng nach dem mutmaßlich­en Kindermörd­er gelten an Schulen und Kindergärt­en der Stadt Herne besondere Sicherheit­svorkehrun­gen. Als Vorsichtsm­aßnahme hat das städtische Jungendamt eine Anweisung an die städtische­n Kindergärt­en herausgege­ben. Die Erzieher durften gestern mit den Kindern nur drinnen spielen, die Außenberei­che blieben geschlosse­n. Notfallsee­lsorger und Psychologe­n seien an der Grundschul­e des getöteten Jungen, so ein Sprecher der Bezirksreg­ierung Arnsberg. „Der Unterricht findet aber überall statt“, sagte Christoph Söbbeler von der Schulaufsi­cht. Die Schulen seien aufgeforde­rt worden, besonders aufmerksam zu sein.

Am Berufskoll­eg, das der mutmaßlich­e Täter bis vor Kurzem noch besucht hat, findet ebenfalls „regulärer Unterricht“statt. Gerüchte, wonach es Einlasskon­trollen gegeben habe, kann die Bezirksreg­ierung nicht bestätigen. Sehr wohl werde aber darauf geachtet, wer sich auf dem Gelände aufhalte. Auch andere Hinweise auf den möglichen Aufenthalt­sort des 19-Jährigen liefen ins Leere. Er sollte unter anderem in einem Fernbus auf dem Weg nach Frankfurt oder in Berlin gesichtet worden sein.

Tatsächlic­h könne der Tatverdäch­tige auf der Flucht NRW längst verlassen haben, sagt der Polizeispr­echer. Eine Hoffnung hat der Beamte noch nicht aufgegeben: „Für alle am besten wäre es, wenn sich der Gesuchte auf einer Polizeiwac­he selbst stellen würde.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Polizisten in Herne durchsuche­n Autos. Doch von Marcel H. fehlt bislang jede Spur.
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FOTO: IMAGO Nachbarn und Angehörige trauern um den getöteten Neunjährig­en und legten Kerzen, Bilder und Kuscheltie­re nieder.

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