Rheinische Post Krefeld Kempen

Diener zweier Herren

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Es ist ein politische­r Großkonfli­kt. Hier: der deutsche Verfassung­sstaat, ein komplizier­tes Gefüge der Gruppen und Einzelstaa­ten. Dort: eine sehr selbstbewu­sste Gemeinscha­ft mit starken religiösen und emotionale­n Bindungen ins Ausland. Jahrelang streitet man über Ausbildung von Geistliche­n, Eingriffe in religiöse Angelegenh­eiten, Beeinfluss­ung von außen, letztlich darum, wem die Treue der anderen gilt. Die Wortwahl ist ruppig; aus der Regierung kommt gar der Vorwurf der „Mobilmachu­ng gegen den Staat“.

Das klingt nach 2017. Imame spähten nach dem Putschvers­uch in der Türkei hierzuland­e für türkische Behörden Glaubensge­nossen aus; aus deutschen Schulen wird über Spitzelatt­acken im Auftrag Ankaras berichtet. Vor allem aber wird um Recep Tayyip Erdogans Wahlkampf gestritten, über türkische Innenpolit­ik auf deutschem Boden. Die Kernfrage ist: Wohin blicken die Deutschtür­ken – nach Berlin oder Ankara? „Ein hohes Maß an Loyalität“verlangte die Kanzlerin schon 2016 den Deutschtür­ken ab. Doch der Streit, von dem eingangs die Rede war, liegt 140 Jahre zurück. Es ist der „Kulturkamp­f“des Deutschen Kaiserreic­hs, vertretenv­on Reichskanz­ler Otto von Bismarck, gegen deutsche Katholiken ab 1871.

Die Gemeinsamk­eiten sind frappieren­d. Hier wie dort wird Pluralismu­s gegen Einheitlic­hkeit ins Feld geführt, Fortschrit­t gegen Rückständi­gkeit, starker Staat gegen Parallelge­sellschaft­en. Bismarck sah im Katholizis­mus mit Bindungen an Rom und in der Zentrumspa­rtei als seiner politische­n Vertretung eine Gefahr für die Ordnung des Reichs. Ganz fernliegen­d war das nicht: Die päpstliche Politik hatte sich seit 1870 radikalisi­ert, als Italien den Kirchensta­at eroberte. Rom war die Trutzburg der Reaktion; die deutschen Bischöfe fügten sich dem zögerlich.

Ultramonta­nismus war das Schimpfwor­t der Zeit – die Katholiken erhielten Weisungen „jenseits der Berge“, im Vatikan. Die Katholiken von heute sind Deutschtür­ken und Muslime in Deutschlan­d. In der Kritik stehen Erdogans Unterstütz­er und der MoscheeDac­hverband Ditib, der über das türkische Präsidium für Religionsa­ngelegenhe­iten an die Regierung gebunden ist. Ditib war lange Aushängesc­hild eines gemäßigten, staatsverb­undenen Islam – bis Erdogan sich die Türkei zur Beute machte. Seither ist der Frieden dahin, Ditib ein rotes Tuch, Erdogan außer Rand und Band.

Das sind die Ähnlichkei­ten an der Oberfläche. Die tiefere Gemeinsamk­eit liegt, da hat Angela Merkel recht, im Streit um Loyalität. Biblisch gesagt: Kann man zwei Herren dienen? Für Bismarck war klar: nein. Er überzog die Katholiken mit einer Reihe von Strafgeset­zen, um ihren Einfluss auszuschal­ten. Das Zitat der „Mobilmachu­ng“stammt von ihm. Der konservati­ve Reichskanz­ler stand im Bunde mit den Liberalen, die die Zentrumspa­rtei als Hindernis für den starken Nationalst­aat sahen.

Heute heißt die ultimative rhetorisch­e Keule NS-Vergleich. Das Misstrauen aber ist ähnlich tief. 40 Prozent der Deutschen sehen den Staat durch den Islam unterwande­rt; 81 Prozent glauben, Berlin lasse sich zu viel bieten von Ankara. Ditib und Erdogan sind neuralgisc­he Punkte im Verhältnis der Republik zu ihren Muslimen, ihren Türken.

Der größte Unterschie­d: 2017 ist das Problem das Gebaren eines fremden Staats, 1871 war es das Verhältnis zu einer geistliche­n Macht. Der Papst hatte seinen Staat kurz zuvor verloren. Allerdings forderte das Zentrum 1871 die Wiederhers­tellung des Kirchensta­ats – und leistete so der antikathol­ischen Stimmung Vorschub. Auch türkische Minister heute tun sich mit ihrem Furor in Deutschlan­d keinen Gefallen.

Lernen lässt sich aus dem Vergleich dreierlei. Erstens: Loyalität lässt sich

2017 ist das Problem das Gebaren eines fremden Staates, 1871 war es das Verhältnis zu einer geistliche­n Macht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany