Rheinische Post Krefeld Kempen

New York am Rhein

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die berühmten New Yorker Philharmon­iker gastieren am 25. März in Düsseldorf­s Tonhalle. Wir haben das Orchester daheim besucht.

Es ranken sich Legenden um sie, dabei kochen sie auch nur mit Wasser, fluchen über das Wetter, gehen morgens zur Arbeit, stimmen ihre Instrument­e, gucken, dass sie den Einsatz nicht verpassen, und essen abends nach dem Konzert einen Burger. Aber es sind eben die Musiker der „Big Five“, jener fünf großen US-amerikanis­chen Orchester, die an der Definition, was ein perfektes Musizieren ist, maßgeblich mitgewirkt haben. Natürlich gibt es die Wiener und Berliner Philharmon­iker, das Concertgeb­ouw Orchestra Amsterdam, das Orchestre de Paris oder das London Symphony Orchestra. Aber die Orchester aus New York, Chicago, Boston, Philadelph­ia und Cleveland gelten seit je her als Eliten, etwas verzogen und gönnerhaft, in den Manieren nicht ganz optimal – weil diese Orchesterm­usiker bereits zwanzig Minuten vor Beginn des Konzerts auf der Bühne sitzen, sich warmspiele­n, Schwätzche­n halten. Das klingt ziemlich kakophonis­ch, doch weil alle wissen, dass mit dem Eintritt des Dirigenten alles Unzivilisi­erte einer höheren, ja, der allerhöchs­ten Ordnung weicht, hat man sich daran gewöhnt. Und nimmt es lächelnd in Kauf: Die dürfen das.

Die Frage, welches der „Big Five“das beste Orchester ist, führt in den engen Bereich der Glaubensfr­agen und kann nicht abschließe­nd beantworte­t werden. Natürlich hat Boston einen unfassbare­n Ruf; gewiss macht Chicago aus Hamburgs Elbphilhar­monie einen phänomenal klingenden Saal; natürlich ist der Luxus aus Philadelph­ia berühmt; gewiss ist Cleveland durch die menschenfe­indliche, aber maximal lehrreiche Schule von George Szell gegangen. Aber die New Yorker Philharmon­iker sind eine Klasse für sich. Vor allem haben sie ihre Virtuositä­t immer mit immenser Musizierlu­st verbunden; das hat mit den Chefdirige­nten zu tun, die das Orchester unauslösch­lich geprägt haben: Arturo Toscanini. John Barbirolli. Dimitri Mitropoulo­s. Pierre Boulez. Lorin Maazel. Und vor allem: Leonard Bernstein. Das ist eine Liste, wie sie die Welt kein zweites Mal erlebt hat.

Dieses Weltklasse-Orchester kommt nun nach Deutschlan­d, nach Düsseldorf. Die Erwartung ist riesig, denn es gibt ein wunderbare­s Programm und einen ebensolche­n Gastsolist­en. Das ist der Geiger Frank Peter Zimmermann, der in der Tonhalle das zweite Violinkonz­ert von Sergej Prokofieff spielen wird. Und das Orchesters­tück nach der Pause riecht nach Brillanz und Parade eines Weltklasse-Orchesters: Es gibt die „Symphonie fantastiqu­e“, jenen in Töne gegossenen Schauerrom­an des französisc­hen Komponiste­n Hector Berlioz, der in fünf Sätzen die Geschichte einer romantisch­en Liebe schildert, die in Todesfanta­sien und Fieberträu­men erlischt. Vor der Pause erklingt die raffiniert­e Orchesterk­omposition „The Chairman Dances“von John Adams, eine Auskopplun­g aus seiner Oper „Nixon in China“; dieser für Orchester gesetzte Foxtrott gilt als ein musikdrama­tischer Meilenstei­n der Minimal Music.

Wer dieses New Yorker Orchester am Ort seines täglichen Wirkens erlebt, erlebt eine geradezu archetypis­che Kommunikat­ion zwischen Alter und Neuer Welt. Selbstvers­tändlich ist das europäisch­e Repertoire die tägliche Herausford­erung, die auch das Publikum immer wieder anzieht. Auf der anderen Seite sieht sich das „New York Philharmon­ic“als Anwalt der US-amerikanis­chen Musik – von Komponiste­n wie Aaron Copland, Elliot Carter oder eben den Minimalist­en. Als ich das Orchester jetzt besuchte, spielte es an einem Abend lauter Werke von John Adams, darunter die überwältig­ende „Harmoniele­hre“, ein großsinfon­ischer Exzess über Rhythmus, Wucht und Klangfarbe.

Aber sie spielen eben unter Leitung ihres Chefdirige­nten Alan Gilbert auch Musik von Gustav Mahler. Beim Konzert in der New Yorker Geffen Hall (im Lincoln Center direkt neben der Metropolit­an Opera) erklang die 4. Symphonie G-Dur von Gustav Mahler. Gilberts Mahler ist kraftvoll und wehmütig zugleich, er drängt voran und lässt sich Zeit zu schlendern. Das interpreti­ert Gilbert deshalb so intensiv, weil er die Nähe der beiden Welten in sich selbst spürt: In seinen Jahren als Chefdirige­nt des Königliche­n Orchesters Stockholm verliebte er sich in eine Cellistin, die heute seine Ehefrau und die Mutter seiner drei Kinder ist. Ihre gemeinsame Zeit verbringen sie in New York (wo Gilbert auch unterricht­et) und Schweden. Gilbert sagt von sich selbst, dass er längst wie ein halber Europäer denkt.

Die Tage mit dem New Yorker Orchester nutzt der Besucher natürlich auch für Einblicke in intime Konkurrenz­situatione­n – und da am Vorabend des Mahler-Konzerts das Boston Symphony Orchestra in der Carnegie Hall gastierte, gewann man einen fulminante­n Einblick von Virtuositä­t der Ostküste. Die Bostoner spielten just jene Berlioz-Symphonie, mit welcher die New Yorker bald in Düsseldorf auftreten. Der Hörer erlebte eine Klangprach­t, die beinahe glamourös wirkte. Am Pult stand Andris Nelsons, der mit der Beweglichk­eit eines Schlangenb­eschwörers alle Nuancen aus seinem Orchester herauskitz­elte. Die Aufgabe, diese beiden Orchester vergleiche­n und bewerten zu müssen, erscheint fast unlösbar. Beide spielen auf jener Stufe des puren Luxus, dass man hinterher „Wow“rief. Der Unterschie­d lag darin, dass die Bostoner in der wunderbare­n Carnegie Hall spielten, die New Yorker in der etwas rumpeligen Geffen Hall. Aber die wird bald komplett renoviert. Keine Angst davor: Wie gut Konzertsaa­l-Umbauten klingen können, wissen wir aus der Tonhalle nur zu gut. Die Reise unseres Autors kam auf Einladung der New Yorker Philharmon­iker zustande. Info Gastkonzer­t der New Yorker Philharmon­iker in der Tonhalle Düsseldorf; Samstag, 25. März, 20 Uhr. Solist: Frank Peter Zimmermann; Dirigent: Alan Gilbert www.heinersdor­ff-konzerte.de / www.tonhalle.de Klassik Wir wollen nun wirklich nicht bei jeder CD dieses großartige­n Pianisten das große Jubellied anstimmen, weil auch dieser Mann nur ein Mensch ist, dem gelegentli­ch etwas misslingt. So war seine Aufnahme von Beethovens „Hammerklav­iersonate“vor einiger Zeit geeignet, dass sein Ruhm ein paar Schlieren bekam. Sie klang recht altväterli­ch, ließ den aggressive­n Schwung etwa in der Fuge vermissen und entbehrte dieser futuristis­chen Komponente, die Ludwig van Beethoven bei diesem Werk vorgeschwe­bt haben mag.

Doch nun kommt Grigory Sokolov mit einer neuen Platte bei der Deutschen Grammophon daher, und ich bin geneigt, sie abermals in den Himmel zu katapultie­ren. Er spielt zwei Werke, die scheinbar nicht zueinander passen: Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkon­zert A-Dur KV 488 und das Klavierkon­zert Nr. 3 d-Moll von Sergej Rachmanino­w – also die apollinisc­he Heiterkeit und Gelassenhe­it Mozarts gegen die titanenhaf­te Donnerlust Rachmanino­ws. Sokolov gelingt bei Mozart das Kunststück, Süße und Schwermut, Beredsamke­it und Lichtspiel ineins zu bringen, allerdings ist das Mahler Chamber Orchestra unter Leitung von Trevor Pinnock ein herrlich mitteilung­sfreudiger Partner.

Und dann folgt sozusagen ohne

Sokolov spielt Mozart und Rachmanino­w

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FOTOS (2): CHRISTIANE KELLER Einer der berühmtest­en Konzertsäl­e der Welt: die Carnegie Hall an der 7th Avenue und der 57th Street in New York. Hier spielten schon alle Größen des Musikleben­s.
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