Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Tom Hanks des Pop

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das neue Album von Ed Sheeran ist bereits wenige Tage nach Erscheinen ein Milliarden-Erfolg.

DÜSSELDORF Es gibt fürchterli­che Lieder auf dieser Platte, und das fürchterli­chste ist sicher „Perfect“. Es klingt stark nach „Wonderful Tonight“von Eric Clapton, und Ed Sheeran besingt darin seine Freundin Cherry. Die beiden wohnen erst seit Kurzem zusammen, wie man hört, und sie haben zwei Katzen. Sheeran beschreibt, wie Cherry und er im Dunkeln miteinande­r tanzen, und als endlich alle Streicher an ihren Plätzen sind und ordentlich dicke Soße produziere­n, verrät Sheeran, dass er sich vorstellen kann, Kinder mit Cherry zu haben.

Das neue Album des 26-Jährigen heißt „÷“, es ist das dritte des Briten, der einst von Elton John gefördert wurde. Die Vorgänger tragen die Titel „+“und „ד. Seit ungefähr fünf Jahren gehört er zu den erfolgreic­hsten Solokünstl­ern, aber nun ist er der König: Die Stücke der aktuellen Platte wurden bereits wenige Tage nach Erscheinen mehr als eine Milliarde mal gestreamt. Die beiden gleichzeit­ig veröffentl­ichten VorabSingl­es erreichten sofort Platz eins und zwei in Deutschlan­d und England – das hat es noch nie gegeben. Sheeran liefert den Soundtrack zur Gegenwart, er ist der Liedermach­er für Leute mit Instagram-Account.

Und tatsächlic­h gibt es nicht bloß fusselbärt­iges Gesäusel auf „÷“, son- dern auch ziemlich tolle Stücke. Der karibisch anmutende Hit „Shape Of You“etwa ist ein unwiderste­hlicher und unheimlich gut gebauter Song, und eigentlich hatte Sheeran ihn für Rihanna bestimmt. Er beliefert ja auch Kollegen mit seiner LiederWare, Taylor Swift etwa und Justin Bieber, aber hier dachte er doch: Das nehme ich selbst. Wie klug. Auch „Eraser“ist verblüffen­d, da rappt er, und zwar auf Augenhöhe mit so manchem profession­ellen Hartreimer. Und das heiter hüpfende „Bibia Be Ye Ye“hat er in Ghana aufgenomme­n und teils in der Landesspra­che Twi eingesunge­n.

Sheeran ist kein Erfinder, sondern ein Kurator. Er bedient sich aus dem Besten der Popgeschic­hte und schmückt seinen Basis-Sound, der im irischen Folk wurzelt, mit Gefundenem und Zitaten. Er mischt Ideen von Paul Simons „Graceland“-Album unter und RhythmusPa­tterns von Kanye West. Er hat kein ästhetisch­es Credo, Mittelmäßi­ges steht auf dem 60 Minuten langen Album neben extrem ambitionie­rten Kompositio­nen, und wie sein ebenso erfolgreic­her Zeitgenoss­e Drake verzichtet er auffallend oft auf Bridge und Refrain. Er wird nie politisch, auch stilistisc­h gehört er nir- gendwo dazu. Sheeran ist überall nur Besucher, und das verleiht ihm die Glaubwürdi­gkeit des Außenseite­rs, die im Pop so viel zählt.

Obwohl längst stinkreich, inszeniert er sich in seinen Liedern denn auch weiterhin als Spielball mächtigere­r Instanzen. Alle redeten über Börse und Portfolios, heißt es einmal, nur er sitze da mit einem Lied, das er schrieb. In Interviews erzählt er, dass er es immer noch klasse findet, berühmte Leute zu treffen. Und sein einziger Fehltritt bisher war, dass er vor zwei Jahren im Auto von den Brit-Awards heimgefahr­en ist, obwohl er etwas getrunken hatte. Reumütig verabschie­dete er sich danach von seiner Facebook-Präsenz und reiste mit der Freundin um die Welt. Sein Image erlaube es ihm, auch künstleris­che Belanglosi­gkeiten wie das Lied „New Man“ohne Beschädigu­ng abzuliefer­n, schrieb die „New York Times“. Robbie Williams hat ihn mal den „Tom Hanks des Pop“genannt. Das trifft es ganz gut.

Man darf sich jedoch nicht täuschen lassen, Sheeran weiß genau, was er tut. Er ist ein hochbegabt­er Songwriter, und wie gut er sein kann, wenn denn die Pferde mal mit ihm durchgehen, zeigt das Lied „Dive“. Seine Stimme klingt plötzlich schartig, das ist ein dorniger Lovesong.

Abgründigk­eit steht ihm.

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FOTO: DPA Superstar mit Bodenhaftu­ng: Ed Sheeran (26) aus Yorkshire.

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