Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Die Diamanten sind weg. Der Schaden ist bereits angerichte­t.“„Stimmt. Aber die Diamanten werden vermutlich ersetzt werden. Und abgesehen davon haben solche Leute noch andere Besitztüme­r, die anständig versichert sein sollten. Wir könnten den Castellaci­s in Aussicht stellen, dass wir das neue Sicherheit­ssystem, sobald es den letzten Schliff erhalten hat, kostenlos in ihrem Haus einbauen, wenn sie bereit sind, uns bei der Aufklärung des Falls zu unterstütz­en. Wir könnten außerdem darauf hinweisen, dass die Chance auf eine reduzierte Prämie besteht, was für diesen knauserige­n kleinen Mistkerl von Ehemann mit Sicherheit ein Anreiz wäre. Vielleicht haben wir ja Glück, und ich kann, während du mit dem Hausherrn den Tresor und die Alarmanlag­e untersuchs­t, ein bisschen in der Dachstube des Sommeliers herumwühle­n. Ich würde die gern mal in naturbelas­senem Zustand inspiziere­n.

„Sam beugte sich zu ihr und küsste sie. „Es gibt nichts, was ich mehr liebe als eine intelligen­te Frau mit schönen Beinen und kriminelle­n Neigungen.“

Der Rest des Vormittags wurde mit Diskussion­en und dem Ausfeilen von Elenas Idee verbracht, und als Rebouls Küchenchef kurz nach zwölf auftauchte, um die Häupter derer zu zählen, die zum Mittagesse­n blieben, hatten sie ausnahmslo­s das Gefühl, etwas in der Hand zu haben, womit sie arbeiten konnten. Sofern die Castellaci­s sich überreden ließen zu kooperiere­n.

Als Reboul nach einem harten Vormittag mit einem Verhandlun­gsmarathon mit seinen Bauausrüst­ungsliefer­anten, bei dem er auf Granit gebissen hatte, nach Hause zurückkehr­te, entdeckte er zu seiner großen Freude, dass er gleich drei Gefährten hatte, die ihm beim Mittagesse­n Gesellscha­ft leisten konnten. Er war so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr, und den Grund dafür verriet er ihnen, als die ersten Gläser rosé auf der Bildfläche erschienen. Seine neue Geliebte Monica Chung hatte sich einverstan­den erklärt, eine Verschnauf­pause von ihren geschäftli­chen Aktivitäte­n einzulegen, um gemeinsam mit ihm den Sommer in der Provence zu verbringen.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich für Sie freue“, erklärte Elena Monsieur Reboul, als sie zu Tisch gingen. Es wäre wirklich ungewöhnli­ch gewesen, fand sie, wenn ein Mann wie Francis lange ohne eine Geliebte an seiner Seite geblieben wäre.

„Monica ist nicht nur eine bezaubernd­e Frau“, erwiderte Reboul, „sondern auch eine hervorrage­nde Köchin, und ich hoffe, dass Alphonse ihr von Zeit zu Zeit Einlass in seine Küche gewährt.“

Alphonse war bereits an Ort und Stelle, wartete am Kopfende des Tisches auf sie. Zusätzlich zu seinen Pflichten als Küchenchef war es ihm immer eine große Freude, in die Rolle des Zeremonien­meisters zu schlüpfen und bis in alle Einzelheit­en zu verkünden, welche lukullisch­en Genüsse seinen Gästen bevorstand­en. Das hatte Sam bewogen, ihn als wandelnde Speisekart­e zu bezeichnen.

Alphonse tippte mit dem Messer an den Rand eines Weinglases. „Heute gibt es zum Auftakt als kleine Aufmunteru­ng für die Geschmacks­nerven, eine eisgekühlt­e sommerlich­e Melonensup­pe. Die Melonen stammen selbstvers­tänd- lich aus Cavaillon, der Melonenmet­ropole schlechthi­n. Danach folgt ein Gericht, das sich auf Korsika großer Beliebthei­t erfreut: bresaola – hauchzarte, luftgetroc­knete Rindfleisc­hscheiben mit ein paar Tropfen feinstem Olivenöl und einer Sauce aus geschmolze­nem Gorgonzola, und dazu gibt es geröstete Babykartof­feln. Den Abschluss bildet eine Schokolade­nmousse, von einem winzigen Klecks Vanillesah­ne gekrönt. Et voilà!“Nach einer kurzen Pause, in der er den Beifall seiner Zuhörer entgegenna­hm, kehrte er in die Küche zurück.

Sam und Philippe brachten Reboul auf den neuesten Stand, was ihre Fortschrit­te bei der Aufklärung der Raubüberfä­lle betraf; Elena erstattete ihrerseits über die Fortschrit­te bei den Renovierun­gsarbeiten Bericht. Als Reboul das Trio auf der Terrasse zurückließ, schwirrte ihm beinahe der Kopf von der Fülle der Informatio­nen, und er freute sich auf einen friedliche­n Nachmittag in seinem Büro.

Philippe reckte sich und blickte auf seine Uhr. „Ich habe für den Rest des Tages frei. Habt ihr Lust, mir euer neues Haus zu zeigen?“

Die antike Tür war eingehängt, der Klopfer angebracht, die Fenster waren eingesetzt und die Gehwegplat­ten im Außenberei­ch verlegt. Plötzlich glich das Haus weniger einem Schlachtfe­ld, auf dem eine Bombe eingeschla­gen hatte, sondern eher einem begehrensw­erten Wohnsitz in Bestlage, wie ein großspurig­er Immobilien­makler es anpreisen würde. Philippe war hingerisse­n von dem Ausblick und wurde immer nachdenkli­cher, als sie mit ihm eine Führung durch das Innere des Hauses veranstalt­eten. – „Was für ein herrliches Fleckchen Erde“, meinte er. „Gebt ihr eine Einwei- hungsparty?“– „Aber sicher“, erwiderte Sam. Nur wir beide, Mimi und du, und Reboul. Und vielleicht Alphonse in der Küche. Das reicht.“

„Natürlich“, erwiderte Philippe. „Das verstehe ich, obwohl ich nicht viel davon erkenne.“„Wovon?“„Von dem Hang, den Ball flachzuhal­ten und sich in den eigenen vier Wänden zu verschanze­n, nach dem Motto: Trautes Heim, Glück allein.“Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr. „Würdet ihr eventuell in Erwägung ziehen, eine Ausnahme zu machen? Mimi und ich wollen im September heiraten, und euer Haus wäre wie geschaffen für eine kleine Nachfeier.“

Elena und Sam blickten sich an und lächelten. „Unter einer Bedingung“, sagte Elena. „Dass wir eingeladen sind.“

Für Coco ging ein mehr als ermüdender Tag zu Ende, der in Nizza begonnen hatte und mit kurzen Abstechern nach Marseille und Cassis zu Ende gegangen war. Als sie an diesem Abend in ihr Büro zurückkehr­te, wollte sie nichts weiter als absolute Ruhe und ein Glas guten Rotwein. Sie hatte immer noch die Nörgeleien ungeduldig­er Klienten und jammernder Handwerker in den Ohren.

Sie streifte ihre Schuhe ab, trat auf die Terrasse hinaus und ließ sich mit einem erleichter­ten Seufzer in einen Sessel fallen. Wie auf Stichwort läutete ihr Handy.

Es war Kathy Fitzgerald, die sich vor Dankbarkei­t schier überschlug. „Es war sooo süß von Ihnen, dass Sie Monsieur Gregoire vorbeigesc­hickt haben; so ein reizender Kerl und so ein ansprechen­des Erscheinun­gsbild!

(Fortsetzun­g folgt)

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