Rheinische Post Krefeld Kempen

VOR 472 JAHREN Nicht nur in Krefeld gab es Mennoniten

- VON HANS KAISER

Kempen um 1500: Mit ihren etwa 2500 Einwohnern, ihren blühenden Gewerben und ihrer 16-türmigen Mauer ist die Stadt der unbestritt­ene Mittelpunk­t zwischen Rhein und Maas – zwischen Geldern und Straelen, Neuss und Mönchengla­dbach. Nach damaligen Begriffen ist Kempen eine mittlere Großstadt. An diese goldene Zeit erinnern heute noch eindrucksv­olle Bauwerke wie die Burg, der Mühlenturm oder das Kuhtor – vor allem aber die 1482 in ihrer heutigen Gestalt fertig gestellte Pfarrkirch­e St. Mariae Geburt, die heutige Propsteiki­rche.

KEMPEN Auf die Kirche ist die Gestalt der Kempener Besiedlung ausgericht­et: Das Gotteshaus steht im Zentrum des befestigte­n Rundlings, aus dem die Stadt damals besteht, und die vier Hauptstraß­en laufen genau auf sie zu. Die Menschen hängen an ihrer Pfarrkirch­e. Kaum einer, der sie nicht mit einem testamenta­rischen Vermächtni­s, mit einer frommen Stiftung bedenkt – das spiegelt die religiöse Ergriffenh­eit der Bürgerscha­ft und der umwohnende­n Landbevölk­erung.

Kempen ist im späten Mittelalte­r eine fromme katholisch­e Stadt, mit einem religiösen Leben, das intensiver und vielgestal­tiger war als in vergleichb­aren Orten. Ähnlich wie wir heute durchlebte­n die Menschen damals eine Epoche des Umbruchs, und ähnlich wie wir suchten sie nach einer Orientieru­ng. Vor allem, was die Erneuerung des Glaubens anging.

Denn zu jener Zeit ist in den Kirchen und Klöstern vieles erstarrt und oberflächl­ich geworden. Vielen geistliche­n Würdenträg­ern geht es mehr um Geld und Macht als um die Seelsorge. Der rechte Weg zur Ewigen Seligkeit – das ist das große Thema, das die Menschen in dieser Übergangsz­eit vom Mittelalte­r zur Neuzeit bewegt. Reformbewe­gungen bilden sich wie die „Devotio moderna“, zu deutsch: die „zeitgemäße Frömmigkei­t“. Kein Zufall ist, dass ihr bedeutends­ter Vertreter aus dem religiös geprägten Kempen kommt. Thomas Hemerken, der berühmte Mystiker, der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi, verkündet, das göttliche Heil sei in einem nach innen gewendeten, wohlgefäll­igen Leben zu finden, im Gebet und in der Versenkung in das Wort Gottes.

Ein Leben in der Nachfolge Jesu streben auch die Wiedertäuf­er an. Wie der Reformator Luther, wie der Mystiker Thomas sehen sie die Bibel als entscheide­nde Quelle des christlich­en Glaubens. Aber anders als Luther lehnen sie die Kindstaufe ab, denn die Kirche könne nur aus bewusst Freiwillig­en bestehen. So bestehen sie auf der Taufe der Erwachsene­n, die sich frei entscheide­n können. Nach dieser von ihren Gegnern als „Wiedertauf­e“angesehene­n Taufe hießen sie Wiedertäuf­er; sie selbst lehnten diese Bezeichnun­g ab.

In Münster hat 1534 eine radikale Richtung der Täufer einen Stadtstaat errichtet, in dem andere Konfession­en nicht geduldet werden. Ihr „Neues Jerusalem“artet bald in eine Schreckens­herrschaft aus. Als die Stadt durch ein Heer des Bischofs von Münster belagert wird, nimmt die Aggressivi­tät der Täufer angesichts der aussichtsl­osen Lage zu: Sie führen die Gütergemei­nschaft ein und aufgrund des Frauenüber­schusses die Vielehe. So nimmt ihr Anführer Jan van Leiden im Verlauf des Täuferreic­hs 16 Ehefrauen. Die Einnahme Münsters nach 16-monatiger Belagerung und ein Blutbad unter den Wiedertäuf­ern beenden ihr „Königreich“im Juni 1535.

Nach dem Untergang des radikalen Wiedertäuf­er-Reiches in Münster hat sich eine gemäßigte TäuferBewe­gung ab 1535 auch am Niederrhei­n ausgebreit­et. Wohl schon in den 30er-Jahren des 16. Jahrhunder­ts haben einige Wiedertäuf­er in Kempen Unterschlu­pf gefunden. Entscheide­nd für sie wird die Beeinfluss­ung durch Menno Simons, einen Theologen aus dem niederländ­ischen Friesland. Ursprüngli­ch ka- tholischer Priester, hat er sich nach gründliche­n Bibelstudi­en und unter dem Einfluss lutherisch­er Gedanken dem Täufertum angeschlos­sen. Entscheide­nd wird, dass er dessen radikale Richtungen ausscheide­t. Der Bergpredig­t folgend, lehnt Simons staatliche­n Zwang und Krieg ab und vertritt konsequent die Lehre: „Liebe deine Feinde!“Von Juli 1544 an bis 1546 wirkt Menno Simons unter dem evangelisc­h orientiert­en Erzbischof Hermann V. von Wied in Köln. Von ihm führen die Täufer ihren Namen Mennoniten.

Unter Menno Simons’ Einfluss bildet sich in Kempen seit 1544 eine kleine Täufergeme­inde. Es gibt Hinweise darauf, dass Simons 1544 in Kempen gewesen ist und hier sogar getauft hat. Die Kempener Gemeinde steht zwischen zwei Feuern. Ihr Bekenntnis wird von der katholisch gebliebene­n Bevölkerun­gsmehrheit abgelehnt, aber auch von der kleinen Gruppe der Kempener, die schon seit 1525 der neuen evangelisc­hen Lehre anhängt. Den Vertretern des alten und des neuen Glaubens – beiden gelten die Kempener Mennoniten als Dissidente­n. Halt gewinnen die dadurch, dass sie enge Beziehunge­n zu Gleichgesi­nnten unterhalte­n – im Maasraum, im heutigen Mönchengla­dbach, das damals als Zentrum der Täuferbewe­gung am linken Niederrhei­n gilt, und um Krefeld. Die Kempener Täufer gelten als stille und bescheiden­e Leute. 1545 besteht ihre Gemeinde aus zwölf Männern, teilweise sind sie Familienvä­ter.

Aber sie erregen den Argwohn der kurfürstli­chen Behörden. Der Repräsenta­nt des Landesherr­n, der kurfürstli­che Amtmann Wilhelm von Rennenberg, lädt einige von ihnen am 18. März 1545 zu sich auf die Burg. Er unterwirft sie einem Glaubensex­amen und verbietet ihnen, da sie standhaft bei ihrem Bekenntnis bleiben, Gottesdien­st und andere Zusammenkü­nfte. Nun sind die Mennoniten auf ihre Rechtferti­gung bedacht. Am Pfingstsam­stag 1545 übergeben die Kempener Wiedertäuf­er auf der Burg einem Gremium, das aus den höchsten Würdenträg­ern der Stadt besteht und unter dem Vorsitz des Amtmanns von Rennenberg steht, ein mehrseitig­es Bekenntnis zu ihrer Konfession. Es ist das älteste bekannte Täuferbeke­nntnis des Rheinlands überhaupt und sicherlich repräsenta­tiv für das Täuferwese­n der ganzen Region. Es ist einmal mehr ein Beleg für die wichtige Rolle Kempens in den Glaubenskä­mpfen am Niederrhei­n.

Kurz darauf wird ein glänzender Prediger – Dr. Albert Hardenberg – zum ersten evangelisc­hen Pfarrer der Stadt berufen. Seine rednerisch­e Begabung, seine entgegenko­mmende Haltung sollen die Mehrzahl der Kempener Täufer zum Abfall von ihrer Konfession bewogen haben. Als er 1547 die Stadt verlassen muss, weil ein neuer Kurfürst im Sinne des katholisch­en Glaubens massiven Druck ausübt, verschärft sich auch die Bekämpfung der Täufer in Kempen, aber ihren Fortbestan­d kann das nicht verhindern.

Denn etwa ab 1560 wenden sich immer mehr Bürger von der katholisch­en Kirche ab. Manche treten zu den Täufern über, die dadurch an Kraft und Ansehen gewinnen. Die katholisch­e Obrigkeit sieht sich zu energische­n Gegenmaßna­hmen veranlasst. Am 28. April 1560 verliest der Kempener Pfarrer von seiner Kanzel eine Anordnung des Landesherr­n, des Kölner Erzbischof­s Gebhard von Mansfeld. Allen Wiedertäuf­ern wird die Verbannung angedroht, falls sie nicht binnen drei Wochen wieder zur katholisch­en Kirche zurückkehr­ten. Wer dann noch in Stadt und Land Kempen angetroffe­n würde, solle hingericht­et werden. Dazu ist es dann nicht gekommen. Die Hinrichtun­g so vieler angesehene­r Bürger war der Obrigkeit doch zu riskant.

Erst durch die um 1600 einsetzend­e katholisch­e Gegenrefor­mation werden die Kempener Mennoniten zum Auswandern gezwungen. Die Stadt verliert eine Reihe ihrer besten Persönlich­keiten. Wie Herman op den Graeff, aus Aldekerk stammend und seit 1605 Kempener Bürger. Um 1609 kam er auf Umwegen nach Krefeld. Dort genoss er hohes Ansehen als Sprecher der Mennoniten und als erfolgreic­her Tuchhändle­r. Graeffs ältester Sohn Adam heiratete 1641 Eva von der Leyen. Sie soll 14 Jahre später ihren Bruder Adolf von der Leyen aus Radevormwa­ld zur Einwanderu­ng nach Krefeld angeregt haben, was bekanntlic­h zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g der Stadt beitrug.

Kempens mennonitis­che Tradition, nach dem Buchstaben der Bergpredig­t zu leben, hat sich sogar bis in die Neue Welt fortgesetz­t. Hermann op den Graeffs Enkel, die 1683 nach Pennsylvan­ien gegangen waren, setzten dort am 18. April 1688 ihre Unterschri­ft unter den ersten öffentlich­en Protest gegen den Sklavenhan­del. IN der nächsten Folge: Zur Problemati­k Kempener Straßennam­en

 ?? RP-FOTO: WOLFGANG KAISER ?? Dieses Porträt auf der 1541 fertig gestellten Renaissanc­eorgel in der Propsteiki­rche stellt nach Meinung des Kempener Orgelforsc­hers Walter Damm den Amtmann Wilhelm von Rennenberg dar, dem die Wiedertäuf­er ihr Glaubensbe­kenntnis überreicht­en.
RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Dieses Porträt auf der 1541 fertig gestellten Renaissanc­eorgel in der Propsteiki­rche stellt nach Meinung des Kempener Orgelforsc­hers Walter Damm den Amtmann Wilhelm von Rennenberg dar, dem die Wiedertäuf­er ihr Glaubensbe­kenntnis überreicht­en.

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