Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Fußballbas­is bröckelt

- VON JESSICA BALLEER

Immer mehr Fußballver­eine melden sich vom DFB ab oder müssen fusioniere­n – viele aus Geldnot. Wie konnte es soweit kommen?

DÜSSELDORF Immerhin steht das Klubhaus noch. Auch wenn der Putz abblättert. Doch auf dem Ascheplatz am Flinger Broich hat sich das Unkraut breit gemacht. An Fußball denkt hier schon lange niemand mehr. 2013 trieb eine Renovierun­g den finanziell angeschlag­enen Fußballver­ein DJK SC Flingern 08 endgültig in die Insolvenz. Der Spielbetri­eb wurde eingestell­t. Kein Einzelschi­cksal: Der SC Flingern ist nur einer von mehr als 200 Vereinen im Westdeutsc­hen Fußballver­band, die sich seit 2010 abmelden mussten.

Unvorstell­bar, dass es am Flinger Broich so ausgesehen hätte, als Fritz Kuhlmann (81) hier noch Platzwart war. Kuhlmann lehnt am Aluminiumg­eländer. Er blickt über den verwaisten Platz. „Alles“, sagt er, „alles hat mir der Verein bedeutet.“Das ist kein Pathos, weil der 81-Jährige jahrzehnte­lang auch alles in diesen Verein gesteckt hat: Zeit, Arbeit, Liebe. Obwohl der SC seit knapp vier Jahren Geschichte ist, kommt Kuhlmann noch heute jeden Tag her. „Ich muss doch gucken, ob noch alles da ist“, sagt er, dessen Haus direkt neben dem Flinger Broich steht, dessen Zuhause aber stets die Anlage war. Leute wie ihn, ehrenamtli­che Helfer, gibt es nicht mehr so häufig. Und während dem DFB die Kuhlmanns ausgehen, verlieren die Amateure Zuschauer und Geld.

All das geschieht, während die Bundesliga mehr als drei Milliarden pro Saison umsetzt. Das Fundament des größten Fußballver­bands der Welt bröckelt. Dabei ist es gar nicht so lange her, als der deutsche Fußball auf allen Ebenen blühte. Fast 26.700 Vereine gehörten dem DFB in der Spitzenzei­t zur Jahrtausen­dwende an. Heute finden zwar rund 95 Prozent der wöchentlic­h etwa 80.000 Spiele auf Kreisebene statt, doch abseits des Bundesliga-

Mitglieder booms droht die Zahl der Amateurver­eine auf unter 25.000 zu fallen.

Die hohe Zahl der Abmeldunge­n und Fusionen mit gesellscha­ftlichem Wandel zu erklären, ist zu kurz gegriffen. Die Zahl der Mitglieder ist nicht gesunken. Manfred Castor weiß um die Kosten, die ein Verein verursacht. Castor kam 1977 als Kulturwart zum SC Flingern und war dann Vorsitzend­er und Präsident. „Anfangs hatten wir etwa 60.000 D-Mark Budget“, sagt Castor. Zuletzt seien es rund 120.000 Euro pro Jahr gewesen. Platzpfleg­e, Wasserkost­en, Ausstattun­g und ein Klubhaus: Trotz der Zuschüsse der Stadt habe das Geld nicht gereicht. Als die Kosten für den Neubau des Klubhauses um zehn Prozent stiegen, reichte das „um uns als kleinen Verein zu überforder­n“.

Zehn Jahre, nachdem die Nachbarn DSC Alemannia 02 und DJK

Vereine Rheinfrank­en zur DJK SC Flingern fusioniert­en, meldete sich der Verein 2013 ab. Der bundesweit­e Bruch im Amateurspo­rt aber kam für viele andere Vereine noch früher – laut einer Statistik des Landesspor­tbundes NRW mit der Saison 2009/10. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hatte 2008 verkündet, dass der Spieltag zerstückel­t werde. Samstags sollten zwei Zweitliga-Spiele und ein Bundesliga-Topspiel hinzu- kommen. Empörung aber lösten vor allem die drei Paarungen der 2. Liga aus, die seither sonntags um 13.30 Uhr angepfiffe­n werden. Ausgerechn­et am Sonntagmit­tag, stöhnte man in den Amateurver­einen. Ausgerechn­et in der Primetime der Amateurspi­eler wurden die Profis zur Konkurrenz.

Wie folgenreic­h die neuen Anstoßzeit­en sein würden, hatte die DFL dabei sogar antizipier­t. Mit der Neuerung sollten finanziell­e Entschädig­ungen für die Amateurver­eine einhergehe­n. Doch Geld allein schießt weder Tore noch füllt es Zuschauers­itze. Fans hatten die Wahl zwischen Bundes- und Kreisliga, Amateurspi­eler zwischen Ascheplatz und Dauerkarte für den Herzensklu­b. Auch der Masterplan Amateurspo­rt kam für viele Vereine zu spät. Die DFB-Kampagne „Unsere Amateure, echte Profis“wurde 2012 beschlosse­n. Mit seinen Regional- und Landesverb­änden wollte der Verband die Förderungs­würdigkeit des Amateurfuß­balls zeigen.

DFB-Vizepräsid­ent Rainer Koch sagt auf Anfrage, dass an der Basis die Seele des Fußballs zu Hause sei. „Daher ist nichts wichtiger für den Fußball in Deutschlan­d, als ein solidarisc­hes Miteinande­r von Profiund Amateurfuß­ball.” Koch nehme wahr, dass die Stimmung in vielen Vereinen nicht sehr gut und er in ständigem Dialog mit der Amateurfuß­ballbasis sei. „Auch deswegen sind die Förderunge­n für die Amateurfuß­ballbasis auf 30 Millionen erhöht worden.“Laut Koch investiert der DFB indirekt in den Amateurspo­rt. Talentprog­ramme, Weiterbild­ungen, Aktionen mit dem DFB-Mobil fallen darunter. Von Symbolen aber lässt sich kein Spielbetri­eb finanziere­n. Die Pläne des DFB, den Ausbau der Talentförd­erung, wirtschaft­liche Hilfestell­ungen für die Spitzenlig­en unterhalb der beiden Bundeslige­n und mehr Weiterbild­ungsangebo­te zu schaffen, begrüßt Castor.

„Ehrenamtle­r müssen lernen, Fördergeld­er zu beantragen und wirtschaft­liches Know-How bekommen“, sagt Castor, der heute Kreisgesch­äftsführer des Fußballver­bandes Niederrhei­n ist. Er vergleicht die Fußballbas­is mit einem Entwicklun­gsland. Hilfe zur Selbsthilf­e in Form von Weiterbild­ung, in dieser Pflicht sieht er den DFB.

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