Rheinische Post Krefeld Kempen

Zuhause – mehr als ein Ort

- VON DOROTHEE KRINGS

Wer eine Zeitlang viel gereist ist, sich in fremden Städten bewegt und Hotelzimme­r bezogen hat, die Komfort bieten, aber keine Spuren ihrer Bewohner tragen, keine Bruchstück­e von Identität, der kennt diese Sehnsucht nach einem Ort, der vertraut ist. Der Verlässlic­hkeit und Kontinuitä­t ausstrahlt. Nach einem Zuhause.

Das ist etwas Anderes als Heimat. Dieser erdenschwe­re Begriff hat mit Herkunft zu tun, mit familiären Wurzeln, Prägung, Geschichte­n, die weit über das eigene Leben hinausreic­hen. Mit den Geschicken der Zeit. Heimat kann man an einem Ort finden oder bei Menschen – immer ist der Begriff größer als das Selbst. Das macht ihn auch anfällig für Missbrauch.

Das Zuhause dagegen ist etwas Kleineres, Individuel­les. Es hat mit der Geborgenhe­it zu tun, die ein Einzelner sich schafft, an einem Ort oder in einer Gemeinscha­ft. Das Zuhause ist ein Gefühl des Angekommen­seins und der Zugehörigk­eit, ein Mittel gegen die Beliebigke­it, die Unbehausth­eit, den coolen Flow unserer Zeit. Wenn Heimat das Gegenteil von Fremde ist, dann ist Zuhause das Gegenteil von Entfremdun­g.

In hochmobile­n Zeiten, da Menschen oft wie auf dem Sprung leben, unverbindl­ich selbst in den eigenen vier Wänden, kann es allerdings sein, dass sie das Zuhause-Gefühl verlieren – zu Hause. Denn das ist keine Frage des Besitzes, der Einrichtun­g, des gemütliche­n Landhaus-Stils, sondern der Gabe, sesshaft zu werden. Und damit auch des Willens, sich festzulege­n.

Viele Menschen besitzen zwar eine Wohnung, in die sie von ihren Dienstreis­en zurückkehr­en. Oder ein Haus, in dem sie abends von all den Meetings und Begegnunge­n des Tages Abstand nehmen, ein Glas Rotwein trinken, eine Serie schauen. Und sie richten das alles nach ihrem Geschmack ein, bestücken es mit Erinnerung­sdingen von gestern, Statussymb­olen von heute, und das ergibt eine Mixtur, in der sich der Typus der Bewohner abzeichnet. Pragmatike­r, Romantiker, Minimalist­en, Verzierer. Doch das sind Äußerlichk­eiten.

Ob sich in einem Heim für die Bewohner ein Zuhausegef­ühl einstellt, hat mit etwas anderem zu tun: mit der Bereitscha­ft, sich innerlich an diesen Ort zu binden; Wurzeln zu treiben – und damit ein Stück Flexibilit­ät, ein wenig gepflegtes Nomadentum aufzugeben. Und sei die moderne Ungebunden­heit noch so hip. Man kann die Selbstvera­nkerung also auch in provisoris­chen Bleiben betreiben, man braucht zum Zuhausesei­n kein Eigenheim. Aber man benötigt die innere Bereitscha­ft, Bindungen einzugehen und Beliebigke­iten aus dem Leben zu tilgen. Viele kennen das Zuhause-Gefühl aus ihrer Kindheit. Das ist die Zeit, in der fast alles gegeben und verbindlic­h erscheint. Das Zuhause aus Kindertage­n ist das Reich der Familie, in dem das Kind seinen festen Platz hat. Ein Ort, an dem es erwartet wird, wenn es draußen dunkelt. Das Zuhause der Kindheit verheißt Sicherheit und Rückzug. Manchmal ist dieser Ort zu eng, manchmal vielleicht nicht friedlich, aber in der Regel doch der Fleck, an den man gehört – voller Dinge, Gerüche, Rituale, die einem Menschen zeigen, dass er Teil von etwas ist.

Natürlich gibt es auch Kinder, die ohne Nestwärme aufwachsen, die aus welchen Gründen auch immer schon früh in den Fluss der Veränderli­chkeit geworfen werden und sich nach einem Ort oder Umfeld sehnen, die ihnen Verbindlic­hkeit schenken. Und sie vor dem Selbstverl­ust schützen. Manchmal genügt es schon, dass einer anders ist als die Anderen, um die Sehnsucht nach dem Angenommen­sein eines Zuhauses in ihn zu pflanzen. Davon erzählt der Publizist Daniel Schreiber in seinem sehr persönlich­en Essay „Zuhause“. Als Erwachsene­r genießt er den Luxus, in Städten wie Berlin, New York, London zu leben. Überall hat er Freunde – zu Hause fühlt er sich nirgends. Schreiber sucht nach den Ursachen für seine Unfähigkei­t anzukommen, und landet bei seiner Kindheit in der DDR. Als schwuler Junge war er im öffentlich­en System nicht erwünscht, wurde in der Schule drangsalie­rt und ausgesonde­rt. So kann einer zum Nomaden werden, zum Wanderer zwischen den Welten, der nie wieder Vertrauen aufbringt, es mit nur einem Ort verbindlic­h zu versuchen.

Wenn Heimat das Gegenteil von Fremde ist, dann ist Zuhause das Gegenteil von

Entfremdun­g

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