Rheinische Post Krefeld Kempen

„Regierung torpediert­e ihre eigene Demografie-Strategie“

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Reden von der Kanzlerin, von vier Bundesmini­stern, Podiumsdis­kussionen und 15 Minuten Blick in die Zukunft durch Zukunftsfo­rscher Matthias Horx – so sieht heute der Demografie-Gipfel im Kanzleramt aus. Als „Gipfel zur Selbstbewe­ihräucheru­ng“kritisiert Grünen-Demografie-Expertin Doris Wagner das Spektakel, das eine Zwischenbi­lanz nach vier Jahren Demografie-Prozess ziehen soll.

Skepsis überwiegt auch beim Präsidente­n der Deutschen Gesellscha­ft für Demografie, dem Bonner Politikpro­fessor Tilman Mayer. Sein Beispiel setzt an bei der Erkenntnis, dass unter den Gesichtspu­nkten des demografis­chen Wandels eine längere Lebenserwa­rtung auch eine längere Lebensarbe­itszeit notwendig mache. „Mit der Rente mit 63 hat die Regierung ihre eigene Demografie-Strategie torpediert“, lautet der Befund des Experten.

Er kritisiert außerdem fehlende Differenzi­erungen in der Folge der Flüchtling­sdynamik. In ihrer Demografie-Bilanz hatte die Bundesregi­erung das zum Anlass genommen, neue Hochrechnu­ngen über die künftige Bevölkerun­gsentwickl­ung anzustelle­n. Demnach könne das viel beschworen­e Schrumpfen Deutschlan­ds bis zum Jahr 2060 um zwölf Millionen Menschen auch ausbleiben. Mayer vermisst dazu ein Migrations­konzept innerhalb der Demografie-Strategie. Man dürfe Flüchtling­e nicht mit Migranten verwechsel­n. Außerdem sollte Deutschlan­d auch nicht einfach an klassische Einwanderu­ngsländer wie Frankreich, England, die USA oder Kanada anknüpfen. Diese hätten nämlich auch eine natürliche Bevölkerun­gsentwickl­ung mit mehr Geburten als Sterbefäll­en. „Diese Mischung ist wichtig“, unterstric­h Mayer. Das sehe in Deutschlan­d seit Jahrzehnte­n anders aus.

Wer demografis­che Entwicklun­g gestalten wolle, müsse die Familienpo­litik in den Blick nehmen und entspreche­nde Angebote schaffen. Allerdings scheine anders als ihren Vorgängeri­nnen Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) das demografis­che Bewusstsei­n zu fehlen.

Für die Grünen-Politikeri­n Wagner ist die Demografie-Politik der Bundesregi­erung gescheiter­t. „Der Demografie-Check ist ein zahnloser Tiger und die Demografie-Strategie eine Sammlung von Altbekannt­em ohne Vision oder Inspiratio­n“, so Wagner. Erforderli­ch sei eine klare Strategie mit einer politische­n Steuerung aus der Regierungs­zentrale. Für die Demografie-Politik müsse eine Staatsmini­sterin im Kanzleramt verantwort­lich sein.

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