Rheinische Post Krefeld Kempen

„Erdogan braucht uns mehr als wir ihn“

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Der Chef der Europäisch­en Volksparte­i im EU-Parlament und CSU-Vize über die Türkei und den deutschen Wahlkampf.

BERLIN Der CSU-Politiker Manfred Weber hält im Europa-Parlament die konservati­ven Parteien zusammen. Zum Interview kam er in unser Berliner Büro. Der 44-Jährige meidet – anders als mancher Parteifreu­nd – schrille Töne. Herr Weber, die Nazi-Vergleiche der Türkei gegenüber der Bundesregi­erung hören nicht auf. Müssen nicht endlich Konsequenz­en folgen? WEBER Die Anwürfe von Präsident Erdogan sind einfach nur noch bizarr. Das ist nationalis­tisch. Darauf kann man nicht mit gleicher Münze reagieren. Ich beteilige mich daran nicht. Erdogan will mit diesen Verbalatta­cken nur für seine Sache, das Verfassung­sreferendu­m, Kampagne machen. Deshalb ist es klug, nicht in die Eskalation­sspirale einzutrete­n. Aber man kann das doch nicht einfach hinnehmen . . . WEBER Wir müssen in der Sache klar sein. Wir haben in Europa eine Reihe von Themen auf dem Tisch, an denen der Türkei gelegen ist: VisaErleic­hterungen, finanziell­e Unterstütz­ungen und die Zollunion. Erdogan muss wissen, dass er uns mehr braucht, als wir ihn brauchen. Die Türkei hat eine Exportrate zur Europäisch­en Union von 44 Prozent. Erdogan fügt vor allem sich und seinem Land Schaden zu mit diesem Kurs. Begrüßen Sie, dass es bis zum Referendum keine Auftritte türkischer Politiker mehr bei uns geben soll? WEBER Das ist eine Entscheidu­ng der türkischen Politik. Wenn es zur Deeskalati­on beiträgt, ist es gut. Klar ist, dass in Deutschlan­d Meinungsfr­eiheit gilt. Genauso klar ist aber, dass unser Land nicht für innertürki­sche Auseinande­rsetzun- gen missbrauch­t werden darf. Wir wollen keinen innertürki­schen Wahlkampf auf europäisch­em Boden. Gehört eine Vollmitgli­edschaft der Türkei der Geschichte an? WEBER Ja. Wir müssen endlich dazu stehen, dass es eine Vollmitgli­edschaft der Türkei in der EU nie geben wird. Wir müssen weg von dieser verlogenen Debatte von RotGrün. Sie war nie real. Sie hat dem Verhältnis zwischen EU und Türkei mehr geschadet als genutzt. Sie hat den Dialog mit der Türkei vergiftet, weil beide Seiten gespürt haben, dass die Vollmitgli­edschaft nicht realistisc­h ist. Nach dem Referendum werden wir einen Neustart in den Beziehunge­n zwischen der EU und der Türkei brauchen. Wie kann so ein Neustart aussehen? WEBER Richtig wäre eine enge und besondere Partnersch­aft und zu sehen, wie wir in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Studentena­ustausch, Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie besser zusammenar­beiten können. Mit welchem Erdogan kann man nach dem Referendum besser kooperiere­n – mit dem, der das Referendum gewonnen hat, oder mit dem, der das Referendum verloren hat? WEBER Die Türkei ist für uns zu wichtig, als dass es dort Instabilit­ät geben dürfte. Dennoch ist klar: Wenn diese Verfassung­sänderung umgesetzt würde, geht die Türkei weiter von Europa weg hin zu einem autokratis­chen System. Wie muss die Antwort der Union auf den Schulz-Rausch der SPD lauten? WEBER Ran an die Sache. Die Wahl entscheide­t sich in der Frage, wer die besten Ideen für die Zukunft Deutschlan­ds hat. Unsere Über- schrift als CDU und CSU für den Wahlkampf wird die Sicherheit sein – im Sozialen, wirtschaft­liche Sicherheit und die Kernfragen der Sicherheit: die Garantie der inneren und der äußeren Sicherheit. Das Leitmotiv muss lauten: Wir sorgen für Sicherheit in einer unsicheren Zeit. Wollen Sie SPD-Chef Schulz nicht offensiv stellen? WEBER Ich bin dafür, dass wir sachlich miteinande­r umgehen. Wir sollten den Menschen im Wahlkampf politische Alternativ­en anbieten und keine Scheingefe­chte. Die neue Hoffnung der SPD ist aber keine Orientieru­ng für unser Land. Martin Schulz muss endlich einmal Klartext reden. Wir werden es ihm nicht durchgehen lassen, dass er bis zum Sommer nur mit Allgemeinp­lätzen durchs Land fährt. Damit kommt er sehr gut durch . . . WEBER Die Anfangseup­horie ist nicht mehr als ein Strohfeuer. Einer großen Frage kann Schulz nicht ausweichen: seiner Machtoptio­n. Will er mit den Linken gemeinsame Sache machen oder nicht? Er ist der erste deutsche Kanzlerkan­didat der SPD, der es nicht ausschließ­t, mit AltKommuni­sten gemeinsam zu regieren. Das ist ein Tabubruch. Schulz darf sich nicht länger wegducken. In den Ländern sind diese Tabus doch längst gebrochen. WEBER In Zeiten, wo wir es mit Erdogan, Trump und Putin zu tun haben, darf man das Risiko einer instabilen Regierung unter Kommando der Alt-Kommuniste­n in Deutschlan­d nicht eingehen. Trauen Sie Schulz zu, ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden? WEBER Die Erwartungs­haltung, die er jetzt aufbaut, wird ihm keine Alternativ­e lassen. Er treibt sich selbst ins linke Lager. Wir werden einen klaren Abgrenzung­swahlkampf zwischen bürgerlich­em und linkem Lager erleben. Bei SPD und Grünen gibt es Offenheit für die Kooperatio­n mit der Linken. Es ist klar, dass man die linke Option nutzen wird, wenn die Mehrheit reicht.

EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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