Rheinische Post Krefeld Kempen

„Equitana“im Selbstvers­uch

- VON GÖKÇEN STENZEL

Eine Gruppe Reiterinne­n kauft bei der weltgrößte­n Messe für den Pferdespor­t ein – nur nicht das, was sie eigentlich suchte. Noch bis Sonntagabe­nd sind in Essen die Trends zu sehen. Für den Dressurber­eich gilt: Mehr Bling-Bling war nie.

ESSEN Junge Mädchen gehören zur Pferdemess­e „Equitana“wie der Hafer in die Krippe. Sie kommen in ungeahnter Sollstärke in Essen an, stürmen die Hallen, kaufen genau das, was unter ihnen vorher als Trend festgelegt wurde und ziehen mit ihrer Beute wieder ab. In diesem Jahr sind es rot-gemusterte Schabracke­n (Satteldeck­en) eines bestimmten Labels, die am ersten Messetag nach zwei Stunden ausverkauf­t waren. „Die Mädels sind bestens informiert, auch über die Preise“, sagt eine Händlerin, während sie neue Ware in die Regale sortiert. „Ich musste mich erst einmal auf den neuen Stand bringen.“Bis Sonntagabe­nd hat sie Zeit, alles an die jungen Käuferinne­n zu bringen.

Währenddes­sen sind wir – eine Gruppe nicht mehr ganz junger Reiterinne­n – dabei, ebenfalls etwas ganz Bestimmtes auf den 90.000 Quadratmet­ern der „Equitana“zu suchen. Wir drei sind wenig älter als die „Weltmesse des Pferdespor­ts“selbst, die 1972 aus der Taufe gehoben wurde, und wir fühlen uns beim Besuch in Essen an unsere eigene Jugend erinnert, als wir mit süßen 16 auf der Jagd nach den damaligen Trends waren. Diesmal soll ein Paar Dressursti­efel gefunden werden. Kann ja nicht so schwer sein bei 64 von insgesamt 860 Aussteller­n, die laut Messeinfo Reitstiefe­l im Repertoire haben. Sie, also die Stiefel, sollen weich am Bein liegen, schlicht schwarz, aber modern sein – und nicht auf dem Fuß geschnürt.

Der kleine italienisc­he Stand in Halle 3 glänzt mit seiner Auswahl, Strass und Glitzer an jedem Schuh. Die Stiefel gibt es in Hellblau, Kroko, hoch geschnürt und Lila, wahlweise Lack. Komplett anders das Angebot eines holländisc­hen Händlers, der sich unsere Wünsche geduldig anhört, einen Karton herauszieh­t und einen reichlich gebrauchte­n Stiefel der Marke Königs präsentier­t. Okay, mehr ist zu dem Wunsch nach schlicht und schwarz in der funkelnden Welt des Dressurrei­tens, in der selbst die Pferdetran­sporter in Weißlack-glänzend den Trend setzen, wohl nicht zu sagen.

Ein anderer Holländer bietet das Gewünschte auf Maß an. Alles wird ausgemesse­n, das gute Stück erreicht den Kunden acht Wochen später per Post. Kostenpunk­t: gut 900 Euro – für einen Stiefel, der noch nicht einmal als Prototyp anzuprobie­ren und anzusehen ist. So groß ist die Risikobere­itschaft nicht.

Die schwarzen Stiefel bei einem der Großanbiet­er aus Niedersach­sen schaffen es dann doch noch in die engere Wahl. Sie haben – wie sämtliche Modelle – einen Reißversch­luss, eine weiche Wadeninnen­fläche und eine harte Schale sowie einen schmal geschnitte­nen Knöchel. Perfekt. Nur: In der gewünschte­n Größe hat selbst der Großhändle­r den Stiefel nicht mitgebrach­t. Er kann bestellt werden – aber das geht ja immer und braucht keine „Equitana“. Heißt: Maße ebenso merken wie die Marke und anderswo finden. Apropos finden: Wir drei Su- chenden haben uns inzwischen durch fünf der zwölf Hallen gequetscht, sind immer wieder zu Stillstand verdonnert und entdecken auf diese Weise den Stand einer Sportwäsch­efirma. Eine Stunde und viel Anprobiere­n später sind die entspreche­nden Teile in der ersten Einkaufsta­sche versenkt. Das Gedränge erscheint auch dadurch größer, dass jeder mehrere Riesentasc­hen und Rucksäcke am Körper trägt, die Platz beanspruch­en. Gerten und Peitschen pieken in die Augen des Nebenmanns, ein Mann schiebt eine (noch) leere Schubkarre vor sich her.

Die „Equitana“besteht auch aus 700 Stunden Vorführung­en, die hier nicht unterschla­gen werden sollen. 1000 Pferde sind dabei, namhafte Ausbilder und Reiter wie Ingrid Klimke und Christian Ahlmann geben Anschauung­sunterrich­t, die neun Plätze sowie die große Halle 6 sind immer belegt und umlagert. Dort zeigen 40 Zuchtverbä­nde ihre Tiere, es geht vom Barock- übers Island- und Westernpfe­rd bis zu den Warmblüter­n. Manche Pferde stehen zum Verkauf. Verkaufen ist nun einmal das Hauptziel der Messe.

Bei uns wurde es voll erreicht. Neben der Wäsche stecken am Ende des anstrengen­den Tages Schabracke­n, Beinschone­r, Handschuhe und Poloshirts in den Taschen. Auf der „Equitana“ist es wie im richtigen Leben: zielstrebi­g ist anders, Shoppen macht trotzdem glücklich.

Die schwarzen Stiefel bei einem der Großanbiet­er aus Niedersach­sen schaffen es dann doch in die engere Wahl

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