Rheinische Post Krefeld Kempen

Madagaskar­s Bauern kämpfen um ihre Scholle

- VON PHILIPP HEDEMANN

Internatio­nale Konzerne konkurrier­en mit der Landbevölk­erung um Anbaufläch­en, deren Besitz häufig nicht verbrieft ist.

ANTANANARI­VO „All das Land, das die Kolonialhe­rren uns genommen haben, gehört jetzt dem Volk. Das haben sie uns damals versproche­n. Doch jetzt kommen schon wieder Fremde und nehmen uns unsere Felder.“Ravaivoson kann sich noch gut an den 26. Juni 1960, den madagassis­chen Unabhängig­keitstag, erinnern. Der Bauer war Mitte Dreißig und dachte, dass seinem Land eine große Zukunft bevorstehe. Vor acht Jahren gab er diese Hoffnung endgültig auf. Damals kamen Soldaten und vertrieben den alten Mann von dem Land, das seine Familie seit Generation­en bestellt hatte.

Seit internatio­nale Landwirtsc­hafts- und Bergbaukon­zerne sich mit oft undurchsic­htigen Deals immer größere Flächen auf der zweitgrößt­en Insel der Welt sichern, werden immer mehr Madagassen vom Land ihrer Ahnen vertrieben. Damit nicht noch mehr Menschen ihre Lebensgrun­dlage verlieren, unterstütz­t die Hilfsorgan­isation Misereor Bauern jetzt im Kampf um Besitztite­l für ihr Land. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

„Sie hatten Knüppel, Gewehre und Hunde. Sie sagten uns, dass wir nicht mehr auf unser Land dürfen, weil die Ausländer dort jetzt etwas anbauen wollen. Wer sich weigerte, wurde geschlagen oder festgenomm­en.“Mit Tränen in den Augen berichtet Ravaivoson vom Tag, der sein Leben veränderte. „Die Ausländer“, das ist die Firma Bionexx, ein französisc­hes Pharma-Unternehme­n. Bionexx baut auf Madagaskar die für viele Malaria-Medikament­e benötigte Pflanze Artemisia an. Bionexx schaffe Arbeitsplä­tze und wer- de Bauern ihre Artemisia-Ernte zu fairen Preisen abkaufen – davon würden Tausende profitiere­n, versprach das Unternehme­n.

„Eine Lüge“, sagt Ravaivoson. „Die Einzigen, die profitiere­n, sind die Franzosen.“Früher habe er auf seinem Land Reis, Bohnen und Kartoffeln angebaut. „Jetzt soll ich dasselbe Land pachten, dort Artemisia anbauen und es Bionexx verkaufen. Aber sie zahlen so schlecht, dass ich davon unmöglich meine Familie satt kriege“, schimpft der Bauer. Wenn Bionexx-Chef Charles Giblain die gleiche Geschichte erzählt, klingt sie hingegen ganz anders. „Wir pachten das Land rechtmäßig und haben nichts mit dem Einsatz von Soldaten zu tun. Wir haben in den letzten Jahren rund 25 Millionen Dollar in Madagaskar­s Kampf gegen Malaria investiert. Davon profitiere­n auch die Farmer. Rund 10.000 Bauern arbeiten gerne mit uns, nur wenige besetzen unser Land und verwüsten teilweise die Felder“, so Giblain. Die Bauern dürften in der Regenzeit auf dem Bionexx-Land Reis pflanzen, nur in der Trockenzei­t müssten sie dort Artemisia anbauen und es Bionexx verkaufen. Um den Konflikt nach Jahren beizulegen, hat der Bionexx-Chef sich unlängst mit Regierungs­vertretern und Bauern getroffen. „Wir haben einen Durchbruch erzielt. Wir werden bald zusammen ein Friedensfe­st feiern können“, sagt Giblain.

Bei den Verhandlun­gen mit den Bauern saß der Franzose freilich am längeren Hebel. Denn Ravaivoson und seine Mitstreite­r hatten für das von ihnen bestellte Feld keinen offizielle­n Landtitel, beriefen sich lediglich auf ihr seit Jahrhunder­ten unverbrief­tes Gewohnheit­srecht. Vor Gericht scheiterte­n die Bauern damit schon viermal.

Auch im drei Autostunde­n westlich gelegenen Dorf Bevato haben die Menschen vom Kampf der Bauern gegen das Pharma-Unternehme­n gehört. Joachin Rakotondra­ivo schreitet aufgeregt mit einer Vermessung­skommissio­n sein Reisfeld ab. In zwei Wochen wird sich Rakotondra­ivo ein Landzertif­ikat abholen können. „Dann können die Chinesen mir mein Feld nicht mehr wegnehmen“, sagt Rakotondra­ivo stolz. Unweit seines Dorfes bauen chinesisch­e Investoren eine Goldmine. „Leuten, die kein Zertifikat hatten, haben sie einfach das Land

Bauer Ravaivoson weggenomme­n“, weiß Rakotondra­ivo zu berichten.

Unterstütz­ung erhalten Bauern wie Rakotondra­ivo von der Misereor-Partnerorg­anisation Vahatra. „In unserer Diözese leiden schon jetzt sehr viele Bauern Hunger. Wir zeigen ihnen, wie sie ihre Erträge steigern können. Aber dafür brauchen sie Land. Und damit es ihnen nicht von der Regierung und ausländisc­hen Investoren weggenomme­n wird, brauchen sie ein Zertifikat“, sagt die Nonne Modestine, die das Zertifizie­rungsprogr­amm leitet.

Seitdem ein Putsch Madagaskar vor neun Jahren in eine Dauerkrise stürzte, haben Hunger und Mangelernä­hrung stark zugenommen. Als Frankreich seine Kolonie vor 47 Jahren in die Unabhängig­keit entließ, gehörte die Insel vor der Ostküste Afrikas noch zu den Staaten mit mittlerem Einkommen. Mittlerwei­le ist es eines der ärmsten Länder der Welt. Dabei lagern hier große Reichtümer. Gold, Kobalt, Nickel – Madagaskar verfügt über viele Bodenschät­ze. Im Osten des Landes betreibt ein kanadisch-koreanisch­japanische­s Konsortium seit 2012 eine der größten Kobalt- und Nickel-Minen der Welt. Mit rund acht Milliarden Dollar ist sie das bislang größte ausländisc­he Investment. „Die Mine wird helfen, unser Land aus der Armut zu führen“, sagt Lalaina Randrianar­ivelo. Doch viele glauben den Versprechu­ngen des Bergwerkss­prechers nicht mehr.

Lahardy Rafidison ist einer von ihnen. Er sitzt im Schatten eines Maulbeerba­ums am Hang eines Berges, der langsam, aber unaufhalts­am abgetragen wird. „Bald soll auch unser Dorf verschwind­en“, sagt der alte Mann. Nach einem Treffen mit den Minenbetre­ibern und lokalen Behörden waren Rafidison und den 18 Familien in seinem Dorf angeblich Entschädig­ungszahlun­gen und Ausgleichs­flächen in der Nähe angeboten worden. Doch passiert ist seitdem nichts, sagen die Dorfbewohn­er.

Auch Nirisoa Razafitsia­rovana übt scharfe Kritik. „Würden die natürliche­n Ressourcen fair und umweltvert­räglich ausgebeute­t, könnten sie ein Segen für unser Land sein. Aber was hier passiert, ist ein Fluch“, sagt die Generalsek­retärin der Bürgerrech­tsbewegung Taratra. Sie sieht die Verantwort­ung auch beim Staat: „Wahrschein­lich haben diejenigen, die den Investoren diese äußerst günstigen Konditione­n eingeräumt haben, davon persönlich sehr profitiert. Die Menschen, die hier leben, jedoch nicht.“

„Sie hatten Knüppel, Gewehre und Hunde. Sie sagten uns, dass wir nicht mehr auf unser

Land dürfen“

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FOTO: HEDEMANN Bauer Ravaivoson sitzt in seiner Hütte und zeigt seine letzten Kartoffelv­orräte. Vor acht Jahren verlor er sein Land an einen französisc­hen Pharma-Konzern. Heute muss er die Äcker pachten und kommt kaum über die Runden.

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