Rheinische Post Krefeld Kempen
Madagaskars Bauern kämpfen um ihre Scholle
Internationale Konzerne konkurrieren mit der Landbevölkerung um Anbauflächen, deren Besitz häufig nicht verbrieft ist.
ANTANANARIVO „All das Land, das die Kolonialherren uns genommen haben, gehört jetzt dem Volk. Das haben sie uns damals versprochen. Doch jetzt kommen schon wieder Fremde und nehmen uns unsere Felder.“Ravaivoson kann sich noch gut an den 26. Juni 1960, den madagassischen Unabhängigkeitstag, erinnern. Der Bauer war Mitte Dreißig und dachte, dass seinem Land eine große Zukunft bevorstehe. Vor acht Jahren gab er diese Hoffnung endgültig auf. Damals kamen Soldaten und vertrieben den alten Mann von dem Land, das seine Familie seit Generationen bestellt hatte.
Seit internationale Landwirtschafts- und Bergbaukonzerne sich mit oft undurchsichtigen Deals immer größere Flächen auf der zweitgrößten Insel der Welt sichern, werden immer mehr Madagassen vom Land ihrer Ahnen vertrieben. Damit nicht noch mehr Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, unterstützt die Hilfsorganisation Misereor Bauern jetzt im Kampf um Besitztitel für ihr Land. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
„Sie hatten Knüppel, Gewehre und Hunde. Sie sagten uns, dass wir nicht mehr auf unser Land dürfen, weil die Ausländer dort jetzt etwas anbauen wollen. Wer sich weigerte, wurde geschlagen oder festgenommen.“Mit Tränen in den Augen berichtet Ravaivoson vom Tag, der sein Leben veränderte. „Die Ausländer“, das ist die Firma Bionexx, ein französisches Pharma-Unternehmen. Bionexx baut auf Madagaskar die für viele Malaria-Medikamente benötigte Pflanze Artemisia an. Bionexx schaffe Arbeitsplätze und wer- de Bauern ihre Artemisia-Ernte zu fairen Preisen abkaufen – davon würden Tausende profitieren, versprach das Unternehmen.
„Eine Lüge“, sagt Ravaivoson. „Die Einzigen, die profitieren, sind die Franzosen.“Früher habe er auf seinem Land Reis, Bohnen und Kartoffeln angebaut. „Jetzt soll ich dasselbe Land pachten, dort Artemisia anbauen und es Bionexx verkaufen. Aber sie zahlen so schlecht, dass ich davon unmöglich meine Familie satt kriege“, schimpft der Bauer. Wenn Bionexx-Chef Charles Giblain die gleiche Geschichte erzählt, klingt sie hingegen ganz anders. „Wir pachten das Land rechtmäßig und haben nichts mit dem Einsatz von Soldaten zu tun. Wir haben in den letzten Jahren rund 25 Millionen Dollar in Madagaskars Kampf gegen Malaria investiert. Davon profitieren auch die Farmer. Rund 10.000 Bauern arbeiten gerne mit uns, nur wenige besetzen unser Land und verwüsten teilweise die Felder“, so Giblain. Die Bauern dürften in der Regenzeit auf dem Bionexx-Land Reis pflanzen, nur in der Trockenzeit müssten sie dort Artemisia anbauen und es Bionexx verkaufen. Um den Konflikt nach Jahren beizulegen, hat der Bionexx-Chef sich unlängst mit Regierungsvertretern und Bauern getroffen. „Wir haben einen Durchbruch erzielt. Wir werden bald zusammen ein Friedensfest feiern können“, sagt Giblain.
Bei den Verhandlungen mit den Bauern saß der Franzose freilich am längeren Hebel. Denn Ravaivoson und seine Mitstreiter hatten für das von ihnen bestellte Feld keinen offiziellen Landtitel, beriefen sich lediglich auf ihr seit Jahrhunderten unverbrieftes Gewohnheitsrecht. Vor Gericht scheiterten die Bauern damit schon viermal.
Auch im drei Autostunden westlich gelegenen Dorf Bevato haben die Menschen vom Kampf der Bauern gegen das Pharma-Unternehmen gehört. Joachin Rakotondraivo schreitet aufgeregt mit einer Vermessungskommission sein Reisfeld ab. In zwei Wochen wird sich Rakotondraivo ein Landzertifikat abholen können. „Dann können die Chinesen mir mein Feld nicht mehr wegnehmen“, sagt Rakotondraivo stolz. Unweit seines Dorfes bauen chinesische Investoren eine Goldmine. „Leuten, die kein Zertifikat hatten, haben sie einfach das Land
Bauer Ravaivoson weggenommen“, weiß Rakotondraivo zu berichten.
Unterstützung erhalten Bauern wie Rakotondraivo von der Misereor-Partnerorganisation Vahatra. „In unserer Diözese leiden schon jetzt sehr viele Bauern Hunger. Wir zeigen ihnen, wie sie ihre Erträge steigern können. Aber dafür brauchen sie Land. Und damit es ihnen nicht von der Regierung und ausländischen Investoren weggenommen wird, brauchen sie ein Zertifikat“, sagt die Nonne Modestine, die das Zertifizierungsprogramm leitet.
Seitdem ein Putsch Madagaskar vor neun Jahren in eine Dauerkrise stürzte, haben Hunger und Mangelernährung stark zugenommen. Als Frankreich seine Kolonie vor 47 Jahren in die Unabhängigkeit entließ, gehörte die Insel vor der Ostküste Afrikas noch zu den Staaten mit mittlerem Einkommen. Mittlerweile ist es eines der ärmsten Länder der Welt. Dabei lagern hier große Reichtümer. Gold, Kobalt, Nickel – Madagaskar verfügt über viele Bodenschätze. Im Osten des Landes betreibt ein kanadisch-koreanischjapanisches Konsortium seit 2012 eine der größten Kobalt- und Nickel-Minen der Welt. Mit rund acht Milliarden Dollar ist sie das bislang größte ausländische Investment. „Die Mine wird helfen, unser Land aus der Armut zu führen“, sagt Lalaina Randrianarivelo. Doch viele glauben den Versprechungen des Bergwerkssprechers nicht mehr.
Lahardy Rafidison ist einer von ihnen. Er sitzt im Schatten eines Maulbeerbaums am Hang eines Berges, der langsam, aber unaufhaltsam abgetragen wird. „Bald soll auch unser Dorf verschwinden“, sagt der alte Mann. Nach einem Treffen mit den Minenbetreibern und lokalen Behörden waren Rafidison und den 18 Familien in seinem Dorf angeblich Entschädigungszahlungen und Ausgleichsflächen in der Nähe angeboten worden. Doch passiert ist seitdem nichts, sagen die Dorfbewohner.
Auch Nirisoa Razafitsiarovana übt scharfe Kritik. „Würden die natürlichen Ressourcen fair und umweltverträglich ausgebeutet, könnten sie ein Segen für unser Land sein. Aber was hier passiert, ist ein Fluch“, sagt die Generalsekretärin der Bürgerrechtsbewegung Taratra. Sie sieht die Verantwortung auch beim Staat: „Wahrscheinlich haben diejenigen, die den Investoren diese äußerst günstigen Konditionen eingeräumt haben, davon persönlich sehr profitiert. Die Menschen, die hier leben, jedoch nicht.“
„Sie hatten Knüppel, Gewehre und Hunde. Sie sagten uns, dass wir nicht mehr auf unser
Land dürfen“