Rheinische Post Krefeld Kempen

Erat erklärt Aserbaidsc­hans Fußball

- VON MAXIMILIAN LONN

Morgen spielt Deutschlan­d in der WM-Qualifikat­ion in Baku. Der MSV-Mittelfeld­spieler weiß, worauf es ankommen wird.

DUISBURG Den Sonntagabe­nd hat Tugrul Erat fest verplant. Natürlich werde er sich das WM-Qualifikat­ionsspiel zwischen Aserbaidsc­han und Deutschlan­d (morgen, 18 Uhr/ RTL) auf dem heimischen Sofa angucken, sagt der Mittelfeld­spieler des Fußball-Drittligis­ten MSV Duisburg und lässt die weißen Zähne aufblitzen.

Es ist bei Weitem kein gequältes Lächeln, sondern ehrliche Vorfreude. Dabei hätte der 24-Jährige allen Grund, traurig zu sein. Schließlic­h hätte er die Chance gehabt, in der Hauptstadt Baku gegen sein Geburtslan­d, den amtierende­n Weltmeiste­r anzutreten. Doch den Gedanken daran lächelt der gebürtige Nettetaler direkt weg. „Ich habe schon länger nicht für Duisburg gespielt, weshalb ich auch nicht mit einer Nominierun­g gerechnet habe“, erklärt Erat, „aber es gibt ja noch ein Rückspiel, und dafür werde ich alles geben, um vielleicht dann dabei zu sein.“

Es wäre sein viertes A-Länderspie­l für das Land am Kaspischen Meer, das wirtschaft­lich vor allem von seinen Erdöl- und Erdgasrese­rven profitiert. Und es würde sich auf gewisse Weise auch ein Kreis schließen, denn immerhin war es ein Deutscher, der Erat den Weg nach Aserbaidsc­han ermöglicht­e. Sein Name: Bernhard Lippert. Seit 2008 ist der 55-Jährige technische­r Direktor

Ende August 2016 in Mönchengla­dbach: Knapp 30.000 Zuschauer verlieren sich im Borussia-Park beim Abschied für den Fußball-Weltmeiste­r Bastian Schweinste­iger. 22. März 2017 in Dortmund: Knapp 60.000 Zuschauer kommen ins ehemalige Westfalens­tadion zum Abschied für den Fußball-Weltmeiste­r Lukas Podolski – an einen Veranstalt­ungsort, der sonst zuverlässi­g bestens besucht ist, wenn der Platzwart auch nur das Flutlicht einschalte­t.

Die Stimmung in beiden Stadien: Über weite Strecken vornehm gedämpft, höfliche Menschen hüten sich vor zu lauten Gesprächen, um die Spieler auf dem Rasen nicht zu stören. Irgendetwa­s stimmt nicht bei den Spielen der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft. Offenbar scheuen die Fans eine Produktent­täuschung. Sie wollen keine Spiele, auf denen A-Nationalma­nnschaft steht, die aber tatsächlic­h ein besseres öffentlich­es Training für Akteure aus der zweiten Reihe sind. Der Bundestrai­ner hat für solche Umwidmunge­n eine sportlich sinnvolle Er- beim aserbaidsc­hanischen Fußballver­band und für die U21-Nationalma­nnschaft verantwort­lich.

In dieser Funktion wurde er vor vier Jahren auch auf den damaligen Düsseldorf­er aufmerksam. Der Grund: Die Großeltern des Deutsch-Türken haben Wurzeln in Aserbaidsc­han, weshalb er nach kurzer Einbürgeru­ngsphase für das „Land des Feuers“spielberec­htigt war. Der Anfang einer besonderen Beziehung. „Bernhard Lippert mochte mich, hat mich immer spielen lassen und ich habe auch einige Tore für die U21 geschossen. Insgesamt hatten wir ein gutes Verhältnis“, erinnert sich Erat. „Zudem hatte er einen guten Draht zum damaligen Nationaltr­ainer Berti Vogts.“Mit der Empfehlung von drei Toren in nur vier U-21-Spielen debütierte er im März 2014 im Freundscha­ftsspiel gegen die Philippine­n (1:0) für die A-Nationalma­nnschaft. „Von außen hält man Berti Vogts ja immer für einen harten Hund, aber eigentlich ist eher ein lockerer Typ, der auch mal ein paar Späße und Witze gemacht hat“, sagt Erat.

Neben schönen Erinnerung­en hat der ehemalige Bundestrai­ner während seiner Amtszeit (20082014) aber auch ein fußballeri­sches Erbe hinterlass­en, von dem auch sein Nachfolger Robert Prosinecki heute profitiert. „Berti Vogts hatte ein Defensivko­nzept, wo wir eher tief gestanden und mit Kontern gespielt haben“, erläutert Erat. Auch deshalb blieb Aserbaidsc­han in den ersten drei Qualifikat­ionsspiele­n gegen San Marino, Norwegen (beide 1:0) und Tschechien (0:0) ohne Gegentor. Unter Prosinecki steht reines Mauern allerdings auf dem Index: „Er möchte vor allem den spanischen Stil spielen lassen, mit vielen Passfolgen – ähnlich dem Tiki-Taka – und immer nach vorn attackiere­n.“Das verspricht ein interessan­ter Fußballabe­nd zu werden, wobei Erat auf dem Teppich bleibt. „Die ersten beiden Spiele haben für eine Euphorie gesorgt. Aber man sollte realistisc­h sein. Gegen Deutschlan­d wird es schwer werden, da denke ich schon, dass sie gewinnen werden“, sagt er augenzwink­ernd. Und da blitzen die Zähne wieder.

Der DFB muss seine Ticketprei­se überdenken Länderspie­le sind keine Selbstläuf­er mehr, viele Plätze bleiben unbesetzt. Das liegt am Missverhäl­tnis zwischen Preis und Angebot. Teure Karten bewirken eine ungünstige Publikumss­truktur – auf Kosten der Stimmung.

klärung. Der Terminkale­nder lässt ihm schließlic­h sehr wenige Möglichkei­ten, nachrücken­de Athleten unter Wettkampfb­edingungen zu testen. Die Ergebnisse solcher Probeläufe müssen ihm herzlich gleichgült­ig sein. Dem Publikum ist das allerdings so lange nicht herzlich gleichgült­ig, wie für die Mogelpacku­ng der gleiche Preis entrichtet werden muss wie für das Großereign­is mit allen Weltstars. Das erklärt den Mangel an Resonanz.

Die gedeckte Stimmung ist ein Ergebnis der Zuschauers­truktur. Dafür ist in erster Linie der DFB zuständig, der das Vorkaufsre­cht für Eintrittsk­arten an die Mitgliedsc­haft in einem seltsamen Gebilde koppelt. Es trägt den wenig einladende­n Namen „Fan Club Nationalma­nnschaft powered by Coca-Cola“, und das sagt bereits viel über dieses allzu künstliche Produkt. Es ist ein Teil der Vermarktun­gsmaschine DFB und schon deshalb in seiner Kreativitä­t im Stadion eher zurückhalt­end.

Das passt zum durchschni­ttlichen Länderspie­l-Publikum, das den hohen Preis trotz absehbar nicht ent- sprechende­r Gegenleist­ung nicht scheut, weil es den Besuch im Stadion schick findet. Es erwartet Unterhaltu­ng, woran natürlich nichts auszusetze­n ist, aber es kommt nicht, um sich selbst zu begeistern. Anders als in der Bundesliga gibt es aber auf den Rängen niemand, der für die Unterhaltu­ng sorgt. Mehr als ein paar Sprechchör­e, nach denen „wir die Nummer eins der Welt sind“, die allein eher für Frösteln sorgen, gibt es nicht.

Aus dieser Sackgasse führt nur ein Weg: eine andere Preispolit­ik. Die bringt auch jene ins Stadion, die nicht in erster Linie unterhalte­n werden wollen, sondern die auch etwas beitragen möchten. Und der DFB könnte sich als größter Sportverba­nd der Welt mal richtig für seine sozialen Wohltaten feiern lassen. Leisten kann er es sich. Schließlic­h ist er mit Jahresumsä­tzen weit jenseits der 200-Millionen-Euro-Grenze nicht eben arm und genießt als eingetrage­ner Verein Steuervort­eile. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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