Rheinische Post Krefeld Kempen

„Der Schmerz ist immer in mir“

- VON STEPHANIE WICKERATH

Der Flüchtling Bekim Tocani aus dem Kosovo gestaltete eine Passionsan­dacht in der evangelisc­hen Christuski­rche St. Tönis.

ST. TÖNIS Schon die ersten Sätze treffen ins Herz. „Wenn ich Sehnsucht nach dir habe, halte meine Seele fest. Unzählige Tränen durchdring­en meine Kehle. Du gibst mir meinen Atem, obwohl ich sterben will. Die Schmerzen der Liebe sind zu groß.“Geschriebe­n hat diese Worte mit dem Titel „Die Seele im Nirgendwo“der Flüchtling Bekim Tocani. Gewidmet hat er das Gedicht seinen Kindern, seinen Eltern und all den Menschen, die er liebt und die er seit neun Jahren nicht mehr sehen durfte.

So lange ist es her, dass Tocani seine Heimat, den Kosovo, verlassen musste. Er hatte in einer Internetze­itung Korruption und Vetternwir­tschaft in seiner Heimatstad­t publik gemacht und dafür Morddrohun­gen erhalten. „Wir wollten nur ein bisschen mehr Gerechtigk­eit, Demokratie und Freiheit“, sagt der 47-Jährige. „Aber wir haben es nicht geschafft und einen hohen Preis bezahlt.“Mehrere Freunde hat er verloren, erschossen auf offener Straße, eingesperr­t, verschlepp­t.

Einen Teil seiner Geschichte hat Tocani jetzt bei einer Passionsan­dacht in der evangelisc­hen Christuski­rche in St. Tönis erzählt. Auch einige Gedichte über Schmerz, Trauer und Einsamkeit hat er vorgetrage­n. Die etwa 30 Zuhörer im Kirchenrau­m waren bewegt. Schon einmal, als junger Mann, war Tocani aus dem Kosovo geflohen. Damals herrschte Bürgerkrie­g und er ging mit seiner Familie nach Dänemark. Dort arbeitete er ehrenamtli­ch beim Roten Kreuz und studierte an der Höheren Schule in Aarhus Journalist­ik.

Als er 2000 zurück in seine Heimat kam, arbeitete er zunächst als Dolmetsche­r beim Bürgermeis­ter seiner Stadt, später war er im Bildungsmi­nisterium tätig. Als er die Korruption öffentlich anprangert­e, begannen die Einschücht­erungsvers­uche. „Ich habe Briefe bekommen und Anrufe.“Als ein Freund erschossen wurde, war Tocani klar, dass es irgendwann nicht mehr bei Drohungen bleiben würde. 2008 verließ er das Land, verließ seine Frau, die beiden Söhne und die Tochter. Er lebte in London, in Schweden, in Dänemark. „Aber ich wollte kein Flüchtling sein, ich habe bei Freunden gewohnt und als Illegaler auf Baustellen gearbeitet“, erzählt der 47-Jährige. 2010 kam er nach Krefeld. Sein Onkel lebte dort. Wieder schlug sich der Journalist mit Gelegenhei­tsjobs durch. „Irgendwann war ich am Ende mit meiner Kraft“, sagt Tocani. Er beantragte Asyl, auch in der Hoffnung, Frau und Kinder nachholen zu dürfen. Das Asyl wurde nach vier Monaten gewährt, bis er aber seine Frau und den jüngeren Sohn wiedersah, vergingen Jahre. Erst seit August 2016 leben sie zusammen in St. Tönis, wo Tocani als Hausmeiste­r arbeitet. „Die beiden volljährig­en Kinder, also mein älterer Sohn und meine Tochter, bekommen kein Visum.“. Er selber darf vorerst nicht mehr im Kosovo einreisen.

Dass seine Familie auseinande­rgerissen ist und er seine Eltern nicht mehr sehen kann, zerreißt ihm das Herz. „Aber ich lebe jetzt hier mit wunderbare­n Menschen, die den Teil der Familie ersetzen, der mir so fehlt.“In der Familie Stein aus Ratingen, die ihm sehr geholfen habe, und in der St. Töniser Kirchengem­einde habe er diese Menschen gefunden, sagt Tocani, der sich 2003 im Kosovo christlich taufen ließ. „Ich habe ein anderes Leben hier bei Euch, ich bin angekommen, dafür danke ich Euch aus tiefstem Herzen, aber der Schmerz ist immer in mir.“

 ?? RP-FOTO: WOLFGANG KAISER ?? Bekim Tocani, Flüchtling aus dem Kosovo, liest aus seinen Gedichten bei der Passionsan­dach in der evangelisc­hen Christuski­rche. Der Journalist, der 2008 seine Heimat verlassen musste, lebt seit August 2016 in St. Tönis.
RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Bekim Tocani, Flüchtling aus dem Kosovo, liest aus seinen Gedichten bei der Passionsan­dach in der evangelisc­hen Christuski­rche. Der Journalist, der 2008 seine Heimat verlassen musste, lebt seit August 2016 in St. Tönis.

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